Ihre
Suche

    03.04.2025

    Rückforderungen von Corona-Soforthilfen: Aktuelle Rechtsprechung stärkt die Position der Empfänger


    Die Corona-Pandemie stellte viele Unternehmen und Selbstständige vor existenzielle Herausforderungen. Als Reaktion darauf wurden staatliche Soforthilfen in beispiellosem Umfang und Tempo bereitgestellt. Doch was zunächst als unbürokratische Hilfe gedacht war, entwickelte sich für viele Empfänger zu einem rechtlichen Nachspiel: Behörden fordern bundesweit Teile der ausgezahlten Soforthilfen zurück. Mehr als jeder fünfte Selbstständige oder Kleinunternehmer, der Corona-Soforthilfen erhalten hat, soll diese ganz oder teilweise zurückzahlen.

    Die gute Nachricht: Die Verwaltungsgerichte haben in den letzten Monaten mehrere wegweisende Entscheidungen getroffen, die die Position der Soforthilfe-Empfänger deutlich stärken. Diese Urteile zeigen, dass Rückforderungen keineswegs hingenommen werden müssen und in vielen Fällen erfolgreich angefochten werden können. Im Folgenden stelle ich die wichtigsten Entscheidungen vor und erläutere, welche Kritikpunkte die Gerichte an der Rückforderungspraxis der Behörden äußern.

    Die wichtigsten klägerfreundlichen Entscheidungen im Überblick

    1. OVG Münster: Grundsatzentscheidung zur Rechtswidrigkeit von Rückforderungen

    Das Oberverwaltungsgericht Münster hat mit seinen Urteilen vom 17. März 2023 (Az. 4 A 1986/22, 4 A 1987/22, 4 A 1988/22) eine Grundsatzentscheidung getroffen, die für viele Betroffene von zentraler Bedeutung ist. Das Gericht erklärte die erfolgten (Teil-)Rückforderungen von Corona-Soforthilfen für rechtswidrig und hob die entsprechenden Rückforderungsbescheide auf.

    Im Kern stellte das OVG fest, dass sich das Land bei der Rückforderung nicht an die bindenden Vorgaben aus den Bewilligungsbescheiden gehalten hat. Die ursprünglichen Bescheide sahen vor, dass die Mittel ausschließlich dazu dienten, eine finanzielle Notlage abzumildern, insbesondere Finanzierungsengpässe zu überbrücken. Das später vom Land geforderte Rückmeldeverfahren fand in den Bewilligungsbescheiden hingegen keine Grundlage.

    Besonders kritisch sah das Gericht, dass die Schlussbescheide vollständig automatisiert ohne ausreichende Rechtsgrundlage erlassen wurden. Zudem wurden die Online-Informationen zu den Corona-Soforthilfen zwischen dem 25. März und dem 31. Mai 2020 nicht weniger als 15 Mal geändert – ein Umstand, der erhebliche Rechtsunsicherheit schuf.

    2. VG Stuttgart: Vertrauensschutz hat Vorrang

    Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat am 18. September 2024 mit seinem Urteil (Az. 15 K 7121/23) eine Entscheidung getroffen, die für viele Empfänger der Corona-Soforthilfe wegweisend sein könnte. Ein Friseursalon aus Heidenheim hatte erfolgreich gegen die Rückforderung eines Teils seiner erhaltenen Soforthilfe durch die Landeskreditbank Baden-Württemberg (L-Bank) geklagt.

    Das Gericht stellte fest, dass die Rückforderung nicht rechtmäßig war, weil die ursprünglichen Bewilligungsbescheide missverständlich formuliert waren und die Klägerin die Mittel im Vertrauen auf die behördlichen Vorgaben verwendet hatte. Für die Klägerin sei nicht erkennbar gewesen, dass die Soforthilfe ausschließlich zur Deckung eines Liquiditätsengpasses gedacht war.

    Besonders bemerkenswert ist die Betonung des Vertrauensschutzes: Das Gericht stellte klar, dass Unternehmen, die in gutem Glauben auf die Bewilligung und die damals geltenden Bedingungen vertraut hatten, nicht nachträglich für geänderte Interpretationen der Behörden bestraft werden dürfen. Eine spätere Auslegung durch die Verwaltung dürfe nicht rückwirkend zu finanziellen Nachteilen für die Betroffenen führen.

