Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat am 18. September 2024 mit seinem Urteil (Az. 15 K 7121/23) eine Entscheidung getroffen, die für viele Empfänger der Corona-Soforthilfe wegweisend sein könnte. Ein Friseursalon aus Heidenheim hatte erfolgreich gegen die Rückforderung eines Teils seiner erhaltenen Soforthilfe durch die Landeskreditbank Baden-Württemberg (L-Bank) geklagt. Das Gericht stellte fest, dass die Rückforderung nicht rechtmäßig war, weil die ursprünglichen Bewilligungsbescheide missverständlich formuliert waren und die Klägerin die Mittel im Vertrauen auf die behördlichen Vorgaben verwendet hatte.
Die Klägerin, eine Friseur-GmbH, erhielt im April 2020 eine Soforthilfe in Höhe von 15.000 Euro, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu überbrücken. Diese Mittel wurden auf Grundlage der „Soforthilfe Corona“-Richtlinie des Landes Baden-Württemberg bewilligt, die zur Unterstützung von Unternehmen gedacht war, die durch die Pandemie in eine existenzbedrohliche wirtschaftliche Lage geraten waren.
Im Jahr 2021 führte die L-Bank ein Rückmeldeverfahren durch, bei dem sich herausstellte, dass der tatsächliche Liquiditätsengpass der Klägerin geringer war als ursprünglich angegeben. Die Klägerin erklärte daraufhin, dass sie 10.424,21 Euro zurückzahlen müsse. Daraufhin widerrief die L-Bank ihren Bewilligungsbescheid in dieser Höhe und verlangte die Rückzahlung des Betrags. Der Widerspruch der Klägerin gegen diesen Bescheid wurde von der L-Bank im November 2023 abgelehnt, woraufhin sie Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart einreichte.
Das VG Stuttgart entschied, dass die Rückforderung der Soforthilfe unrechtmäßig sei und hob den Rückforderungsbescheid auf. Dabei stützte sich das Gericht auf mehrere zentrale Argumente:
1. Unklare Bewilligungsbedingungen:
Das Gericht stellte fest, dass es für die Klägerin nicht erkennbar gewesen sei, dass die Soforthilfe ausschließlich zur Deckung eines Liquiditätsengpasses gedacht war. Die ursprüngliche Förderrichtlinie und die Bewilligungsbescheide deuteten darauf hin, dass auch eine existenzbedrohliche Wirtschaftslage oder erhebliche Umsatzeinbrüche als Fördervoraussetzung ausreichten.
2. Keine rückwirkende Anpassung der Förderbedingungen:
Die L-Bank hatte sich bei der Rückforderung ausschließlich auf den nachträglich ermittelten Liquiditätsengpass gestützt und die weiteren Förderkriterien unberücksichtigt gelassen. Das Gericht stellte klar, dass eine spätere Neubewertung der wirtschaftlichen Lage nicht zur Reduzierung der bewilligten Soforthilfe führen dürfe.
3. Mittelverwendung im Einklang mit den Förderbedingungen:
Die Klägerin hatte die Soforthilfe innerhalb des Bewilligungszeitraums für ihre laufenden Betriebskosten genutzt. Da dies mit den ursprünglichen Bewilligungsbedingungen übereinstimmte, war eine spätere nachträgliche Einschränkung durch die L-Bank nicht zulässig.
4. Vertrauensschutz der Antragsteller:
Das Gericht betonte, dass Unternehmen, die in gutem Glauben auf die Bewilligung und die damals geltenden Bedingungen vertraut hatten, nicht nachträglich für geänderte Interpretationen der Behörden bestraft werden dürften. Insbesondere dürfe eine spätere Auslegung durch die Verwaltung nicht rückwirkend zu finanziellen Nachteilen für die Betroffenen führen.
