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    07.01.2025

    Unternehmensverbünde, Familie und die unwiderlegbare Vermutung: Chaos und Unsicherheiten im Umgang mit familiären Verbindungen


    Einleitung

    Die Diskussion um die unwiderlegbare Vermutung eines gemeinsamen Handelns bei familiären Verbindungen in Unternehmensverbünden sorgt weiterhin für Verwirrung und erhebliche rechtliche Unsicherheiten bei den Schlussabrechnungen. Besonders die Veröffentlichung des neuen Leitfadens durch das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) am 19. Juli 2024 hat die Situation nicht vereinfacht, sondern vielmehr neue Streitpunkte geschaffen. Die derzeitige Praxis der Bewilligungsstellen bleibt dazu unübersichtlich.

    Unwiderlegbare Vermutung oder doch nur eine Grundregel?

    Bis Mitte 2024 galt in der Bewilligungspraxis der Grundsatz, dass familiäre Verbindungen – etwa zwischen Ehepartnern, Eltern und Kindern oder Geschwistern – immer als Grundlage für einen Unternehmensverbund angesehen wurden. Diese sogenannte unwiderlegbare Vermutung führte dazu, dass Unternehmen in vielen Fällen als verbunden eingestuft wurden, auch wenn sie eigenständig operierten.

    Mit dem neuen Leitfaden vom 19. Juli scheint das BMWK diesen Grundsatz abgeschwächt zu haben. Es wird nicht mehr von einer unwiderlegbaren Vermutung gesprochen, sondern lediglich davon, dass bei familiären Verbindungen „grundsätzlich“ von einem gemeinsamen Handeln auszugehen sei. Gleichzeitig wird betont, dass atypische Fälle berücksichtigt werden müssen.

    Diese Formulierung wirft jedoch neue Fragen auf:

    • Was ist ein atypischer Fall? Der Leitfaden gibt keine klaren Kriterien vor, welche Konstellationen von der Grundregel abweichen könnten.
    • Rechtsunsicherheit: Bewilligungsstellen und Antragsteller müssen selbst beurteilen, ob ihre Situation unter einen atypischen Fall fällt – ein Ansatz, der zwangsläufig zu Uneinheitlichkeiten und Rechtsstreitigkeiten führen wird.

    Die Rolle rückwärts: Praxis in Bayern und anderen Bundesländern

    Während das BMWK den Anschein erweckt, dass die unwiderlegbare Vermutung aufgegeben wurde, zeigt die Praxis in Bayern eine völlig andere Richtung. Ein Rundschreiben der IHK für München und Oberbayern vom September 2024 bestätigt, dass:

    • Die unwiderlegbare Vermutung in Bayern weiterhin gilt.
    • Keine atypischen Fälle anerkannt werden, es sei denn, es handelt sich um Schausteller oder geschiedene Ehepartner.

    Dies steht im direkten Widerspruch zur Linie des BMWK, wonach Verwaltungspraxis Raum für abweichende Entscheidungen lassen müsse. Es zeigt sich, dass die Umsetzung der Leitlinien weiterhin stark von der regionalen Bewilligungspraxis abhängt, was zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen führen kann.

    Auch andere Bundesländer haben sich bisher nicht eindeutig positioniert dazu, was ein atypischer Fall sein könnte. Wir sehen in der Praxis hierzu unterschiedliche Formulierungen. In der Regel sollen es Fälle sein, die so weit vom Standard abweichen, dass eine Annahme der Vermutung unverhältnismäßig wäre. Doch wann das der Fall sein soll, das bleibt völlig offen.

    Konflikt: Leitfaden und Verwaltungspraxis

    Die Uneinheitlichkeit zwischen dem Leitfaden  des BMWK und der regionalen Praxis zeigt einen grundlegenden Konflikt:

    • BMWK-Position: Die FAQ und der Leitfaden sollen aus unserer Sicht eine bundesweit einheitliche Verwaltungspraxis gewährleisten und einen fairen Wettbewerb zwischen Unternehmen sicherstellen. Das allerdings bestreiten die Bewilligungsstellen, die der Ansicht sind, es komme nur auf ihre Verwaltungspraxis an.
    • Bewilligungsstellen: Die Verwaltungspraxis wird auf Landesebene definiert, und die FAQ werden nicht als verbindliches Recht angesehen.