    3. VG Freiburg: Differenzierte Betrachtung des Liquiditätsengpasses

    Das Verwaltungsgericht Freiburg hat am 10. Juli 2024 in mehreren Verfahren (Az. 14 K 3710/23, 14 K 3859/23, 14 K 4126/23, 14 K 1308/24, 14 K 1357/24) über Klagen gegen die Rückforderung von Corona-Hilfen durch die Landeskreditbank Baden-Württemberg entschieden. In fünf von sechs Fällen gab das Gericht den Klagen statt und hob die Widerrufs- und Erstattungsbescheide der L-Bank auf.

    Das Gericht stellte klar, dass die Corona-Soforthilfen zum Zwecke der Überwindung einer existenzbedrohenden Wirtschaftslage unter der Voraussetzung gewährt wurden, dass ein Liquiditätsengpass vorgelegen habe. Entscheidend ist jedoch, dass laut Gericht nicht – wie von der L-Bank angenommen – auf einen Zeitraum von drei Monaten abzustellen und keine Gesamtsaldierung der betrieblichen Einnahmen und Ausgaben innerhalb eines 3-Monatszeitraums vorzunehmen war.

    Vielmehr sei ein Liquiditätsengpass für den konkreten Tag zu berechnen gewesen, an dem die bewilligten Mittel verwendet wurden. Ein nachträglicher Zufluss von Mitteln (etwa durch erhöhten Umsatz infolge der Lockerung der Corona-Maßnahmen) führte nicht zu einer Beseitigung des Liquiditätsengpasses. Diese Differenzierung ist für viele Betroffene von entscheidender Bedeutung.

    Die Hauptkritikpunkte der Gerichte an den Rückforderungen

    Die Gerichte haben in ihren Entscheidungen mehrere grundlegende Kritikpunkte an der Rückforderungspraxis der Behörden formuliert. Diese lassen sich wie folgt zusammenfassen:

    1. Unklare und widersprüchliche Förderbedingungen

    Die Gerichte bemängeln durchgängig die unklaren und oft widersprüchlichen Förderbedingungen. Die Bewilligungsbescheide enthielten häufig missverständliche Formulierungen, die verschiedene Interpretationen zuließen. Zudem wurden die Förderrichtlinien mehrfach geändert, ohne dass dies ausreichend transparent kommuniziert wurde.

    Das OVG Münster stellte fest: Die in den Rückmeldeverfahren von den Zuwendungsempfängern verlangten Angaben waren ungeeignet, um die letztlich jeweils zu belassende Fördersumme unter Berücksichtigung der bindenden Festsetzungen der Bewilligungsbescheide zu bestimmen.

    2. Verletzung des Vertrauensschutzes

    Ein zentraler Kritikpunkt ist die Verletzung des Vertrauensschutzes. Die Behörden haben ihre Interpretation der Förderbedingungen nachträglich zu Lasten der Antragsteller geändert und neue Berechnungsmethoden oder Kriterien rückwirkend auf bereits bewilligte und ausgezahlte Hilfen angewendet.

    Das VG Stuttgart betonte: Unternehmen, die in gutem Glauben auf die Bewilligung und die damals geltenden Bedingungen vertraut hatten, dürfen nicht nachträglich für geänderte Interpretationen der Behörden bestraft werden.

    3. Methodische Mängel bei der Berechnung des Rückforderungsbetrags

    Die Gerichte kritisieren die methodischen Mängel bei der Berechnung der Rückforderungsbeträge. Insbesondere die pauschale Drei-Monats-Betrachtung und die Gesamtsaldierung aller Einnahmen und Ausgaben über den gesamten Förderzeitraum werden als unzulässig angesehen.

    Das VG Freiburg stellte klar: Ob ein Liquiditätsengpass vorgelegen habe, sei für den konkreten Tag zu berechnen gewesen, an dem die bewilligten Mittel verwendet worden seien. Spätere positive Entwicklungen dürften nicht rückwirkend zur Beseitigung eines zum Verwendungszeitpunkt bestehenden Liquiditätsengpasses führen.

