Der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat sich in einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung (Beschluss vom 26. Oktober 2022,Verg 18/22) mit den vergaberechtlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Aufklärung im Falle eines ungewöhnlich niedrig erscheinenden Angebots befasst. Trotz des eindeutigen Wortlauts des § 60 Abs. 1 Satz 1 VgV, wonach der Auftraggeber im Falle eines ungewöhnlich niedrigen Angebotes Aufklärung "verlangt", besteht nach Ansicht des OLG Düsseldorf keine Pflicht zur Einbeziehung des Bieters, wenn der öffentliche Auftraggeber aufgrund anderweitig gesicherter Erkenntnisse zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es sich nicht um ein ungewöhnlich niedriges Angebot handelt. Die anderweitig gesicherten Erkenntnisse konnte der öffentliche Auftraggeber im gegenständlichen Vergabeverfahren aus der zu eigen gemachten Auswertung der Angebote und Bewertung der Preise durch ein externes sachverständiges Unternehmen ziehen.
Der Auftraggeber schrieb IT-Dienstleistungen zum Betrieb und Hosting eines Messengers mit Videokonferenztool aus. Gemäß der Wertungsmatrix waren als Zuschlagskriterien mit 40 Prozent der Preis und mit 60 Prozent die Qualität des Gesamtkonzepts vorgesehen. Für das Zuschlagskriterium Preis wurde darüber hinaus festgelegt, dass die Ermittlung der Wertungspunkte mittels linearer Interpolation unter Heranziehung des Wertungspreises nach Preisblatt erfolgen sollte. Hierbei sollte das günstigste Angebot 40 Punkte erhalten und jedes Angebot, das größer als das 1,5-fache des günstigsten Angebotes ist, 0 Punkte.
In dem Bewertungsmodell zum Wertungspreis hieß es:
"1. Messenger: Zur Ermittlung des Wertungspreises wird von 700.000 Nutzern ausgegangen. Es wird der durch den Anbieter genannte Monatspreis je 100 Nutzer herangezogen und ein Grundpreis Messenger ermittelt. Auf diesen wird der Mittelwert der Nachlassstaffel Messenger angewendet.
2. Videokonferenz-Plugin: Zur Ermittlung des Wertungspreises wird eine Nutzung von 700.000 Nutzern zu 2 vollen Stunden bei 20 Tagen im Monat betrachtet. Es wird der durch den Anbieter genannte Monatspreis je 100 Nutzer pro Stunde herangezogen und ein fiktiver Monatspreis für das Videokonferenz-Plugin ermittelt. Auf diesen wird der Mittelwert der Nachlassstaffel Videokonferenz angewendet."
Zu den tatsächlichen und erwarteten Nutzungszahlen erläuterte die Leistungsbeschreibung, dass aktuell ca. 700.000 Nutzer an ca. 1.800 Schulen den Messenger und zusätzlich ca. 600 Schulen das Videokonferenz-Plugin nutzen würden. Da sich das Videokonferenz-Plugin in der Einführung befände, existiere ein belastbares Mengengerüst derzeit noch nicht. Eine Annäherung der Nutzerzahlen an die des Messengers werde erwartet. Die maximale Nutzerzahl läge bei ca. 2.650.000.
Die Abrechnung im Laufe der Vertragsdurchführung sollte im Falle des Messengers anhand der registrierten Nutzer, im Falle des Videokonferenz-Plugins anhand der tatsächlichen Nutzer erfolgen.
Mit Schreiben vom 29. Juli 2021 teilte der Auftraggeber der Antragstellerin mit, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden sollte, da dieses sowohl in dem Wertungskriterium des Preises als auch dem der Qualität unterlegen sei.
Die Antragstellerin erhob hiergegen Rüge – welcher der Auftraggeber nicht abhalf – und stellte parallel einen Antrag auf Nachprüfung.
Unter anderem rügte die Antragstellerin, dass das Angebot der Beigeladenen wegen eines ungewöhnlich niedrigen Preises von der Vergabestelle auf seine Auskömmlichkeit überprüft und sodann von dem Vergabeverfahren nach § 60 VgV ausgeschlossen hätte werden müssen. Zur Begründung führte die Antragstellerein an, dass es sich bei dem Angebot des Zuschlagsprätendenten entweder um ein Unterkostenangebot handeln müsse, die Vergabeunterlagen intransparent seien oder das Angebot die in den Vergabeunterlagen gesetzten Mindestanforderungen nicht erfülle. Anders sei die mehr als 50-prozentige Unterschreitung ihres eigenen bereits sehr wettbewerblich kalkulierten Angebotes nicht zu erklären.
Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurück. Hiergegen legte die Antragstellerin sofortige Beschwerde ein.
Der Senat stellte fest, dass die sofortige Beschwerde zulässig, aber nicht begründet sei.