    Dieser Widerspruch stellt Unternehmen und Steuerberater vor ein Dilemma: Sollen sie sich auf die bundesweite Auslegung des BMWK stützen oder sich strikt an die Vorgaben der regionalen Bewilligungsstellen halten?

    Praktische Folgen und Risiken für Steuerberater

    Die Rechtsunsicherheit beim Thema Unternehmensverbund bringt erhebliche Risiken mit sich, insbesondere für Steuerberater, die ihre Mandanten in diesen Fragen beraten. Typische Herausforderungen:

    1. Fehlerhafte Einschätzung eines atypischen Falls: Steuerberater laufen Gefahr, familiäre Verbindungen falsch einzustufen, was zu Rückforderungen und möglichen Haftungsansprüchen führen kann.
    2. Ignorieren der Verwaltungspraxis des jeweiligen Bundeslandes: Auch wenn der Leitfaden des BMWK formal gilt, entscheiden in der Praxis die Bewilligungsstellen auf Grundlage ihrer eigenen Verwaltungspraxis.
    3. Versäumte Dokumentation: Ohne eine klare und umfassende Dokumentation – etwa durch Begleitschreiben oder Gutachten – sind Mandanten kaum vor Rückforderungen geschützt.

    Empfehlungen

    • Begleitschreiben: Jeder Antrag oder jede Schlussabrechnung sollte durch ein rechtlich fundiertes Begleitschreiben ergänzt werden, das die individuelle Situation ausführlich darlegt. Dies kann (und sollte in vielen Fällen, die stritig sein könnten) auch noch nachträglich eingereicht werden. So haben Steuerberaterkammern ihre Mitglieder darauf hingewiesen, das ses wichtig ist, eine Abweichung von der bekannten Verwaltungspraxis schriftlich zu begründen.
    • Gutachten einholen: In komplexen Fällen sollte ein Anwalt mit Erfahrung hinzugezogen werden, um Risiken zu minimieren.
    • Ehrlich machen: Alle relevanten familiären Verbindungen und Unternehmensstrukturen sollten offengelegt werden, um spätere Sanktionen zu vermeiden.

    Ein Ausblick auf mögliche Rechtsentwicklungen

    Die Uneinheitlichkeit zwischen den FAQ, dem neuen Leitfaden und der regionalen Praxis wird zwangsläufig vor Gericht landen. Es ist absehbar, dass diese Streitigkeiten bis zum Bundesverwaltungsgericht oder sogar zum Europäischen Gerichtshof gehen werden. Besonders die folgende Frage steht im Fokus:

    • Verbindlichkeit der FAQ: Sind die Leitlinien des BMWK tatsächlich bindend, oder können Bewilligungsstellen eigene Regeln aufstellen?
    • Ist die derzeitige Praxis mit dem Verfassungsrecht, insbesondere Art. 6 GG (Schutz von Ehe und Familie) und Art. 3 GG (Gleichbehandlungsgrundsatz) vereinbar?
    • Ist die Auslegung der Bewilligungsstellen mit dem EU-Recht, insbesondere den EU-Grundrechten, vereinbar?

    Steuerberater und Unternehmen sollten sich daher auf langwierige Auseinandersetzungen einstellen und ihre Fälle möglichst gut dokumentieren. Bei Nachfragen der Bewilligungsstellen zum Thema Unternehmensverbund und Familie sollten Rechtsanwälte mit Erfahrung hinzugezogen werden.

    Fazit

    Das Chaos um die unwiderlegbare Vermutung bei Unternehmensverbünden zeigt einmal mehr die Herausforderungen und Unsicherheiten im Umgang mit den Corona-Überbrückungshilfen. Unternehmen und Steuerberater müssen sich auf regionale Abweichungen einstellen und gleichzeitig die bundesweite Linie des BMWK im Auge behalten.

    Für Steuerberater ist es essenziell, ihre Mandanten umfassend zu informieren und rechtliche Unterstützung einzuholen, um potenzielle Haftungsrisiken zu minimieren. Nutzen Sie auch das Überbrückungshilfe-Netzwerk, um sich mit anderen Experten auszutauschen und stets über die neuesten Entwicklungen informiert zu bleiben.

    Gerne unterstützen wir Sie bei ADVANT Beiten Sprechen Sie uns jederzeit gerne an.

    Dennis Hillemann
    Tanja Ehls

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