Der 20. Januar 2025 ist zweifelsohne ein wichtiger Tag. In den USA wird der alte und neue US-Präsident Donald Trump vereidigt. Schon zuvor hatte sich in den USA seit längerer Zeit Streit um die Beachtung von ESG-Aspekten durch Unternehmen und institutionelle Anleger entwickelt. Diese Diskussion ist auch nach Deutschland und Europa übergeschwappt und vermischt sich mit dem jahrzehntealten Thema des Bürokratieabbaus. Ein erstes Beispiel dafür war das bereits recht holprige Zustandekommen der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD). Die Diskussion um die Abschaffung des LkSG ein zweites (vgl. dazu unseren Blog-Beitrag vom 9. Dezember 2024: Warum man das LkSG weiterhin ernst nehmen muss (auch die Geschäftsleitung) und was das (auch) mit der ausstehenden Umsetzung der CSRD zu tun hat | ADVANT Beiten). Im November 2024 hat der Europäische Rat in der Budapester Erklärung zum "Neuen Deal für die europäische Wettbewerbsfähigkeit" einen "revolutionären Vereinfachungsprozess" eingefordert, der insbesondere eine Verringerung der Nachhaltigkeitsberichtspflichten um mindestens 25 Prozent mit sich bringen soll (Erklärung von Budapest zum Neuen Deal für die europäische Wettbewerbsfähigkeit - Consilium). Aufbauend darauf hat die EU-Kommission eine so genannte Omnibus-Verordnung zur Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), der Taxonomie-VO und der erst im Sommer 2024 in Kraft getretenen CSDDD angekündigt. Seither wird munter gerätselt und gefordert, was diese Omnibus-Verordnung im Einzelnen enthalten soll. Ein erster konkreter Entwurf der Kommission wird für Ende Februar erwartet. Noch ein weiterer Mosaikstein in diesem aktuellen Bild ist der Umstand, dass die bereits 2022 in Kraft getretenen CSRD infolge des vorzeitigen Endes der Ampel-Koalition noch nicht in deutsches Recht umgesetzt worden ist, was wiederum denjenigen Unternehmen erhebliche Rechtsunsicherheiten bereitet, die erstmalig für das Geschäftsjahr 2024 zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet gewesen wären und sich in Erwartung einer noch halbwegs rechtzeitigen Umsetzung der CSRD ins deutsche Recht dementsprechend vorbereitet hatten (vgl. dazu ebenfalls unseren vorbezeichneten Blogbeitrag).
Das alles könnte man kritisch als hektisches Hin und Her bewerten, das von den Zielen klarer und effizienter Vorgaben, Vorhersehbarkeit und Planungssicherheit einigermaßen weit entfernt zu sein scheint. Gleichzeitig kommt die Frage, wie sich dieses mögliche "Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln" auf Seiten des Gesetzgebers bei den betroffenen Unternehmen auswirkt. Unabhängig von den andauernden politischen Diskussionen um die neuen ESG-Regulierungen gibt es für das Thema ESG aber auch einige rechtliche Determinanten, die in jedem Fall Fortbestand haben dürften:
Bereits geltende Gesetze sind natürlich zu beachten (Stichwort Compliance), und zwar solange sie gelten. Die bloße Möglichkeit einer Abschaffung von Gesetzen ist keine hinreichende Rechtfertigung, sich an diese Gesetze schon zuvor nicht mehr zu halten. Das gilt zum Beispiel für das LkSG, das seit 1. Januar 2023 geltendes deutsches Recht ist (vgl. dazu unseren vorbezeichneten Blogbeitrag). Zu den geltenden Gesetzen gehören aber auch die althergebrachten allgemeinen Sorgfaltsanforderungen an das Handeln von Vorständen und Geschäftsführern, bei denen immer mal wieder über Modifikationen – gerade bezüglich der Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung in Form der Schadenersatzhaftung – diskutiert wird, aber nicht über eine umfassende Abschaffung: "Die Vorstandsmitglieder haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden.", § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG. Und dem Satz 2 der Vorschrift ist zu entnehmen, dass unternehmerische Entscheidungen auf der Grundlage angemessener Information zum Wohl der Gesellschaft getroffen werden sollen. Was bedeutet das für unternehmerischen Entscheidungen – und hier gerade auch Kardinalentscheidungen zu Unternehmensstrategie und Geschäftsmodell, für die (auch) ESG-Aspekte relevant sind und damit zur angemessen Informationsgrundlage zählen? Dann sollte der Vorstand diese ESG-Aspekte bei seiner Entscheidung (neben allen anderen relevanten Aspekten) angemessen (mit-)berücksichtigen, wenn er im Falle einer unerfreulichen weiteren Unternehmensentwicklung später nicht Pflichtverletzungsvorwürfen und Haftungsansprüchen ausgesetzt sein möchte. Und zwar ganz unabhängig von CSRD, Taxonomie-VO, CSDDD und der angekündigten Omnibus-Verordnung (vgl. im Einzelnen Walden, NZG 2020, 50 ff.: "Corporate Social Responsibility: Rechte, Pflichten und Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat").