Das Angebot der Beigeladenen sei nicht als unauskömmlich auszuschließen gewesen. Denn die Preisprüfung sei ordnungsgemäß erfolgt und die Auftraggeberin in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass der geringe Angebotspreis der Beigeladenen zufriedenstellend aufgeklärt sei.
Zwar sei bei einer Preisaufklärung im Grundsatz eine eindeutig formulierte Anforderung an den Bieter zu richten, mit der Erläuterungen zu den angebotenen Preisen verlangt werde. Diese Vorgabe gelte jedoch nicht absolut. Sofern anderweitige gesicherte Erkenntnisse, die die Feststellung rechtfertigten, das Angebot eines Bieters sei nicht ungewöhnlich oder unangemessen niedrig, dürfe auf eine Aufklärung durch den betroffenen Bieter verzichtet werden. In diesen Fällen eine Aufklärung unter Einbeziehung des Bieters rein aus formalen Gründen zu fordern, überzeuge nicht und widerspräche dem Beschleunigungsgebot, dem Vergabeverfahren im Allgemeinen unterliegen. Zudem sei dies auch kein ressourcenschonender Umgang mit den zur Verfügung stehenden personellen und finanziellen Mitteln.
Vorliegend sei Teil der eingeholten fachtechnischen Bewertung ein Vergleich der einzelnen Angebotspositionen der Antragstellerin und der Beigeladenen gewesen. Hieraus sei der Angebotspreis der Beigeladenen als auskömmlich hervorgegangen.
Zugleich hielt der Senat auch nochmal fest, dass die Pflicht des öffentlichen Auftraggebers, in eine Preisprüfung einzutreten, sich nicht nur aus dem Preis- und Kostenabstand zu den Konkurrenzangeboten ergeben könne, sondern auch aus Erfahrungswerten, insbesondere aus Erkenntnissen aus vorangegangenen vergleichbaren Ausschreibungen oder aus einem Vergleich mit der eigenen Auftragswertschätzung des
Auftraggebers.
Im hiesigen Fall setzt sich das OLG Düsseldorf mit den Anforderungen des § 60 Abs. 1 S. 1 VgV auseinander, welchen sich jeder öffentliche Auftraggeber regelmäßig zu stellen hat. Die Entscheidung des Senats spricht klare Worte, wenn sie auch den besonderen Fall der Einbeziehung sachverständiger Unterstützung bei der Angebotsauswertung betrifft. Sie unterstreicht jedoch zugleich, dass die Vorgabe des § 60 Abs. 1 S. 1 VgV keinen Selbstzweck erfüllt.
Wichtig ist, dass, wenn fachtechnische Bewertungen durch sachverständige Externe erfolgen, diese auch ausdrücklich einen Preisvergleich umfassen. Neben der Forderung einer Vornahme eines solchen Preisvergleiches, ist nachgelagert erforderlich, dass die Vergabestelle die fachtechnische Bewertung prüft und sich vor allem zu eigen macht. Vor dem Hintergrund, dass es für eine positive Preisaufklärung darauf ankommt, dass die Auskömmlichkeit der angebotenen Preise im Ergebnis der Preisaufklärung zur Überzeugung des Auftraggebers feststeht, ist der Entscheidung auch aus Sicht der Vergabepraxis zuzustimmen. Denn was sollten die Ausführungen des betreffenden Bieters zu den von ihm angebotenen Preisen noch zusätzlich bewirken, wenn der Auftraggeber bereits aus eigener bzw. der zu eigen gemachten Erkenntnis seines Fachberaters von der Auskömmlichkeit des Preisangebots überzeugt ist?
Die vom OLG Düsseldorf nunmehr akzeptierte Vorgehensweise dürfte allerdings nur für den Fall gelten, dass die Preisprüfung zu einem für den betreffenden Bieter positiven Ergebnis, also der Feststellung der Auskömmlichkeit, führt. Endet die Aufklärung durch Nutzung von Feststellungen und Informationen Dritter hingegen damit, dass Zweifel an der Auskömmlichkeit verbleiben, so wird der Auftraggeber in jedem Falle auch noch die Anhörung des Bieters selbst durchführen müssen, bevor er einen Ausschluss aufgrund Unauskömmlichkeit vornimmt. Dies gebietet zum einen bereits das vergaberechtliche Anhörungsgebot im Vorfeld negativer Entscheidungen, wie sie die Rechtsprechung z.B. auch im Vorfeld von Ausschlüssen nach den §§ 123 und 124 GWB verlangt. Zum anderen wird der Auftraggeber bei der Preisaufklärung die zunächst naheliegendste Möglichkeit, bestehende Zweifel an den ungewöhnlich niedrigen Preisen auszuräumen, nämlich die Anhörung des Bieters als deren "Urheber", nicht außer Acht lassen, wenn es darum geht, das Ergebnis belastbar abzurunden.