    4. Formale und verfahrensrechtliche Mängel

    Die Gerichte bemängeln zahlreiche formale und verfahrensrechtliche Mängel. Die Schlussbescheide wurden oft vollständig automatisiert ohne ausreichende Rechtsgrundlage erlassen. Das später von den Behörden geforderte Rückmeldeverfahren war in den ursprünglichen Bewilligungsbescheiden nicht vorgesehen.

    Das OVG Münster stellte fest: Die Schlussbescheide sind rechtswidrig und aufzuheben, weil sie ohne eine hierfür erforderliche Rechtsgrundlage vollständig durch automatische Einrichtungen erlassen worden sind.

    5. Unzulässige Einschränkung des Förderzwecks

    Die Behörden haben den Förderzweck oft auf die Überbrückung von Liquiditätsengpässen verengt, obwohl die Bewilligungsbescheide weitere Zwecke wie die “Milderung finanzieller Notlagen” oder die “Überwindung einer existenzbedrohenden Wirtschaftslage” nannten.

    Das VG Stuttgart stellte fest: Es war für die Klägerin nicht erkennbar, dass die Soforthilfe ausschließlich zur Deckung eines Liquiditätsengpasses gedacht war. Andere in den Bewilligungsbescheiden genannte Kriterien wie “existenzbedrohliche Wirtschaftslage” oder “erhebliche Umsatzeinbrüche” wurden bei der Rückforderung oft ignoriert.

    Rechtliche Einordnung und Bedeutung für die Praxis

    Die dargestellten Entscheidungen haben erhebliche Bedeutung für die Praxis. Sie zeigen, dass die Verwaltungsgerichte bereit sind, Soforthilfeempfänger vor nachträglichen Änderungen der Förderrichtlinien zu schützen. Dies hat mehrere rechtliche Implikationen:

    1. Auslegung von Förderrichtlinien

    Gerichte müssen bewerten, ob die ursprünglichen Bewilligungsbescheide ausreichend klar formuliert waren oder ob sie widersprüchliche Angaben enthielten, die zu Fehlinterpretationen führen konnten.

    2. Grundsatz des Vertrauensschutzes 

    Unternehmen müssen sich auf die ursprünglichen Bewilligungsbedingungen verlassen können. Eine nachträgliche Änderung zu ihren Lasten verstößt gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit.

    3. Verhältnismäßigkeit von Rückforderungen 

    Behörden dürfen nicht rückwirkend neue Kriterien aufstellen, die zur Rückforderung von Mitteln führen, wenn diese zum Zeitpunkt der Bewilligung nicht eindeutig waren.

    Diese Urteile könnten Signalwirkung für zahlreiche andere Unternehmen haben, die mit ähnlichen Rückforderungsbescheiden konfrontiert sind. Sie zeigen, dass Behörden nicht beliebig nachträglich die Förderbedingungen verändern und neue Maßstäbe anlegen dürfen, die bei der Bewilligung noch nicht absehbar waren.

    Handlungsempfehlungen für Betroffene

    Falls Sie eine Rückforderung der Soforthilfe erhalten haben, sollten Sie nicht vorschnell zahlen, sondern die Bescheide genau prüfen und gegebenenfalls rechtliche Schritte einleiten. Folgende Maßnahmen sind ratsam:

    1. Juristischen Rat einholen

    Eine Anwaltskanzlei kann die Erfolgsaussichten eines Widerspruchs oder einer Klage bewerten und die beste Strategie entwickeln. Angesichts der dargestellten Rechtsprechung bestehen in vielen Fällen gute Erfolgsaussichten.

    2. Verwendungsnachweise sichern

    Wer nachweisen kann, dass die Soforthilfe entsprechend den ursprünglichen Bewilligungsbedingungen genutzt wurde, hat eine stärkere Position gegenüber der Behörde. Sammeln Sie alle relevanten Unterlagen, die belegen, wofür und wann die Mittel verwendet wurden.

    3. Auf Klarheit in den Bescheiden achten

    Falls die Bewilligungsbescheide unklar formuliert waren oder widersprüchliche Aussagen enthielten, kann dies als Argument gegen die Rückforderung genutzt werden. Prüfen Sie genau, welche Zweckbestimmungen in Ihrem Bewilligungsbescheid genannt wurden.

