Einleitung
Bei der Vergabe von Beratungs- und Kreativleistungen, denen eine funktionale Leistungsbeschreibung zugrunde liegt, ist die Güte der Angebotskonzepte wesentliches qualitatives Zuschlagskriterium, das zentral für die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes ist. Denn die von den Bietern eingereichten Konzepte konkretisieren und prägen das Leistungssoll für die Auftragsausführung. Daher sind die qualitativen Zuschlagskriterien bei funktional beschriebenen Leistungen in der Regel höher gewichtet als der Preis. Es überrascht also nicht, dass die vergaberechtliche Praxis zeigt, dass sich Rügen in Vergabeverfahren mit vorstehend beschriebenem Vergabedesign oftmals gegen die vermeintlich zu geringe Bepunktung des eigenen Angebotskonzepts und die nach Ansicht des rügenden Bieters zu hohe Bewertung des Konzeptes des Zuschlagsprätendenten richten. Oftmals sind Bieter mit Rügen gegen das Wertungssystem als solches zudem präkludiert, da sie die Frist des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB verstreichen ließen, sodass die Wertungsentscheidung des Auftraggebers den einzigen Angriffspunkt bietet (zur Präklusion im Falle eines intransparenten Wertungssystems vgl. VK Bund, Beschluss vom 23. Dezember 2020 –VK1104/20).
Vor diesem Hintergrund ist es für öffentliche Auftraggeber zentral, die Wertung von Angebotskonzepten vergaberechtssicher vorzunehmen und den Wertungsvorgang mit Blick auf ein etwaiges Nachprüfungsverfahren belastbar zu dokumentieren.
Die Entscheidung
Das OLG München hat in einem Beschluss vom 26. Februar 2021 (Verg 14/20) zu dem vorstehend skizzierten Problemkreis entschieden und öffentlichen Auftraggebern nützliche Hinweise an die Hand gegeben, wie die Wertung von Angebotskonzepten nachprüfungsfest vorgenommen und dokumentiert werden kann. Dem streitgegenständlichen Auftrag lag die Vergabe von Planerleistungen zugrunde; die einzureichenden Konzepte waren allerdings zu Themengebieten vorzulegen, die bei der Vergabe von Beratungs- und Kreativleistungen in der Praxis öffentlicher Auftraggeber häufig abgefragt werden. Die Bewertung erfolgte im konkreten Fall in Stufen von 0 bis 3 vollen Punkten, wobei die Vergabestelle die jeweiligen Punktwerte nicht mit einem generischen Schulnotensystem (bspw. unbefriedigend, ausreichend, befriedigend, gut) hinterlegt hatte, sondern eine kriterienspezifische Abstufung unternahm, die sie den Bietern auch transparent bekannt machte. Bei dem Kriterium „Projektorganisation“ wurde bspw. ein Punkt vergeben, wenn die Darstellung nachvollziehbar und schlüssig ist, die Aufgaben, Schnittstellen, Abhängigkeiten und den Planungsdisziplinen übergreifenden Informationsfluss vollständig darstellt. Ein weiterer Punkt wurde vergeben, wenn die Qualifikation der Projektmitarbeiter den ihnen zugewiesenen Aufgaben und Zuständigkeiten entspricht.
Im konkreten Fall rügte der unterlegene Bieter – wie so oft – die zu niedrige Wertung des eigenen sowie die Überwertung des Angebotskonzeptes des Zuschlagsprätendenten. Ohne zu stark auf die Besonderheiten des vorliegenden Falls fokussieren zu wollen, sollen im Nachfolgenden wesentliche Punkte der Entscheidung des OLG München, die für die vergaberechtliche Praxis der Angebotswertung bedeutsam sind, einzeln herausgegriffen und dargestellt werden:
- Für die vergaberechtliche Überprüfung von Wertungsentscheidung des öffentlichen Auftraggebers gilt der altbekannte Maßstab für die gerichtliche Kontrolle von Beurteilungsspielräumen. Hiernach prüfen die vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen die Wertungsentscheidung des öffentlichen Auftraggebers nur daraufhin, ob das vorgeschriebene Verfahren eingehalten, von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen wurde, keine sachwidrige Erwägung in die Entscheidung eingeflossen ist und allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe beachtet wurden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. Februar 2017 – Verg 31/16). In der Praxis lässt sich allerdings beobachten, dass dieser einschränkende Maßstab bei den Gerichten keineswegs dazu führt, sich bei der Überprüfung von Wertungsentscheidungen eine übermäßige Zurückhaltung aufzuerlegen. Vielmehr lässt sich – auch vorliegend – beobachten, dass die Punktevergabe und deren Begründung durch die Nachprüfungsinstanzen akribisch im Einzelfall nachvollzogen werden. Dies sollten öffentliche Auftraggeber bei der Dokumentation ihrer Wertungsentscheidung stets berücksichtigen.
- Wird die Bewertung von Konzepten durch ein mehrköpfiges Gremium durchgeführt, sollte die Entscheidungsfindung eines jeden Mitglieds dokumentiert werden. Hierfür bietet es sich an, wenn jedem Gremienmitglied ein einheitlicher Bewertungsbogen vorliegt, in dem zum einen die Wertungskriterien konkret dargestellt und erläutert werden, die Punkteanforderung für jedes Kriterium aufgelistet und eine Spalte vorgesehen ist, um individuelle Anmerkungen zu tätigen. Die Wertungsbögen sind zum Zwecke der Dokumentation zur Vergabeakte zu nehmen.