5. Kein vollständiger Rechtsfrieden durch Berufungszulassung:
Das Urteil hat eine weitreichende Bedeutung, da es zeigt, dass die Förderbedingungen nicht zu Lasten der Antragsteller umgedeutet werden dürfen. Allerdings wurde die Berufung gegen das Urteil zugelassen, sodass eine höchstrichterliche Entscheidung noch aussteht. Dennoch bietet das Urteil bereits jetzt Argumentationsgrundlagen für viele Unternehmen, die sich gegen Rückforderungen wehren.
Das Urteil des VG Stuttgart stellt einen wichtigen Präzedenzfall dar, der über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung hat. Es zeigt, dass Verwaltungsgerichte bereit sind, Soforthilfeempfänger vor nachträglichen Änderungen der Förderrichtlinien zu schützen. Dies hat mehrere rechtliche Implikationen:
- Auslegung von Förderrichtlinien: Gerichte müssen bewerten, ob die ursprünglichen Bewilligungsbescheide ausreichend klar formuliert waren oder ob sie widersprüchliche Angaben enthielten, die zu Fehlinterpretationen führen konnten.
- Grundsatz des Vertrauensschutzes: Unternehmen müssen sich auf die ursprünglichen Bewilligungsbedingungen verlassen können. Eine nachträgliche Änderung zu ihren Lasten verstößt gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit.
- Verhältnismäßigkeit von Rückforderungen: Behörden dürfen nicht rückwirkend neue Kriterien aufstellen, die zur Rückforderung von Mitteln führen, wenn diese zum Zeitpunkt der Bewilligung nicht eindeutig waren.
Dieses Urteil könnte Signalwirkung für zahlreiche andere Unternehmen haben, die mit ähnlichen Rückforderungsbescheiden konfrontiert sind. Es zeigt, dass Behörden nicht beliebig nachträglich die Förderbedingungen verändern und neue Maßstäbe anlegen dürfen, die bei der Bewilligung noch nicht absehbar waren.
Falls Unternehmen eine Rückforderung der Soforthilfe erhalten haben, sollten sie nicht vorschnell zahlen, sondern die Bescheide genau prüfen und gegebenenfalls rechtliche Schritte einleiten. Folgende Maßnahmen sind ratsam:
- Juristischen Rat einholen: Eine spezialisierte Kanzlei kann die Erfolgsaussichten eines Widerspruchs oder einer Klage bewerten und die beste Strategie entwickeln.
- Verwendungsnachweise sichern: Wer nachweisen kann, dass die Soforthilfe entsprechend den ursprünglichen Bewilligungsbedingungen genutzt wurde, hat eine stärkere Position gegenüber der Behörde.
- Auf Klarheit in den Bescheiden achten: Falls die Bewilligungsbescheide unklar formuliert waren oder widersprüchliche Aussagen enthielten, kann dies als Argument gegen die Rückforderung genutzt werden.
- Widerspruch/Klage gegen Rückforderungsbescheide: Unternehmen sollten die Rückforderung nicht einfach hinnehmen, sondern innerhalb der gesetzten Frist Widerspruch bzw. Klage erheben. Welcher Rechtsbehelf statthaft ist, richtet sich nach dem jeweiligen Bundesland. In Hessen und Nordrhein-Westfalen sind beispielsweise nur Klagen möglich.
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Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart stärkt die Rechte von Soforthilfeempfängern und setzt der nachträglichen Rückforderungspraxis von Behörden enge Grenzen. Es macht deutlich, dass Unternehmen sich gegen nachträgliche Änderungen der Förderbedingungen wehren können und dass die Behörden nicht einseitig zu Lasten der Antragsteller agieren dürfen.
Für viele betroffene Unternehmen bedeutet dies eine erhebliche Erleichterung und die Chance, unberechtigte Rückforderungen erfolgreich abzuwehren. Wer betroffen ist, sollte sich daher nicht scheuen, rechtliche Schritte zu prüfen und gegebenenfalls Widerspruch oder Klage zu erheben. Dieses Urteil zeigt: Der Kampf gegen unrechtmäßige Rückforderungen kann sich lohnen.