Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 3. Februar 2021 – Verg 25/18) befasst sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen öffentliche Auftraggeber bei der Softwarebeschaffung ausschreibungsfrei nach § 108 Abs. 6 GWB zusammenarbeiten können. In diesem Bereich besteht bereits seit Jahrzehnten das Ziel, dass öffentliche Auftraggeber IT-Software austauschen und gegenseitig nutzbar machen sollen (Stichwort „Kieler Beschlüsse“). Wie dies mit dem EU-Vergaberecht zu vereinbaren ist und welche Hürden dabei zu meistern sind, zeigt das OLG Düsseldorf anschaulich auf.
Das Land Berlin überließ der Stadt Köln im Rahmen eines Software-Überlassungsvertrags entgeltfrei und dauerhaft eine Software zur Nutzung für Einsatzleitstellen der Feuerwehren. In einem am selben Tag geschlossenen Software-Kooperationsvertrag verpflichteten sich die Vertragsparteien zur kostenneutralen Zurverfügungstellung von Erweiterungen der Software. Anpassungen der Basissoftware sowie der Module an eigene Prozessabfolgen waren eigenständig zu beauftragen und zu finanzieren.
Hiergegen ging ein Konkurrent des Softwareherstellers erfolglos mit einem Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Rheinland vor. Im Rahmen des sodann von ihm angestrengten sofortigen Beschwerdeverfahrens legte das OLG Düsseldorf zunächst einige Fragen im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV dem EuGH (Urteil vom 28. Mai 2020 – Rs. C796/18) vor, um nunmehr mit dem besprochenen Beschluss in der Sache zu entscheiden und die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Der EuGH antwortete dem Vergabesenat des OLG Düsseldorf zunächst, dass auch die kostenneutrale wechselseitige Überlassung von Software einen entgeltlichen ausschreibungspflichtigen öffentlichen Auftrag darstellen kann. Die vorliegend vereinbarte Überlassung von Erweiterungen der Software führe zu einem entgeltlichen Leistungsaustausch. Allerdings könne die Ausschreibungspflicht ausnahmsweise entfallen, wenn die Voraussetzungen einer öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit vorliegen, die aber voraussetzt, dass kein Privater besser gestellt werden dürfe. Insofern hielt der EuGH an seiner ständigen Rechtsprechung zur Notwendigkeit dieses> (ungeschriebenen) Tatbestandsmerkmals im Rahmen der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit fest.
Diese Anforderungen sah das OLG im konkreten Fall als erfüllt an. Die Softwareüberlassung stelle einen öffentlichen Auftrag i.S.d. § 103 Abs. 1 GWB dar. Die Entgeltlichkeit ergebe sich aus den wechselseitigen Ansprüchen auf etwaige Softwareentwicklungen, da Entgelt jede Art von Vergütung sei, der ein Geldwert zukomme. Die Pflicht, dem jeweils anderen Vertragspartner Softwareentwicklungen kostenlos zur Verfügung zu stellen, stehe im wechselseitigen Verhältnis zu der Softwareüberlassung.
Allerdings sah der Vergabesenat die Voraussetzungen einer öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit als erfüllt an. Insbesondere handelte es sich um eine echte kooperative Zusammenarbeit zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Auch das Verbot, ein privates Unternehmen (den Softwareentwickler) im Zuge der Zusammenarbeit besserzustellen, könne vorliegend unter folgender Maßgabe eingehalten werden:
Im konkreten Fall der Softwareüberlassung und Softwarekooperation müssen die beteiligten öffentlichen Auftraggeber über den Quellcode der Software verfügen und Auftragsinteressenten bei der Ausschreibung nachgelagerter Leistungen wie Pflege, Anpassung und Weiterentwicklung der Software mindestens eine Einsicht in den Quellcode ermöglichen. Sie müssten darüber hinaus alle Wettbewerbsnachteile, die sich für Drittunternehmer daraus ergeben, dass sie die Software nicht entwickelt haben und daher mit dem Quellcode noch nicht vertraut sind, in dem für einen wirksamen Wettbewerb erforderlichen Umfang ausgleichen. Welcher Informationen und Einarbeitungszeiträume es im jeweiligen Fall bedürfe, sei eine Frage des Einzelfalls und vom Auftraggeber nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Zum Ausgleich des wirtschaftlichen Aufwands, der mit der Einarbeitung in eine fremde Software verbunden sei, seien die öffentlichen Auftraggeber nicht verpflichtet. Diesen Anforderungen habe die Stadt Köln genügt.
Das OLG stellt im Einklang mit dem Urteil des EuGH klar, dass öffentliche Auftraggeber ohne vorherige Ausschreibung kooperieren und Weiterentwicklungen der Software austauschen können. Die Voraussetzungen einer öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit sind auch bei IT-Beschaffungen gegeben. Dies ist zu begrüßen.
Praktisch müssen öffentliche Auftraggeber aber einige Hürden überwinden. Insbesondere muss der Software-Hersteller bereit sein, den Quellcode seiner Software anderen Unternehmen – und damit (potenziellen) Wettbewerbern – bei den Folgeausschreibungen zur Verfügung zu stellen. In den regelmäßig verwendeten EVBIT-Verträgen ist hierfür auch ein Feld vorhanden (z. B. Ziffer 17.2.1 des EVB-IT-Systemvertrags), welches aber aktiv vom Auftraggeber ausgewählt werden muss, da es vom Standard abweicht (vgl. Ziffer 18.1 EVB-IT-System-AGB). Dass sich ein Softwareunternehmen hierauf einlässt, ist bei der Entwicklung von Individualsoftware mutmaßlich wahrscheinlicher als bei der Überlassung von Standardsoftware. Wirtschaftlich denkende Softwareunternehmen werden aber auch in diesem Fall die Risiken – insbesondere, dass es bei den im Wettbewerb vergebenen Folgeaufträgen möglicherweise nicht zum Zug kommt – in ihr Angebot zur Entwicklung der Software einkalkulieren.
Öffentliche Auftraggeber sind gehalten, für die Vorbereitung einer solchen öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit bei der IT-Beschaffung ausreichend Vorlaufzeit einzuplanen, um die Rahmenbedingungen mit geeigneten Softwareunternehmen und dem kooperierenden öffentlichen Auftraggeber sorgfältig abzustimmen. Die Erwägungen für den Verzicht auf ein wettbewerbliches Vergabeverfahren sind entsprechend von den Auftraggebern zu dokumentieren.