Willkommen zum zweiten Teil unserer siebenteiligen Artikelserie über die wichtigsten GovTech-Trends, die 2025 den öffentlichen Sektor weltweit prägen und transformieren werden. Nachdem wir uns im ersten Teil mit Künstlicher Intelligenz und Generativer KI befasst haben, widmen wir uns nun dem zweiten zukunftsweisenden Trend: Spatial Computing und immersiven Technologien.
Spatial Computing: Die Verschmelzung von digitaler und physischer Welt
Spatial Computing und immersive Technologien wie Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) revolutionieren die Art und Weise, wie Menschen mit digitalen Informationen interagieren. Diese Technologien, die die physische Welt digital erweitern und greifbar machen, bieten dem öffentlichen Sektor völlig neue Möglichkeiten für Bürgerbeteiligung, Stadtplanung, Bildung und Entscheidungsfindung.
Während viele deutsche Behörden noch damit beschäftigt sind, ihre grundlegenden Prozesse zu digitalisieren, bauen fortschrittliche Verwaltungen weltweit bereits immersive Erlebnisse auf, die den Bürger auf völlig neue Weise einbeziehen. Deutschland droht hier erneut, den Anschluss zu verlieren.
Die globale Landschaft immersiver Verwaltungsarbeit
Führende Analysten haben die Bedeutung dieses Trends längst erkannt: Gartner hat Spatial Computing als einen der Top-10-Technologietrends für 2025 identifiziert, während Deloitte betont, dass diese Technologie 2025 eine zentrale Rolle in der technologischen Entwicklung einnimmt.
Im internationalen Vergleich zeigen sich beeindruckende Beispiele:
- In Singapur nutzt die Regierung AR für die "Virtual Singapore"-Initiative, einen digitalen Zwilling der Stadt, der Planern, Politikern und Bürgern hilft, städtische Entwicklungen zu visualisieren und besser zu verstehen.
- In Australien setzt die Stadt Sydney VR ein, um Bürger in Stadtplanungsprozesse einzubeziehen, indem sie ihnen ermöglicht, geplante Entwicklungen in einer immersiven Umgebung zu erleben und zu kommentieren.
- Die kanadische Regierung nutzt AR-Anwendungen, um historische Stätten zum Leben zu erwecken und das kulturelle Erbe auf neuartige Weise zu vermitteln.
Besonders im Katastrophenschutz zeigen sich revolutionäre Einsatzmöglichkeiten: In Japan werden VR-Simulationen für Erdbeben- und Tsunamiübungen eingesetzt, während die USA AR für Feuerwehrtraining und Notfallmanagement nutzen. Diese Anwendungen ermöglichen realistische Übungsszenarien ohne die Risiken und Kosten realer Übungen.
Warum Spatial Computing für den deutschen öffentlichen Sektor besonders relevant ist
Auch Deutschland könnte von immersiven Technologien in vielfältiger Weise profitieren:
- Bürgerbeteiligung und Stadtplanung: In Deutschland, wo Bürgerbeteiligung einen hohen Stellenwert hat, können AR-Visualisierungen geplanter Bauprojekte vor Ort die Transparenz erhöhen und die Akzeptanz fördern. Bürger könnten durch ihre Smartphones oder Tablets sehen, wie ein geplantes Gebäude oder eine Infrastrukturmaßnahme in ihrer Umgebung aussehen würde. Die Stadt Hamburg hat bereits Pilotprojekte in diesem Bereich gestartet.
- Kulturelles Erbe und Tourismus: Deutschland mit seinem reichen kulturellen Erbe kann von AR-Anwendungen profitieren, die historische Stätten zum Leben erwecken. Besucher können durch AR-Brillen oder Smartphone-Apps sehen, wie historische Gebäude ursprünglich aussahen oder historische Ereignisse nacherleben. Dies fördert nicht nur den Tourismus, sondern auch das Verständnis für die deutsche Geschichte.
- Bildung und Ausbildung: Immersive Technologien bieten revolutionäre Möglichkeiten für die Bildung. In deutschen Schulen und Universitäten können VR-Anwendungen komplexe wissenschaftliche Konzepte visualisieren oder virtuelle Exkursionen zu entfernten Orten ermöglichen. Für die berufliche Bildung können VR-Simulationen praktische Übungen in sicheren Umgebungen ermöglichen.
- Notfallmanagement und Katastrophenschutz: Angesichts zunehmender Extremwetterereignisse in Deutschland können VR-Simulationen für Katastrophenschutzübungen eingesetzt werden. Einsatzkräfte können in virtuellen Umgebungen trainieren, wie sie bei Hochwasser, Waldbränden oder anderen Notfällen reagieren sollten.
- Gesundheitswesen: Im deutschen Gesundheitssystem können AR-Anwendungen Ärzten bei komplexen Operationen unterstützen oder in der Rehabilitation eingesetzt werden. VR wird bereits in der Schmerztherapie und bei der Behandlung von Phobien eingesetzt, was den Gesundheitssektor effizienter und patientenorientierter machen kann.