    4. Widerspruch/Klage gegen Rückforderungsbescheide

    Unternehmen sollten die Rückforderung nicht einfach hinnehmen, sondern innerhalb der gesetzten Frist Widerspruch bzw. Klage erheben. Welcher Rechtsbehelf statthaft ist, richtet sich nach dem jeweiligen Bundesland. In Hessen und Nordrhein-Westfalen sind beispielsweise nur Klagen möglich.

    Ein Widerspruch und eine mögliche Klage verhindern zunächst die Vollstreckung des Bescheids und verschaffen den Betroffenen Zeit. Ein Widerspruchsverfahren dauert in der Regel mehrere Monate, während ein Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht durchschnittlich etwa 10 Monate (häufig aber mehr) in Anspruch nimmt. Während dieser Zeit muss der geforderte Betrag nicht bezahlt werden, was einen positiven Liquiditätseffekt haben kann. Welcher Rechtsbehelf statthaft ist, richtet sich nach dem jeweiligen Landesrecht.

    Fazit

    Die aktuelle Rechtsprechung stärkt die Position der Soforthilfe-Empfänger deutlich. Die Gerichte haben klare Grenzen für die Rückforderungspraxis der Behörden gezogen und betonen den Vertrauensschutz der Antragsteller. Für viele betroffene Unternehmen bedeutet dies eine erhebliche Erleichterung und die Chance, unberechtigte Rückforderungen erfolgreich abzuwehren.

    Wer betroffen ist, sollte sich daher nicht scheuen, rechtliche Schritte zu prüfen und gegebenenfalls Widerspruch oder Klage zu erheben. Die dargestellten Urteile zeigen: Der Kampf gegen unrechtmäßige Rückforderungen kann sich lohnen.

    Bei ADVANT Beiten helfen wir Ihnen gerne bei der Prüfung Ihrer individuellen Situation und unterstützen Sie bei der Durchsetzung Ihrer Rechte. Hier helfen wir Ihnen: Anwalt Corona Soforthilfe - Rechtsberatung bei Soforthilfe Rückforderung

    Damoklesschwert ÜBH: Drohende Rückzahlungen bringen Mode- und Schuhhandel in Bedrängnis
    Corona-Überbrückungshilfen: Rückforderungen und Rechtsrisiken – was jetzt zu tun…
    Weiterlesen
    Wieso es wieder zu Tausenden von Rückforderungsbescheiden bei den Corona-Soforthilfen kommen kann
    Die Corona-Soforthilfen waren im Frühjahr 2020 das erste und wichtigste Instrume…
    Weiterlesen
    ZDFheute: Corona-Betrug - Über 26.000 Verfahren eingeleitet
    Der Beitrag befasst sich mit dem weit verbreiteten Betrug bei den Corona-Hilfspr…
    Weiterlesen
    VG Stuttgart stärkt Soforthilfe-Empfänger: Hoffnung bei Rückforderungen
    Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat am 18. September 2024 mit seinem Urteil (Az…
    Weiterlesen
    Wie läuft ein Klageverfahren im Verwaltungsprozess ab? Ein Leitfaden für Überbrückungshilfen-Fälle
    In der Auseinandersetzung mit Verwaltungsentscheidungen – insbesondere bei den Ü…
    Weiterlesen
    Was kostet ein Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht? – Ein Überblick für Unternehmen und Steuerberater
    Die zunehmenden Rückforderungsbescheide im Rahmen der Corona-Überbrückungshilfen…
    Weiterlesen
    Strafbarkeitsrisiko: Subventionsbetrug bei Corona-Hilfen
    Hintergrund Die Corona-Pandemie stellte viele Unternehmen und Selbstständige vo…
    Weiterlesen
    Die Bedeutung der Anhörung nach § 28 VwVfG im Schlussabrechnungsverfahren der Corona-Überbrückungshilfen
    Warum Anhörungen entscheidend sind Steuerberater und Unternehmer, die sich aktu…
    Weiterlesen
    Überbrückungshilfe: Nachweis des "coronabedingten Umsatzeinbruchs" in Bayern
    Die Corona-Überbrückungshilfen waren während der Pandemie ein zentrales Unterstü…
    Weiterlesen