So oder so ähnlich könnte man den "Competitiveness Compass" bzw. "Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“ zusammenfassen, den die EU Kommission am 29. Januar 2025 vorgelegt hat (Ein EU-Kompass, um wieder wettbewerbsfähig zu werden). In dem Kompass definiert die EU Kommission den strategischen Rahmen für ihre Arbeit in den kommenden fünf Jahren. Das Ziel: Die Wirtschaft in der EU ankurbeln.
Interessant ist zunächst die zugrundeliegende Analyse der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einem Pressegespräch: "Our business model has basically relied on cheap labor, from China presumably, cheap energy from Russia and partially outsourcing security and security investment. These days are gone."
Die Konsequenz daraus: Die im Kompass näher dargestellten Pläne der EU Kommission für die drei Handlungsschwerpunkte Innovation, Dekarbonisierung und Sicherheit, die ihrerseits auf den Empfehlungen des Draghi-Berichts beruhen. Ziel der Kommission ist es, Europa zu dem Ort zu machen, an dem die Technologien, Dienstleistungen und sauberen Produkte von morgen erfunden, hergestellt und vermarktet werden, und dabei den Kurs auf Klimaneutralität beizubehalten. Damit gibt der Kompass einen ersten Ausblick zu der Frage, ob dem Thema ESG angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen in der EU das Aus droht (vgl. grundlegend dazu unseren Blog-Beitrag Kommt nun das Aus für ESG? | ADVANT Beiten). Dass die Transformation der Wirtschaft insgesamt ad acta gelegt werden soll, ist auf Grundlage des Kompasses also erst einmal nicht zu erwarten.
Was sich aber offensichtlich gravierend ändern soll, sind die Mittel: Die EU Kommission beschreibt im Kompass fünf so genannte "horizontale Faktoren für Wettbewerbsfähigkeit", mit denen sie ihre Ziele in den drei Handlungsschwerpunkten Innovation, Dekarbonisierung und Sicherheit erreichen will. Aus rechtlicher Sicht besonders relevant ist der erste Faktor "Vereinfachung", mit dem eine drastische Reduzierung des Regelungs- und Verwaltungsaufwands angekündigt wird. Hinzu kommt der beabsichtigte Abbau von Hindernissen für den Binnenmarkt, die Vorstellung einer "Europäischen Spar- und Investitionsunion" zwecks Finanzierung des gesamten Unterfangens, die Förderung von Kompetenzen und hochwertigen Arbeitsplätzen und eine bessere Koordinierung der politischen Maßnahmen auf EU- und nationaler Ebene.
Der im Kompass angeführte Aspekt der Vereinfachung erfordert offensichtlich einen grundlegenden Wandel. Hier will die EU Kommission selbst voranschreiten und kündigt bereits für Februar 2025 eine erste Reihe von "Simplification Omnibus packages" an. Einer – und auch der erste – Omnibus soll weitreichende Vereinfachungen in den Bereichen Nachhaltigkeitsberichterstattung, nachhaltigkeitsbezogene Sorgfaltspflichten und Taxonomie umfassen. Angesprochen sind damit die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) und die Taxonomie-VO. Diesbezügliche Erleichterungen hatte die EU Kommission bereits in Folge der Budapester Erklärung zum "Neuen Deal für die europäische Wettbewerbsfähigkeit" im Herbst letzten Jahres angekündigt. Der Agenda für die kommende Kommissionssitzung am 26. Februar 2025 zufolge zeichnet für den entsprechenden TOP "Omnibus package: Chapeau communication and omnibus proposal" neben dem Vizepräsident Stéphane Séjourné nunmehr auch die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen selbst verantwortlich. Das mag Ausdruck der politischen Bedeutung dieses Vorhabens und der vielen diesbezüglichen Forderungen (mittlerweile etwa auch seitens der EVP sowie der deutschen und französischen Regierung) sein.
Ein erster Hinweis auf den Inhalt dieses "ersten Omnibusses" lässt sich dem Kompass auch bereits entnehmen: Um eine der Unternehmensgröße angepasste Regulierung zu gewährleisten, will die EU Kommission eine Definition für eine neue Unternehmenskategorie, die so genannten "small micaps", vorschlagen. Dabei soll es sich um Unternehmen handeln, die größer sind als KMU, aber kleiner als Großunternehmen. Die EU Kommission kündigt an, dass dadurch Tausende von Unternehmen in der EU im gleichen Sinne wie die KMU von einer maßgeschneiderten Vereinfachung der Rechtsvorschriften profitieren sollen. Das könnte so verstanden werden, dass etwa der Anwendungsbereich der CSRD, in den ab 1. Januar 2025 eigentlich alle großen Kapitalgesellschaften i.S.v. § 267 Abs. 3 HGB fallen sollen, entsprechend eingeschränkt werden soll.
Was bedeutet das für die Unternehmen? Allein mit der Umsetzung der angekündigten Vereinfachungen durch den jeweiligen Gesetzgeber wird es in der Regel noch nicht getan sein. Vielmehr sind derartige Vereinfachungen im zweiten Schritt von den einzelnen Unternehmen umzusetzen. Dabei wird zu beleuchten sein, inwieweit die vom jeweiligen Unternehmen eingerichteten Prozesse sinnvoll angepasst werden können und sollen. Allein der Wegfall einer gesetzlichen Vorschrift macht einen eingerichteten Prozess nicht von vornherein obsolet. Zur Verdeutlichung ein (etwas überspitztes) Beispiel: Würde etwa die infolge des Wirecard-Skandals in § 91 Abs. 3 AktG aufgenommene Pflicht des Vorstands einer börsennotierten Aktiengesellschaft zur Einrichtung eines angemessenen internen Kontrollsystems (IKS) und Risikomanagementsystems (RMS) wieder aufgehoben, wäre es in der Regel über das Ziel hinausgeschossen, IKS und RMS postwendend vollständig abzuschaffen. Was aber sinnvoll und geboten ist, ist im Auge zu behalten, welche regulatorischen Vereinfachungen der von der EU Kommission insoweit angekündigte Wandel über die Zeit mit sich bringen wird und wie diese sodann in entsprechende Vereinfachungen der unternehmensinternen Prozesse übersetzt werden können. Ziel muss es dabei bleiben, dass Entscheidungen jeweils auf einer sinnvollen Informationsgrundlage getroffen werden können. Die individuellen Gestaltungsspielräume würden also wieder größer. Das bedeutet aber nicht, dass etwa ESG-Themen für Unternehmen fortan keine Rolle mehr spielen. Vielmehr steht jedenfalls Stand jetzt die Transformation der Wirtschaft und die sich daraus ergebenden Chancen und Risiken für die Geschäftsmodelle nahezu aller Unternehmen weiter auf der Tagesordnung.
Dr. Daniel Walden
Dr. André Depping