Das seit dem 1. Januar 2023 geltende LkSG erfasst seit dem 1. Januar dieses Jahres auch Unternehmen, die regelmäßig mindestens 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen – zuvor lag die Grenze bei 3.000. Damit steigt die Anzahl der vom Gesetz erfassten deutschen Unternehmen von bislang etwa 900 auf rund 2.900 Unternehmen an (vgl. BT-Drs. 19/28649, 26). Höchste Zeit, sich wieder in Erinnerung zu rufen, welche Schnittmengen das LkSG mit dem Vergaberecht hat. Denn: Bei § 22 LkSG handelt es sich um nichts Anderes als materielles Vergaberecht.
§ 22 LkSG ermöglicht den Ausschluss eines Unternehmens, soweit es unter den oben genannten persönlichen Anwendungsbereich des LkSG fällt, von der Vergabe öffentlicher Aufträge. Voraussetzung dafür sind bestimmte Verstöße gegen das LkSG, für die eine Geldbuße von wenigstens EUR 175.000 festgesetzt wurde. Hierzu muss in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren durch die zuständige Behörde eine rechtskräftige Bußgeldentscheidung gegen das Unternehmen erlassen worden sein. Die Grundlage der Bußgeldentscheidung muss wiederum ein Verstoß gegen eine der gem. § 24 Abs. 1 LkSG bußgeldbewehrten Pflichten sein, die ihrerseits die materiellen Sorgfaltspflichten des LkSG betreffen.
Zur Prüfung des Nichtvorliegens der Ausschlussgründe kann der Auftraggeber die Vorlage entsprechender Eigenerklärungen abfragen. Ebenso ermöglicht eine Abfrage aus dem Wettbewerbsregister, die oberhalb eines geschätzten Auftragswerts von EUR 30.000 zwingend erfolgen muss (vgl. § 6 Abs. 1 WRegG), die Feststellung eines eingetragenen Bußgeldes. Der Ausschluss darf nur innerhalb eines Zeitraums von bis zu drei Jahren und zudem nur bis zur nachgewiesenen Selbstreinigung nach § 125 GWB erfolgen. Bevor die Entscheidung über den Ausschluss ergeht, ist der betroffene Bewerber zwingend nach § 22 Abs. 3 LkSG anzuhören.
Bei der Norm handelt es sich somit um einen spezialgesetzlichen fakultativen Ausschlussgrund. Sie gleicht damit anderen Regelungen wie § 19 MiLoG oder § 21 SchwarzArbG. Unternehmen, die gegen diese Normen verstoßen, können – oder wie bei § 22 LkSG sollen – neben einer Bußgeldsanktion auch von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, soweit das verhängte Bußgeld eine gewisse Grenze überschreitet. Mit der Bußgeldschwelle soll gewährleistet werden, dass nur schwerwiegende Verstöße zu einem Ausschluss von dem Vergabeverfahren führen. § 22 LkSG ist für alle öffentlichen Auftraggeber und Sektorenauftraggeber anwendbar, nicht aber für Konzessionsauftraggeber.
Im Einzelnen sind noch einige Fragen zur praktischen Umsetzung des Gesetzes offen: Obwohl das Gesetz davon spricht, dass der Ausschluss innerhalb eines Zeitraums von bis zu drei Jahren erfolgen kann, ist unklar, auf welchen konkreten Zeitpunkt für den Beginn der Ausschlussfrist abgestellt wird. Aus objektiven Gründen spricht jedoch viel dafür, auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der Bußgeldentscheidung abzustellen. Weiterhin gilt § 22 LkSG auch für die Mitglieder von Bewerber- oder Bietergemeinschaften. Unter Umgehungsgesichtspunkten wird daher vertreten, auch Eignungsleihgeber und Unterauftragnehmer in die Prüfung miteinzubeziehen, wobei hier fraglich ist, inwieweit öffentliche Auftraggeber einer Prüfpflicht unterliegen. Eindeutige Wege der Praxis haben sich zu derartigen Fragen noch nicht herauskristallisiert. Die weiteren Entwicklungen des Gesetzes bleiben daher auch aus vergaberechtlicher Perspektive spannend.
Nach derzeitigem Stand ist eine weitere Verschärfung des Gesetzes bereits absehbar: In einer Pressemitteilung vom 14. Dezember 2023 teilte das EU-Parlament mit, dass in den Verhandlungen des Parlaments und des Rates zur neuen EU-Lieferketten-Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937 eine vorläufige Einigung auf den Entwurfstext erzielt wurde (hier abrufbar). Die darin enthaltenen Sorgfaltspflichten entlang der Wertschöpfungskette gelten für Unternehmen ab einer Größe von 500 Beschäftigten und einem Mindestumsatz von 150 Mio. EUR. Auch das Vergaberecht wäre tangiert, da die Einhaltung der Richtlinie als Kriterium für die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen herangezogen werden könnte. Allerdings muss der Entwurf zunächst das weitere EU-Gesetzgebungsverfahren durchlaufen. Nach aktuellen Presseberichten (Stand: 9. Februar 2024) wurde die Abstimmung im EU-Ministerrat u. a. auf Drängen Deutschlands zunächst verschoben. Schließlich muss auch das EU-Parlament noch zustimmen. Nach Inkrafttreten erfolgt die Umsetzung in die nationalen Gesetze, hier also das LkSG. Mit einer weiteren Anpassung des LkSG ist gegenwärtig also frühestens 2026 zu rechnen.