- Bei der Entscheidung, ein Konzept in einem Unterkriterium mit der höchsten Punktzahl zu bewerten, kann auf eine weitergehende wörtliche Begründung verzichtet werden. Dieses Vorgehen lässt das OLG München für die Dokumentation der Wertungsentscheidung ausreichen, wenn in der angewendeten Wertungsmatrix die Kriterien für die Vergabe der Höchstpunktzahl derart konkret ausformuliert sind, dass aus der Wertungsentscheidung eindeutig hervorgeht, dass das wertende Gremienmitglied sich diese Kriterien vollumfänglich zu eigen macht. Punktabzüge sind hingegen auch bei einer detailliert ausformulierten Wertungsmatrix stets im Einzelnen zu begründen. Soweit öffentliche Auftraggeber ein enerisches Bewertungssystem – bspw. Schulnoten – verwenden, wird im Umkehrschluss zu fordern sein, dass für eine ausreichende Dokumentation auch die Vergabe der Höchstpunktzahl begründet werden muss, da sich aus der Erläuterung zur Höchstnote („sehr gut“) nicht zugleich eine nachvollziehbare Wertungsentscheidung ergibt.
- In sich widersprüchliche Angaben im Angebotskonzept sowie Widersprüche zwischen Angebotskonzept und Angaben im (bewerteten) Präsentationstermin sind in der vergaberechtlichen Praxis öfter anzutreffen. Nach Ansicht des OLG München ist ein solcher Widerspruch hinreichender Grund für einen Punktabzug. Der Widerspruch ist im Zuge der Wertung offenzulegen und schriftlich zu dokumentieren.
- Anders als im Falle des Ausschlusses eines Bieters (für den Ausschluss des Bestbieters vgl. VK Westfalen, Beschluss vom 20. August 2020 – VK 3 – 19/20) bedarf es bei Punktabzügen im Zuge der Angebotswertung grundsätzlich keiner Aufklärung. Dies insbesondere dann, wenn der Punktabzug wegen widersprüchlicher Angaben vorgenommen und hinsichtlich des Bewertungsvorgehens in den Vergabeunterlagen ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass es auf eine nachvollziehbare und schlüssige Darstellung ankommt.
- Die Vertrautheit eines Bestandsdienstleisters mit den internen Organisationsabläufen des öffentlichen Auftraggebers aus vorhergegangenen Aufträgen ist bei der Angebotswertung nicht per se positiv zu berücksichtigen. Grundlage für die Konzeptbewertung ist nämlich allein das schriftlich eingereichte Konzept und ggf. die Präsentation, jedoch nicht Erfahrungswerte aus der Vergangenheit.
- Der Sitz eines Bieters in einer anderen Stadt als dem Haupterfüllungsort ist für sich genommen kein hinreichender Grund für einen Punktabzug, soweit der Bieter bspw. über ein Projektbüro eine hohe örtliche Verfügbarkeit sicherstellt.
- Hingegen ist ein Punktabzug begründet, wenn für den vorgesehenen Projektleiter angegeben wird, dass dieser zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung noch in einem anderen Projekt gebunden wäre und erst mit zeitlichem Verzug für das gegenständliche Projekt zur Verfügung stünde.
- Abstrakte Ausführungen im Angebotskonzept oder in einer bewerteten Präsentation, die keinen konkreten Bezug zum gegenständlichen Projekt aufweisen, begründen eine Abwertung. Für die Konzepterstellung sind in der Regel sämtliche Vergabeunterlagen zu beachten, bspw. auch Anlagen zum Vertrag oder zur Leistungsbeschreibung. Für die Dokumentation des Punktabzuges ist bei der Begründung darauf zu achten, dass genau erläutert wird, inwiefern Ausführungen nur generisch sind und Vorgaben aus den Vergabeunterlagen nicht beachtet wurden.
- Die fehlende Darstellung einer strukturierten Abwicklung des Auftrags kann ebenfalls zu einem Punktabzug führen. Auch hier wäre für die Dokumentation darzustellen, inwiefern die Darstellung unstrukturiert ist.
Bewertung und Praxistipp
Die Entscheidung verdeutlicht in besonders praxistauglicher Art und Weise, dass öffentliche Auftraggeber bei der Konzeptbewertung Spielräume haben, solange sie sich innerhalb der selbstgesetzten Grenzen des eigenen Wertungssystems bewegen. Ob eine Wertungsentscheidung im Nachprüfungsverfahren hält, steht und fällt allerdings allein mit der Güte ihrer Dokumentation. Gerade bei Gremienentscheidungen sind öffentliche Auftraggeber daher gut beraten, sorgfältig darauf zu achten, dass alle Mitglieder des Gremiums ihre Entscheidung im Einzelnen ausreichend und nachvollziehbar begründen. Die Vorbereitung von Wertungsbögen, die zur Vergabeakte genommen werden können, ist hierfür lohnend.
Max Stanko