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    09.09.2019

    EuGH: Identitätswechsel eines Bieters durch Unternehmensverschmelzung ist zulässig


    Der Europäische Gerichtshof (EuGH) befasste sich in einer aktuellen Entscheidung (Urteil vom 11.07.2019; Rs. C-697/17) mit einem viel diskutierten Problemkreis des Vergaberechts: dem richtigen Umgang mit Änderungen der Bewerber- bzw. Bieteridentität während des Vergabeverfahrens. Konkret ging es um die Frage, ob bei einem nicht offenen, also zweistufigen Vergabeverfahren ein im Teilnahmewettbewerb erfolgreicher Bewerber auch dann ein Angebot abgeben darf, wenn er aufgrund einer zwischen Teilnahme- und Angebotsphase geschlossenen Verschmelzungsvereinbarung nach der Angebotsabgabe einen anderen erfolgreichen Bewerber aufnimmt.

     

    Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die Auslegung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2014/24/EU, der für das nicht offene Verfahren festlegt, dass nur derjenige ein Angebot einreichen darf, der auch an dem vorherigen Teilnahmewettbewerb teilgenommen und diesen erfolgreich absolviert hat. Die Regelung findet in § 16 Abs. 4 Satz 1 VgV ihre nationale Entsprechung, so dass die EuGH-Rechtsprechung auch für das deutsche Vergaberecht von Bedeutung ist.

     

    Der Gerichtshof relativiert in seiner Entscheidung das nach dem Wortlaut vermeintlich restriktive Verständnis der Vorschrift und nimmt zur Begründung auf ein früheres Urteil (EuGH, Urteil vom 24.05.2016 – C-396/14) und die darin bereits entwickelten Zulässigkeitsvoraussetzungen Bezug.

     

    Sachverhalt

     

    Eine italienische Auftraggeberin schrieb den Bau, die Unterhaltung und den Betrieb eines öffentlichen Ultrabreitbandnetzes in verschiedenen Regionen Italiens im Rahmen eines nicht offenen Verfahrens europaweit aus. Die zu vergebenden Leistungen wurden in fünf Lose aufgeteilt.

     

    Die Unternehmen O, T und M absolvierten erfolgreich den Teilnahmewettbewerb und wurden anschließend zur Angebotsabgabe aufgefordert. Die Auswertung der Angebote ergab, dass der Bieter O bei allen fünf Losen den ersten Rang belegte, der Bieter T erzielte bei vier der fünf Lose den zweiten Rang. Das Unternehmen M gab kein Angebot ab. Der Bieter T war mit dem für ihn ungünstigen Ausgang des Verfahrens nicht einverstanden und beantragte Einsicht in die Verwaltungsakte.

     

    Aus den Unterlagen ging hervor, dass die Holdinggesellschaften der Unternehmen O und M zwischen der Bewerbungs- und der Angebotsphase eine bindende Rahmenvereinbarung geschlossen hatten, nach der das Unternehmen O das Unternehmen M im Wege einer Verschmelzung entsprechend § 54 UmwG vollständig aufnimmt. Zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe war die Verschmelzung der beiden Unternehmen bereits eingeleitet worden, die gesellschaftsrechtliche Struktur des Bieters O war zu diesem Zeitpunkt jedoch noch unverändert. Die Verschmelzung wurde erst kurz vor Abschluss des Vergabeverfahrens vollzogen.

     

    Das Unternehmen T erblickte in der nachträglichen Verschmelzung einen vergaberechtswidrigen Identitätswechsel des Unternehmens O und strengte gegen die Vergabeentscheidung aller fünf Lose ein Vergabenachprüfungsverfahren an. Ohne Erfolg. In zweiter Instanz suchte T Rechtsschutz bei dem insoweit zuständigen italienischen Staatsrat. Dieser legte dem EuGH zur Vorabentscheidung unter anderem die Frage vor, ob Art. 28 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2014/24/EU dahingehend auszulegen sei, dass im nicht offenen Verfahren eine umfassende rechtliche und tatsächliche Identität zwischen den Bewerbern und Anbietern verlangt werde.

