Mit Urteil vom 19. September 2024 (Az.: IV R 5/20) stellt der BFH klar, dass Bilanzierungskonkurrenzen zwischen Sonderbetriebsvermögen vorrangig nach zeitlicher Reihenfolge zu entscheiden sind. Nur bei zeitgleicher Entstehung der Voraussetzungen treten qualitative Kriterien in den Vordergrund.
Der Begriff des Sonderbetriebsvermögens wird gesetzlich nicht erläutert, findet allerdings in einigen Steuerrechtsnormen (beispielsweise § 6 Abs. 5 S. 2, 3 EStG) Erwähnung. Nach ständiger Rechtsprechung gehören zum notwendigen Betriebsvermögen einer mitunternehmerischen Personengesellschaft nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 EStG zusätzlich zu den im Gesamthandseigentum der Mitunternehmerschaft stehenden Wirtschaftsgüter auch solche Wirtschaftsgüter, die einem Mitunternehmer gehören, wenn sie geeignet und bestimmt sind, dem Betrieb der Personengesellschaft (Sonderbetriebsvermögen I) oder der Beteiligung des Gesellschafters an der Personengesellschaft (Sonderbetriebsvermögen II) zu dienen.
Im Zusammenhang mit dem Sonderbetriebsvermögen sind zahlreiche Fälle von Bilanzierungskonkurrenzen in der Steuerbilanz denkbar. So kann die Situation auftreten, dass eine Person (natürliche Person, Personengesellschaft, Körperschaft) an mehreren Personengesellschaften beteiligt ist und ein dem Mitunternehmer gehörendes Wirtschaftsgut eine Sonderbetriebsvermögenseigenschaft bei verschiedenen Mitunternehmern aufweist. Hier stellt sich die Frage, wie die Bilanzierungskonkurrenz bei Vorliegen mehrerer potenzieller Sonderbetriebsvermögen aufgelöst werden kann.
Der BFH hat bereits in früheren Urteilen bestätigt, dass für die Zuordnung von Sonderbetriebsvermögen im Fall einer Bilanzierungskonkurrenz grundsätzlich zeitliche und qualitative Kriterien heranzuziehen sind. Darüber hinaus stellt der BFH nun allerdings klar, dass die zeitliche Abfolge an erster Stelle steht. Ist ein Wirtschaftsgut danach vor der Entstehung der Bilanzierungskonkurrenz richtigerweise einem Sonderbetriebsvermögen zugeordnet worden, kann die spätere Entstehung der Konkurrenz eine Änderung der Zuordnung zu einem anderen Sonderbetriebsvermögen nicht begründen. Qualitative Kriterien sind lediglich bei zeitgleicher Entstehung der Voraussetzungen heranzuziehen.
Vor allem im Kontext der steuerlichen Behandlung erscheint die Klarstellung logisch und konsequent. Würde sich die Zuordnung primär nach qualitativen Kriterien richten, könnte sich die Zuordnung des Sonderbetriebsvermögens bei jeder weiteren Bilanzierungskonkurrenz ungewollt ändern. Dabei würde es zu einer fingierten Entnahme der Anteile ggf. verbunden mit unangenehmen steuerlichen Belastungskonsequenzen kommen. Es würden darüber hinaus erhebliche steuerliche Unsicherheiten bei der Zuordnungsentscheidung nach qualitativen Merkmalen entstehen, die nicht vertretbar wären.
Die Entscheidung des BFH ist besonders für die steuerrechtliche Praxis begrüßenswert, da sie eine möglichst rechtssichere sowie steuereffiziente Planung ermöglicht. Dabei gilt, dass stille Reserven niemals unbemerkt aufgedeckt werden sollten.
Diese Entscheidung zeigt aus unserer Sicht, dass das Konstrukt des Sonderbetriebsvermögens, welches seine Rechtfertigung im Wesentlichen aus der Gleichstellung bei der Gewerbesteuer zwischen Einzel- und Mitunternehmer bezieht, erhebliche rechtliche Unsicherheiten und damit Planungsunsicherheiten mit sich bringt.
Vor diesem Hintergrund ist der Vorstoß der Abschaffung des Sonderbetriebsvermögens und des Rechtsinstituts der Betreibsaufspaltung der Expertengruppe um Herrn Professor Schön im Abschlussbericht der Expertenkommission „Vereinfachte Unternehmensteuer“ in der 2. Auflage (Stand: November 2024), insbesondere unter Ziffer 3.4, Seite 56ff zu begrüßen. Die Aufgabe des Sonderbetriebsvermögens und der Betriebsaufspaltung geht zwar nicht ohne systemische Anpassungen einher (bspw. Abschaffung der Spekulationsfrist im § 23 EStG, Anpassung gewerbesteuerlicher Hinzurechnungsvorschriften im § 8 Nr. 1 d-f, 9 Nr. 1 GewStG, Erweiterung der gewerbesteuerlichen Anrechnung nach § 35 EStG). Allerdings könnten die gemachten Änderungsvorschläge nicht nur zu einer Vereinfachung (bürokratisch und rechtlich) führen, sondern im Ergebnis sogar zu einer gerechteren, rechtsformneutraleren Besteuerung.
Marcus Mische
Jakob Gerstung