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    20.10.2025

    BFH: Zehnjährige Festsetzungsfrist erfordert Feststellungen zum objektiven und subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung


    Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seinem Urteil vom 9. April 2025, Az. II R 39/21, entschieden, dass ein Zwischenurteil gemäß § 99 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) über die verlängerte Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 S. 2 Alt. 1 der Abgabenordnung (AO) wegen Steuerhinterziehung nicht ergehen kann, wenn Feststellungen über Grund und Höhe des jeweiligen Steueranspruchs und damit zum objektiven und subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung fehlen. 

    1. Praktische Bedeutung 

    Die Entscheidung des BFH verdeutlicht, dass Veranlagungsverfahren mit steuerrechtlicher und strafrechtlicher Expertise begleitet werden sollten. Es zeigt sich, dass Finanzämter bei möglichen Verkürzungsfällen im Veranlagungsverfahren sehr schnell von einer Steuerhinterziehung ausgehen und die Festsetzungsfrist auf zehn Jahre verlängern. Für Steuerpflichtige können hiermit erhebliche finanzielle Belastungen und ggf. auch strafrechtliche Konsequenzen verbunden sein. 

    Behörden und Gerichte haben nach § 116 Abs. 1 AO eine Mitteilungspflicht gegenüber den Finanzbehörden über Tatsachen, die auf eine Steuerstraftat schließen lassen. Die Bußgeld- und Strafsachenstelle (BuStra) prüft nach Eingang der Mitteilung, ob Anhaltspunkte für eine verfolgbare (unverjährte) Straftat vorliegen. Ist bereits Verfolgungsverjährung eingetreten, entfällt die strafrechtliche Aufarbeitung einer etwaigen Steuerhinterziehung. Da die Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 S. 2 Alt. 1 AO das objektive Vorliegen einer Steuerhinterziehung unabhängig von einer strafrechtlichen Verfolgbarkeit voraussetzt, muss der Vorwurf dennoch im Rahmen des Besteuerungsverfahrens entkräftet werden. 

    Das Besteuerungs- und das Steuerstrafverfahren sind formal getrennt, aber faktisch eng verzahnt. Wird ein Steuerstrafverfahren eingeleitet, sollte der Ausgang des Besteuerungsverfahrens wegen der Parallelität beider Verfahren bis zum Abschluss des Steuerstrafverfahrens offengehalten werden, damit eine etwaige Entlastung des Mandaten Berücksichtigung finden und Nachteile vermieden werden können. 

    2. Sachverhalt

    Der Kläger und seine Ehefrau hatten sich mit gemeinschaftlichem Testament vom 22. Juli 1991 wechselseitig zu Alleinerben eingesetzt. Die Ehefrau des Klägers verstarb im Jahr 2007 als alleinige Erstbegünstigte einer Stiftung. Drei Tage vor ihrem Tod brachte sie einen Großteil ihrer Vermögenswerte in eine gemeinsam mit dem Kläger abgeschlossene Lebensversicherung ein. Das vom Kläger ca. zwei Monate später beim Nachlassgericht eingereichte Nachlassverzeichnis enthielt weder Ansprüche aus der Lebensversicherung noch dem verbliebenem Stiftungsvermögen. Da die restliche Erbschaft unter dem Freibetrag blieb, setzte das Finanzamt keine Erbschaftsteuer fest und forderte keine Erbschaftsteuererklärung an. Erst 2014 informierte der Kläger das Finanzamt über Ansprüche aus der Lebensversicherung. Daraufhin erließ das Finanzamt einen Erbschaftsteuerbescheid im Schätzwege und forderte vom Kläger eine Erbschaftsteuererklärung an. 

