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    08.04.2019

    Auftraggeber darf zu hohe Vorgaben nachträglich absenken


    § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV verpflichtet den Auftraggeber, Angebote von der Wertung auszuschließen, die den Anforderungen der Vergabeunterlagen nicht entsprechen. Mit dieser Ausschlusspflicht korrespondiert das Verbot des Auftraggebers, die im Vorfeld der Ausschreibung einmal festgelegten verbindlichen Anforderungen nach Ablauf der Angebotsfrist zu verändern. Ausschlusspflicht und Änderungsverbot sind Ausfluss der in § 97 Abs. 1 und 2 GWB normierten Grundsätze der Gleichbehandlung und des fairen Wettbewerbs. Dennoch erlaubt das Vergaberecht in bestimmten Fällen Ausnahmen. Die zweite Vergabekammer des Bundes (VK Bund) hat in einer aktuellen Entscheidung (Beschluss vom 13.02.2019 – VK 2-118/18) die Zulässigkeitsgrenzen dieser nachträglichen Änderungsmöglichkeiten konkretisiert.

     

    Sachverhalt

     

    Der Auftraggeber schrieb in einem europaweiten Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb einen Lieferauftrag aus. Nach Abschluss des Teilnahmewettbewerbs und der anschließenden Verhandlungsphase reichten die Bieter form- und fristgerecht finale Angebote ein.

     

    Die Bieter sollten in ihren Angeboten unter anderem ein Finanzierungskonzept erläutern, für das gemäß den Bewerbungsbedingungen bestimmte Mindestanforderungen galten. So sollte das Konzept im Falle einer Fremdfinanzierung eine unterzeichnete verbindliche Finanzierungsbestätigung des Fremdkapitalgebers mit zugehörigen Term Sheets enthalten, wobei die Term Sheets keine Vorbehalte jeglicher Art beinhalten durften.

     

    Das Finanzierungskonzept des für den Zuschlag vorgesehenen Bieters entsprach diesen Vorgaben jedoch nicht. So sah das Angebot zwar eine – wenn auch nur partielle – Einbindung von Mitteln durch einen Fremdkapitalgeber vor. Insoweit fehlte aber die geforderte Finanzierungszusage des Fremdkapitalgebers. Vielmehr wurde in den geforderten Term Sheets auf einen Vorbehalt sowie auf mögliche spätere Bedingungen für die Darlehensgewährung hingewiesen.

     

    Trotz zweimaliger Aufklärung durch den Auftraggeber hielt der Bieter an seinem Finanzierungskonzept unverändert fest. Der Auftraggeber vermerkte daraufhin zwar, dass der Bieter die gemäß den Vergabeunterlagen geforderte Bestätigung der darlehensgebenden Bank nicht eingereicht hat. Jedoch schloss er den Bieter nicht von der Wertung aus, da der Bieter – was den Tatsachen entsprach – Belege über ausreichend eigene finanzielle Mittel vorgelegt hatte. Nach Auffassung des Auftraggebers habe der Bieter damit einen ausreichenden Finanzierungsnachweis erbracht. Ein Ausschluss des Bieters erschien dem Auftraggeber vor diesem Hintergrund unverhältnismäßig. Er entschied daher, dem Bestbieter den Auftrag zu erteilen und informierte die übrigen Mitbewerber nach Maßgabe des § 134 GWB über deren Nichtberücksichtigung.

     

    Im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens, das einer der nichtberücksichtigten Bieter anstrengte, erhielt dieser durch Einsichtnahme in die Vergabeakte Kenntnis von dem abweichenden Finanzierungskonzept des Bestbieters und machte geltend, dass das Angebot des Bestbieters wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV von der Angebotswertung zwingend hätte ausgeschlossen werden müssen.

     

    Entscheidung

     

    Die VK Bund gab dem Nachprüfungsantrag zwar statt. In Bezug auf den Umgang des Auftraggebers mit dem Finanzierungskonzept des für den Zuschlag vorgesehenen Bieters verneinte die Kammer jedoch ein Fehlverhalten des Auftraggebers.

     

    In ihrer Begründung stellte die Kammer zunächst fest, dass ein Ausschluss des Bestbieters gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV aufgrund der eindeutigen und zwingenden Vorgaben in den Bewerbungsbedingungen durchaus möglich gewesen wäre. Allerdings sei dies nicht die einzig vergaberechtlich zulässige Handlungsoption.

     

    Tatsächlich habe der Auftraggeber seine Anforderungen an das Angebot nachträglich abgesenkt, indem der auf eine Finanzierungszusage des Fremdkapitalgebers verzichtet und stattdessen auf die ausreichende eigene Finanzkraft des Bieters abgestellt habe. Jedoch habe der Auftraggeber angesichts des Finanzierungskonzepts des Bieters erkannt, dass die dezidierten und detaillierten Vorgaben und Nachweispflichten nicht erforderlich waren, um Sicherheit bezüglich der Finanzierung zu erlangen. Es sei daher zulässig gewesen, dass der Auftraggeber vor diesem Hintergrund seine Anforderungen herabgestuft habe.

