Für die Vergabe von Beförderungsleistungen mit Bussen und Straßenbahnen – Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) – sowie im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) besteht mit der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 („VO 1370/2007“) ein Sondervergaberecht, welches auch nach Jahren der praktischen Anwendung noch wichtige Auslegungsfragen aufwirft. Jedenfalls eine dieser Fragen hat nunmehr der EuGH in seinem Urteil vom 21. März 2019 (C-266/17 und C-267/17) nach einem Vorabentscheidungsersuchen des OLG Düsseldorf (VII-Verg 51/16 vom 03.05.2017) entschieden.
Es geht dabei um die Frage, ob bzw. bei Vorliegen welcher Voraussetzungen Beförderungsleistungen im ÖPNV nach dem Sondervergaberecht der VO 1370/2007 oder nach dem allgemeinen Vergaberecht (EU-Richtlinien 2004/18/EG und 2004/17/EG heute abgelöst durch die Richtlinien 2014/23/EU, 2014/24/EU und 2014/25/EU) zu vergeben sind. Besondere Relevanz hat dies in den Fällen, in denen die kommunalen Eigentümer ihre eigene Verkehrsgesellschaft („interner Betreiber“) mit der Erbringung der Beförderungsleistungen gemäß Art. 5 Abs. 2 VO 1370/2007 betrauen möchten. Ist dies nur dann möglich, wenn der interne Betreiber das überwiegende wirtschaftliche Betriebsrisiko trägt – also eine Dienstleistungskonzession an ihn vergeben wird?
Der EuGH bejaht dies entgegen der überwiegenden Rechtsprechung der deutschen Vergabesenate. Bedeutet dies nun das Ende der Direktvergaben im ÖPNV und damit mehr Wettbewerb mit privaten Verkehrsunternehmen?
Der Rhein-Sieg-Kreis ist die für das Kreisgebiet zuständige Behörde zur Vergabe von Beförderungsleistungen mit Bussen. Sie beabsichtigte die Verkehrslinien im Wege einer Direktvergabe an einen internen Betreiber nach Art. 5 Abs. 2 VO 1370/2007 für die Dauer von zehn Jahren an die Regionalverkehr Köln GmbH zu vergeben und machte dies vorab im Supplement zum EU-Amtsblatt gemäß Art. 7 Abs. 2 VO 1370/2007 bekannt. Die Regionalverkehr Köln GmbH ist ein Verkehrsunternehmen, welches ausschließlich in kommunaler Eigentümerschaft steht und ihre Beförderungsleistungen für seine Eigentümer erbringt.
Nach der Vorabbekanntmachung rügten mehrere private Verkehrsunternehmen die beabsichtigte Direktvergabe und griffen diese schließlich mit einem Nachprüfungsantrag an. Das OLG Düsseldorf als Beschwerdeinstanz sah sich an einer abschließenden Entscheidung gehindert und legte dem EuGH seine Auslegungsfragen zur VO 1370/2007 im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV vor.
Der EuGH hat die Vorlagefrage zu 1. des OLG Düsseldorf dahingehend beantwortet, dass die Vergabetatbestände der Absätze 2 bis 6 des Art. 5 VO 1370/2007 auf die Vergabe von Beförderungsleistungen mittels Bussen und Straßenbahnen nur dann anwendbar sind, wenn die Verträge als Dienstleistungskonzessionen einzustufen sind. Der EuGH begründet dies mit dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 VO 1370/2007, wonach Dienstleistungsaufträge für Personenverkehrsdienste mit Bussen und Straßenbahnen grundsätzlich nach den EU-Vergaberichtlinien zu vergeben sind, außer es liegt eine Dienstleistungskonzession vor. Die von der überwiegenden nationalen Rechtsprechung vertretene Auffassung (insbesondere OLG Düsseldorf und OLG München), wonach der Anwendungsbereich der VO 1370/2007 auch bei Vorliegen der Voraussetzungen einer „Inhouse-Vergabe“ nach dem allgemeinen Vergaberecht eröffnet sein soll, lehnt der EuGH mit wenigen Worten ab. Die Vergabevorschriften von Art. 5 Abs. 2 – 6 VO 1370/2007 stellen hiernach keine lex specialis zu den allgemeinen Vorschriften über Direktvergaben dar.
Die von kommunalen ÖPNV-Aufgabenträgern und kommunalen wie privaten Verkehrsunternehmen heiß erwartete Entscheidung beantwortet eine, aber bei weitem nicht alle Auslegungsfragen zum Direktvergabetatbestand des Art. 5 Abs. 2 VO 1370/2007. Daher ist es zu bedauern, dass der EuGH die weiteren Vorlagefragen des OLG Düsseldorf nicht als entscheidungsrelevant eingestuft hat und daher unbeantwortet ließ.
Um die eingangs von uns aufgeworfene Frage zu beantworten: die Entscheidung des EuGH bedeutet nicht das Ende der kommunalen Direktvergaben. Der EuGH verweist nämlich ausdrücklich darauf, dass Direktvergaben im allgemeinen Vergaberecht bei Vorliegen der „Inhouse-Voraussetzungen“ zulässig sind. Dies hat der EuGH erstmals 1999 mit der sog. Teckal-Rechtsprechung entschieden und danach fortgeführt. Mittlerweile ist dies auch ausdrücklich kodifiziert (im deutschen Vergaberecht in § 108 GWB bzw. über § 1 Abs. 2 UVgO auch für den Unterschwellenbereich). Aus der Entscheidung des EuGH geht eindeutig hervor, dass bei Vorliegen der allgemeinen „Inhouse-Voraussetzungen“ weiterhin Direktvergaben möglich sind. Die Direktvergabe an einen internen Betreiber nach Art. 5 Abs. 2 VO 1370/2007 ist zwar den allgemeinen Inhouse-Voraussetzungen nachgebildet, weist aber auch verkehrsspezifische Besonderheiten auf, die nunmehr keine Rolle mehr spielen dürften. Dies gilt z. B. für die Voraussetzung nach Art. 5 Abs. 2 lit. e) VO 1370/2007 wonach der interne Betreiber den „überwiegenden Teil“ der Verkehrsleistungen selbst erbringen muss. Ein solches „Selbsterbringungsgebot“ kennt das Vergaberecht im Dienstleistungsbereich grundsätzlich – mit Ausnahme von § 47 Abs. 5 VgV – nicht.
Das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession wird daher weiterhin nicht konstitutiv für eine Direktvergabe sein. Dies dürfte zu Aufatmen auf kommunaler Seite führen, da die Verkehrsunternehmen im Regelfall nicht das überwiegende wirtschaftliche Risiko tragen. Die verlustreichen kommunalen Verkehrsunternehmen werden vielfach durch die profitablen Energiezweige der Stadtwerke quersubventioniert (steuerlicher Querverbund). Dieser kann erhalten bleiben, solange die allgemeinen Inhouse-Voraussetzungen für eine Direktvergabe erfüllt werden.
Weitere Fragen zu diesem Thema beantwortet Ihnen Sascha Opheys gerne.