     

    Entscheidung

     

    Der EuGH relativiert in seiner Entscheidung die Anforderungen des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2014/24/EU und erachtete die streitgegenständliche Verschmelzungsvereinbarung für vergaberechtlich unschädlich.

     

    Zunächst stellt der EuGH fest, dass nach dem Wortlaut des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2014/24/EU der Wirtschaftsteilnehmer, der ein Angebot abgibt, grundsätzlich derjenige zu sein hat, der im vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb berücksichtigt wurde. Die Wahrung der tatsächlichen und rechtlichen Identität des Wirtschaftsteilnehmers während des gesamten Vergabeverfahrens gebiete sowohl der vergaberechtliche Gleichbehandlungs- als auch der Transparenzgrundsatz, deren Ausfluss Art. 28 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2014/24/EU (bzw. § 16 Abs. 4 Satz 1 VgV) sei.

     

    Dieser Grundsatz von der Bieteridentität gelte jedoch nicht ausnahmslos. Maßstab für die Zulässigkeit eines Identitätswechsels seien vielmehr die bereits mit Urteil vom 24. Mai 2016 (C-396/14) entwickelten Kriterien, anhand derer auch die vorliegende Rechtslage zu beurteilen sei.

     

    Diesem Urteil vom 24. Mai 2016 lag der Sachverhalt zugrunde, dass in einem zweistufigen Verhandlungsverfahren (§ 17 VgV) eine aus zwei Wirtschaftsteilnehmern bestehende Bietergemeinschaft den Teilnahmewettbewerb erfolgreich absolvierte, nachträglich jedoch einer der beiden Bietergemeinschaftsmitglieder ausschied und der verbleibende Wirtschaftsteilnehmer letztlich ein Angebot einreichte. In diesem Fall änderte sich folglich sowohl die rechtliche als auch die tatsächliche Identität zwischen dem im Teilnahmewettbewerb berücksichtigten Wirtschaftsteilnehmer und dem, der das Angebot abgegeben hatte. Denn zum einen hatte nicht die im Teilnahmewettbewerb berücksichtigte Bietergemeinschaft als solche, sondern nur einer ihrer Wirtschaftsteilnehmer das Verfahren fortgesetzt, und zum anderen hatte sich die wirtschaftliche und technische Leistungsfähigkeit des ursprünglichen Bewerbers durch den Verlust der Leistungsfähigkeit eines der Wirtschaftsteilnehmer verringert.

     

    Gleichwohl war diese Änderung nach Auffassung des EuGH nicht geeignet, die Fortsetzung des Verfahrens zu verhindern, sofern – was durch den Gerichtshof bejaht wurde – (a) der an die Stelle der Bietergemeinschaft tretende Wirtschaftsteilnehmer die vom öffentlichen Auftraggeber ursprünglich festgelegten Eignungsanforderungen allein erfüllt und (b) seine weitere Teilnahme an diesem Verfahren nicht zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbssituation der übrigen Bieter führt.

     

    Auch in dem vorliegend zu entscheidenden Fall läge eine Identitätsänderung des Unternehmens O bereits vor Angebotsabgabe vor. Zwar blieb die rechtliche Identität des Unternehmens O unverändert. Allerdings habe sich die tatsächliche Identität des Unternehmens durch Abschluss der verbindlichen Rahmenvereinbarung bereits vor Angebotsabgabe geändert. So durfte O bereits ab dem Zeitpunkt des Abschlusses der verbindlichen Verschmelzungsvereinbarung vernünftigerweise für seine künftige Tätigkeit mit der Leistungsfähigkeit von M rechnen. Dies rechtfertige die Wertung, dass zwischen dem Unternehmen O zum Zeitpunkt des Teilnahmewettbewerbs und dem Unternehmen O zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe bereits keine tatsächliche Identität mehr bestand, auch wenn die konkreten und endgültigen Wirkungen der betreffenden Verschmelzung erst nach Abgabe der Angebote eingetreten sind.