Ein anderer, damit eng verbundener Punkt findet sich im Bereich der Bankenaufsicht. Die Aufsicht hat bereits vor einigen Jahren die Bedeutung von ESG-Risiken und die Notwendigkeit ihrer Erfassung im klassischen Risikomanagement hervorgehoben. Mittlerweile enthält die MaRisk zahlreiche detaillierte Regelungen dazu. Und gerade erst am 9. Januar 2025 hat die European Banking Authority (EBA) ihre "Guidelines on the management of environmental, social and governance (ESG) risk" (Final Guidelines on the management of ESG risks.pdf) veröffentlicht. Dort ist in der Executive Summary erneut zu lesen:
"ESG risks, in particular environmental risks through transition and physical risk drivers, pose challenges to the safety and soundness of institutions and may affect all traditional categories of financial risks to which they are exposed. To ensure the resilience of the business model and risk profile of institutions in the short, medium and long term, the guidelines set requirements for the internal processes and ESG risk management arrangements that institutions should have in place. […] Institutions should integrate ESG risks into their regular risk management framework by considering their role as potential drivers of all traditional categories of financial risks, including credit, market, operational, reputational, liquidity, business model, and concentration risks." (Hervorhebungen durch den Verfasser)
Für die Unternehmen der Realwirtschaft folgt daraus zweierlei: Erstens: Wenn ESG-Risiken für Finanzinstitute relevant sind, dann sind sie es auch und erst recht auch für ihre Kunden. Denn die ESG-Risiken der Institute ergeben sich häufig aus den ESG-Risiko ihrer Kunden, etwa wenn ein solches Risiko als Kreditrisiko auf das Institut durchschlägt. Daher tun nicht nur die Institute, sondern auch die Unternehmen der Realwirtschaft gut daran, ESG-Risiken in ihren traditionellen (und seit Wirecard in § 90 AktG jedenfalls auch für börsennotierte Gesellschaften der Realwirtschaft gesetzlich vorgeschriebenen) Risikomanagementsystemen zu berücksichtigen, um mögliche negative Folgen einer fehlenden oder unzureichenden Berücksichtigung von ESG-Risiken auf das Unternehmen möglichst zu vermeiden. Und zweitens: Unabhängig von der entsprechenden Ausgestaltung des eigenen Risikomanagements ist auch insoweit ein "trickle-down"-Effekt zu erwarten, da sich die Institute im Zuge ihrer eigenen Risikomanagementprozesse um entsprechende Informationen ihren Kunden bemühen müssen und diese sich daher mit entsprechende Informationsanfragen konfrontiert sehen. So hat die Einbeziehung von ESG-Aspekten in die Kreditprozesse der Institute bereits begonnen.
Als Kehrseite zu den ESG-Risiken sollten Vorstände und Geschäftsführer auch etwaige ESG-Chancen im Blick behalten. Für viele Unternehmen mag die Transformation der Wirtschaft auch neue Geschäftschancen beinhalten, die ebenso wie andere Geschäftschancen zu behandeln sind.
All das gilt natürlich in erster Linie für die klassische Outside-In-Perspektive der Unternehmen, aber mittelbar unter Umständen auch für die von der CSRD unter dem Gesichtspunkt der doppelten Wesentlichkeit angesprochenen Inside-Out-Perspektive, d.h. den Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit auf die Umwelt und die Gesellschaft. Denn derartige nachteilige Auswirkungen können auf das Unternehmen zurückfallen, wenn sie von relevanten Bezugsgruppen wie z.B. (ggf. potentiellen) Kunden und Mitarbeitern kritisch betrachtet werden. Und schließlich ist auch der Blick in die Lieferkette spätestens seit Corona und zunehmenden geopolitischen Ungewissheiten nichts Neues mehr.
Im Ergebnis erscheint eine Auseinandersetzung mit den für das spezifische Unternehmen relevanten ESG-Risiken und ESG-Chance mit Blick auf die allgemeinen Leitungspflichten von Vorstand und Geschäftsführung also auch unabhängig von der CSRD sinnvoll. Interessanterweise haben sich mit Blick auf die Omnibus-Pläne der EU-Kommission laut Presseberichten unlängst die der französischen Organisation C3D angehörenden Chief Sustainability Officers (CSOs) von mehr als 400 französischen Unternehmen an die EU-Kommission gewandt und betont, dass “ESG reporting and value chain assessment” wesentlich seien "for resilience" sowie “for survival, growth, and long-term competitiveness” der europäischen Unternehmen. Zudem würden sie die Souveränität Europas stärken, indem europäische Normen globale Standards setzen, anstatt dies anderen konkurrierenden Rechtsordnungen zu überlassen (damit ist wohl der sog. Brussel's Effect angesprochen). Die französischen CSOs raten der EU-Kommission daher zu praktischen Maßnahmen zur Verbesserung der Klarheit und Wirksamkeit der Regulierungen, ohne ihre strategischen Ziele zu gefährden. Wie bereits einleitend deutlich wurde, gibt es freilich genügend Stimmen, die eine gegenteilige Auffassung vertreten und eine unveränderte Fortführung als gravierenden Wettbewerbsnachteil ansehen.
Es bleibt daher auf jeden Fall spannend, wie diese Diskussion sich weiter entwickeln wird. Relevante ESG-Aspekte bereits "nur" deshalb außer Acht zu lassen, könnte sich für Unternehmensleiter als riskant erweisen. Das Treffen von abgewogenen Entscheidungen auf angemessener Informationsgrundlage bleibt (auch) insoweit das A und O.
Dr. Daniel Walden
Dr. André Depping