     

    Die VK Bund stützt sich in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 02.05.2018 – Verg 3/18), wonach selbst die Bewertungsmethode bei Bedarf auch noch nachträglich an die Umstände des Einzelfalls angepasst werden darf, wenn hierdurch keine Veränderung der Zuschlagskriterien oder ihrer Gewichtung bewirkt wird. Wenn danach – so die Kammer – eine Änderung der Vorgaben in Ansehung der Angebote einzelfallbezogen sogar in Bezug auf Wertungsvorgaben möglich sei, so müsse dies erst recht für den lediglich kaufmännischen Teil der Angebote – wie des hier in Rede stehenden Finanzierungskonzepts – gelten, auf den im vorliegenden Fall keine Zuschlagskriterien bezogen seien und die folglich auch nicht geändert würden.

     

    Zudem decke sich dies auch mit der in der Rechtsprechung vertretenen Überlegung, dass ein Auftraggeber in jeder Phase des Vergabeverfahrens gehalten sei, mögliche Fehler oder unzweckmäßige Vorgaben zu korrigieren (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.09.2016 – Verg 7/16).

     

    Schließlich greife im vorliegenden Fall wegen der Nähe des Finanzierungskonzepts zu den finanziellen Eignungskriterien zusätzlich eine Analogie zu dem in § 45 Abs. 5 VgV normierten Rechtsgedanken, wonach der Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auch auf anderem Wege als über den vom Auftraggeber vorgegebenen erfolgen könne, wenn ein berechtigter Grund hierfür vorliege. Dies sei letztlich nichts anderes als eine Konkretisierung des vergaberechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.

     

    Die VK Bund gab dem Nachprüfungsantrag jedoch aus einem anderen Grund statt. Indem der Auftraggeber nicht alle Bieter über die nachträgliche Änderung der Vorgaben informiert hat, habe dieser – so die Kammer – gegen den vergaberechtlichen Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsatz des § 97 Abs. 1 GWB verstoßen. Richtigerweise hätte der Auftraggeber auch die übrigen Bieter unter Einräumung einer angemessenen Fristverlängerung in Kenntnis davon setzen müssen, dass und in welcher Weise die Anforderungen an das Finanzierungskonzept geändert wurden, damit sich die anderen Bieter hierauf hätten einstellen können.

     

    Bewertung und Praxistipps

     

    Die Entscheidung der VK Bund trifft den Nerv vieler Vergabestellen, die aus gutgemeinten Gründen (z. B. zum Zwecke der Qualitätssicherung) im Vorfeld oftmals zu detaillierte und inhaltlich zu strenge Anforderungen an die Angebote aufstellen und dadurch bei der späteren Bewertung zu Gefangene ihrer eigenen Vorgaben werden. Diese Gefahr besteht insbesondere bei komplexen Ausschreibungen, bei denen die Wahrscheinlichkeit schwindet, dass ein Auftraggeber bereits zum Zeitpunkt der Vorbereitung des Vergabeverfahrens in der Lage ist, sämtliche Eventualitäten zutreffend zu antizipieren und in den Vergabeunterlagen hinreichend zu berücksichtigen. Dem Auftraggeber muss daher ein gewisser Freiraum zugebilligt werden, seine ursprünglich gemachten Vorgaben nachträglich abzuändern, wenn er in Ansehung der Angebote erkennt, dass eine Anforderung, die den Handlungsspielraum der Bieter zu sehr einschränkt, tatsächlich nicht erforderlich ist. Die Entscheidung der VK Bund ist daher zu begrüßen.

     

    Sie darf jedoch keinesfalls als Freibrief für eine Umgehung der Ausschlusspflicht gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV verstanden werden. Vielmehr stellt die Kammer den Grundsätzen der Gleichbehandlung und des fairen Wettbewerbs, die die vergaberechtlichen Grundlagen der Ausschlusspflicht nach § 57 VgV darstellen, den gleichrangigen und seit der Vergaberechtsnovelle in § 97 Abs. 1 GWB ausdrücklich normierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gegenüber. Die erforderliche Abwägung erfolgt dabei stets unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls, wie im vorliegenden Fall die von der Kammer hergeleitete Analogie zu den Eignungsregeln des § 45 Abs. 5 VgV verdeutlicht. Auch die Verpflichtung der Vergabestellen, allen Bietern die Möglichkeit zu eröffnen, ihre Angebote auf Grundlage der geänderten Vorgaben innerhalb einer angemessenen Nachfrist zu überarbeiten, gebietet einen vorsichtigen Umgang der Vergabestellen mit den von der Rechtsprechung zugestandenen Freiräumen.

     

    Weitere Fragen zu diesem Thema beantwortet Ihnen Dr. Lars Hettich gerne.

     

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