    Der Kläger machte geltend, dass die Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Das Finanzamt vertrat hingegen die Auffassung, dass eine verlängerte Festsetzungsfrist von 10 Jahren wegen Steuerhinterziehung gelte. Der Kläger habe durch das Unterlassen der Anzeige einer Vorschenkung eine Steuerhinterziehung begangen, was kausal dazu geführt habe, dass keine Erbschaftsteuererklärung angefordert worden sei. Zum anderen habe der Kläger durch Einreichung eines unvollständigen Nachlassverzeichnisses eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO in mittelbarer Täterschaft begangen. 

    Durch Zwischenurteil vom 17. Juni 2021 gab das Finanzgericht Nürnberg dem Finanzamt Recht. Das Finanzgericht stellte fest, dass bei Ergehen des Erbschaftsteuerbescheids vom 12. Januar 2015 die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen sei. Der Kläger habe eine Steuerhinterziehung in Bezug auf die Erbschaftsteuer begangen, indem er die Anzeige einer Vorschenkung unterlassen habe. Der Kläger legte Revision gegen das Zwischenurteil ein. 

    3. Entscheidung des BFH

    Der BFH hob das Zwischenurteil des Finanzgerichts mangels Sachdienlichkeit auf und wies die Revision des Klägers im Übrigen als unbegründet zurück. Ein Zwischenurteil kommt nach der Rechtsprechung des BFH nur zu solchen Vorfragen in Betracht, über die mit Sicherheit auch in einem Endurteil zu entscheiden wäre. Ein Zwischenurteil ist insbesondere dann sachdienlich, wenn die Klärung der Vorfrage zur Verfahrensvereinfachung oder -beschleunigung beiträgt. Die Sachdienlichkeit fehlt, wenn noch nicht alle für die abschließende Beantwortung der Vorfrage erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen sind.

    Der BFH entschied, dass das Finanzgericht ohne Feststellungen zu Grund und Höhe der jeweiligen Steueransprüche in Bezug auf die Erbschaftsteuer nicht über die verlängerte Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 S. 2 Alt. 1 AO entscheiden konnte. Die Festsetzungsfrist beträgt zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen worden ist. Sowohl der objektive als auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 AO erfordere Feststellungen zu Grund und Höhe des jeweiligen Steueranspruchs. 

    Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung setzt unter anderem voraus, dass der Steuerpflichtige durch eine der in § 370 Abs. 1 AO normierten Tathandlungen Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Steuern sind verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden (§ 370 Abs. 4 S. 1 AO). Der Umfang der Steuerverkürzungen ist anhand eines Vergleichs der bei wahrheitsgemäßen Angaben beziehungsweise pflichtgemäßem Verhalten von Gesetzes wegen angefallenen Steuer (Soll-Steuer) mit der tatsächlich – infolge der wahrheitswidrigen Angaben beziehungsweise des pflichtwidrigen Unterlassens zu niedrig – festgesetzten Steuer (Ist-Steuer) zu bestimmen. Steuerverkürzungen dürfen nicht durch andere Steueransprüche kompensiert werden – dies muss bei der Berechnung des Hinterziehungsbetrags berücksichtigt werden.

    Auch die Prüfung des subjektiven Tatbestandes setzt die Feststellung des Steueranspruchs dem Grunde und der Höhe nach voraus. Nach ständiger Rechtsprechung gehört zum Vorsatz der Steuerhinterziehung, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will beziehungsweise die Verkürzung billigend in Kauf nimmt. 

    Der BFH forderte das Finanzgericht auf, die fehlenden Feststellungen zur möglichen Steuerhinterziehung nachzuholen. Dabei sind insbesondere die steuerliche Zuordnung des Stiftungsvermögens bei Tod der Erblasserin, die steuerliche Behandlung von Lebensversicherungsansprüchen und die Reichweite der Anzeigepflicht nach § 30 ErbStG zu prüfen. Zudem ist zu klären, ob eine unterlassene Anzeige einer Vorschenkung gegenüber dem Nachlassgericht eine Verkürzung der Erbschaftssteuer in mittelbarer Täterschaft begründen kann. 

    Kristin Trittermann, LL.M.
    Robin Eberle

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