Die spezifischen Hürden im deutschen Kontext
Die Implementierung von Spatial Computing im deutschen öffentlichen Sektor steht vor besonderen Herausforderungen:
- Kosten und Infrastruktur: Die Anschaffung von AR/VR-Geräten und die Entwicklung entsprechender Anwendungen sind kostenintensiv. In Zeiten knapper öffentlicher Haushalte kann dies ein erhebliches Hindernis darstellen. Zudem erfordert Spatial Computing eine leistungsfähige digitale Infrastruktur, die in Deutschland nicht flächendeckend vorhanden ist.
- Datenschutz und Sicherheit: AR/VR-Anwendungen sammeln umfangreiche Daten über die Umgebung und das Nutzerverhalten. Dies wirft in Deutschland mit seinen strengen Datenschutzgesetzen besondere Fragen auf. Die Einhaltung der DSGVO und die Gewährleistung der Datensicherheit sind entscheidend für die Akzeptanz.
- Digitale Kluft: Nicht alle Bürgerinnen und Bürger haben Zugang zu AR/VR-Geräten oder die nötigen digitalen Kompetenzen für deren Nutzung. Dies könnte zu einer Verstärkung der digitalen Kluft führen, wenn nicht entsprechende Maßnahmen ergriffen werden.
- Organisatorische und kulturelle Barrieren: In deutschen Behörden gibt es oft Vorbehalte gegenüber neuen Technologien. Die Integration von Spatial Computing erfordert nicht nur technische, sondern auch organisatorische und kulturelle Veränderungen.
- Standardisierung und Interoperabilität: Die föderale Struktur Deutschlands kann zu unterschiedlichen Standards und Systemen führen, was die Interoperabilität von Spatial-Computing-Anwendungen zwischen verschiedenen Behörden und Verwaltungsebenen erschwert.
Der Weg nach vorn: Handlungsempfehlungen für den deutschen öffentlichen Sektor
Um das Potenzial von Spatial Computing und immersiven Technologien zu nutzen, sollte der deutsche öffentliche Sektor folgende Maßnahmen ergreifen:
- Entwicklung einer nationalen Strategie für Spatial Computing: Eine koordinierte Strategie, die Ziele, Ressourcen und Zeitpläne für die Implementierung von AR/VR im öffentlichen Sektor festlegt.
- Pilotprojekte in Schlüsselbereichen: Gezielte Pilotprojekte in Bereichen wie Stadtplanung, Bildung und Katastrophenschutz, um Erfahrungen zu sammeln und Best Practices zu entwickeln.
- Öffentlich-private Partnerschaften: Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft und Forschungseinrichtungen, um innovative AR/VR-Lösungen für den öffentlichen Sektor zu entwickeln.
- Investitionen in digitale Infrastruktur: Ausbau der digitalen Infrastruktur, insbesondere in ländlichen Gebieten, um die Voraussetzungen für Spatial Computing zu schaffen.
- Entwicklung von Datenschutzrichtlinien: Spezifische Richtlinien für den Umgang mit Daten in AR/VR-Anwendungen, die den deutschen Datenschutzstandards entsprechen.
- Förderung digitaler Kompetenzen: Programme zur Förderung digitaler Kompetenzen bei Bürgern und Behördenmitarbeitern, um die Nutzung von AR/VR-Anwendungen zu erleichtern.
- Schaffung von AR/VR-Zugangspunkten: Öffentliche Zugangspunkte für AR/VR-Technologien in Bibliotheken, Bürgerzentren und anderen öffentlichen Einrichtungen, um die Zugänglichkeit zu erhöhen.
Ausblick
Durch die strategische Implementierung von Spatial Computing und immersiven Technologien kann der deutsche öffentliche Sektor die Bürgerbeteiligung fördern, die Effizienz steigern und innovative Lösungen für komplexe Herausforderungen entwickeln. Entscheidend ist ein ausgewogener Ansatz, der technologische Innovation mit deutschen Werten wie Datenschutz, Inklusion und Bürgerbeteiligung verbindet.
Im nächsten Teil unserer Serie werden wir uns mit dem dritten großen GovTech-Trend 2025 befassen: Cybersicherheit und Post-Quantum-Kryptographie. Wir werden untersuchen, wie neue Sicherheitsansätze angesichts zunehmender Cyberbedrohungen und der bevorstehenden Quantencomputerära den öffentlichen Sektor vor beispiellose Herausforderungen stellen und welche Strategien erforderlich sind, um diesen zu begegnen.
Dennis Hillemann
Johannes Voß-Lünemann
Dennis Hillemann ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und berät zur digitalen Transformation im öffentlichen Sektor. Johannes Voß-Lünemann ist Rechtsanwalt mit Fokus auf das Vergaberecht und Verwaltungsrecht. Sie beraten Unternehmen und Verwaltungen zu den Auswirkungen technologischer Veränderungen und plädieren für eine progressive, aber rechtssichere Digitalisierung.
Dies ist der zweite Teil einer siebenteiligen Serie über die wichtigsten GovTech-Trends 2025, die den öffentlichen Sektor weltweit transformieren.