     

    Abweichend zu der Sachlage des Urteils vom 24. Mai 2016 betreffe das vorliegende Verfahren allerdings eine Situation, in der einer der Bieter seine Leistungsfähigkeit durch Erwerb eines gleichermaßen als geeignet qualifizierten Unternehmens erhöht habe. So sei zu beachten, dass die Verbesserung der Leistungsfähigkeit eines Bieters andere Auswirkungen habe, als die Verschlechterung der Leistungsfähigkeit nach der Teilnahmeauswahl. Verschlechtere sich die Leistungsfähigkeit des Bieters, könne er die Teilnahmeauswahl unterlaufen, denn dann wäre der Bieter möglicherweise gar nicht erst für die Angebotsabgabephase ausgewählt worden. Verbessere sich hingegen die Leistungsfähigkeit, so stehe dies nicht im Widerspruch zu den Interessen des öffentlichen Auftraggebers. Dieser habe stets das Interesse, jedenfalls einen Bieter auszuwählen, der die Anforderungen an die Durchführung des Auftrags erfülle.

     

    Mit Blick auf die weitere Zulässigkeitsvoraussetzung, der fehlenden Beeinträchtigung der Wettbewerbssituation der übrigen Bieter, sei jedoch stets zu prüfen, ob andere unionsrechtliche Bestimmungen zum Schutz des freien und unverfälschten Wettbewerbs eingehalten seien, insbesondere der freie und unverfälschte Binnenmarkt. Sei dies der Fall, könne eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs der anderen Bieter jedenfalls nicht ausschließlich aus der Steigerung der Leistungsfähigkeit eines Bieters aufgrund einer Verschmelzung mit einem anderen Unternehmen abgeleitet werden.

     

    Einordnung und Praxistipp

     

    Die aktuelle Entscheidung des EuGH unterstreicht, dass die Rechtsprechung nicht nur rechtliche, sondern auch tatsächliche Änderungen in der Identität der Bewerber und Bieter vergaberechtlich kritisch betrachtet.

     

    Das Urteil reiht sich in die bisherige Rechtsprechung zu dem Problemkreis des Identitätswechsels von Bewerbern und Bietern ein, die die Zulässigkeit einer Änderung je nach Verfahrensabschnitt, in dem sich der Wechsel vollzieht, unterschiedlich bewertet. Vereinfacht lässt sich folgendes feststellen:

     

    Bei zweistufigen Verfahren bis zum Ablauf der Teilnahmeantragsfrist und bei einstufigen Verfahren bis zur Angebotsabgabe ist ein Wechsel in der Identität eines Bewerbers bzw. Bieters (z. B. durch Verschmelzung oder Austausch/Wegfall eines Mitglieds einer Bewerbergemeinschaft) aus Sicht der Rechtsprechung unproblematisch.

     

    Bei zweistufigen Verfahren ist in dem Zeitraum zwischen Abgabe des Teilnahmeantrags und Angebotsabgabe ein Identitätswechsel nur ausnahmsweise zulässig, sofern der „neue“ Bieter die Eignungsanforderungen gleichermaßen erfüllt und seine weitere Teilnahme an dem Verfahren nicht zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbssituation der übrigen Bieter führt.

     

    Vorsicht gilt bei Identitätswechseln nach erfolgter Angebotsabgabe. Da die Person des Bieters als Angebotsbestandteil qualifiziert wird, wertet die Rechtsprechung seine Änderung zumindest im offenen Verfahren als unzulässige Nachverhandlung (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.10.2006, Az.: Verg 30/06 und Beschluss vom 03.08.2011, Az.: Verg 16/1; a.A.: VK Nordbayern, Beschluss vom 16.02.2016, Az.: 21.VK-3194-01/16).

     

    Unternehmen, die absehen können, dass sich ihre Identität während eines Vergabeverfahrens ändern wird, sind in jedem Fall gut beraten, frühzeitig und unmissverständlich den öffentlichen Auftraggeber über die bevorstehende Änderung in Kenntnis zu setzen, um hierdurch jedenfalls dem vergaberechtlichen Transparenzgrundsatz Genüge zu tun und einem Ausschluss wegen eines intransparenten Angebots vorzubeugen.

     

    Bei Fragen zu diesem Thema wenden Sie sich gerne an Dr. Lars Hettich.

     

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