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    16.05.2021

    Legal aber unfair? Der Weg zu mehr Steuergerechtigkeit über Beihilfenrecht bleibt steinig


    Das Gericht bestätigt ein weiteres Mal, dass selektive Steuervorteile als Beihilfen den Wettbewerb verfälschen. Die Mitgliedstaaten müssen einmal gewährte Beihilfen von den begünstigten Unternehmen zurückfordern. Das Gericht stellt jedoch hohe Anforderungen an den Nachweis der Begünstigung und der Selektivität. Siehe dazu bereits den Blogbeitrag zu den Urteilen betreffend Fiat Chrysler sowie Starbucks vom 24. September 2019 und den Beitrag betreffend das Urteil vom 15. Juni 2020 in Sachen Apples Steuern in Irland.

     

    Allein die Nichtigerklärung der Entscheidung betreffend die von Amazon in Europa gezahlten Steuern machte es in die Schlagzeilen der Presse, denn das Gericht veröffentlichte die Entscheidung in drei Sprachen und die Pressemitteilung in elf Sprachen, während die andere Entscheidung in einer Sprache erging und die Pressemitteilung in zwei Sprachen verfügbar war. Dabei trat jedoch der in beiden Urteilen bestätigte zentrale Grundsatz in den Hintergrund: Die Mitgliedstaaten der EU haben zwar die ausschließliche Zuständigkeit für die Festlegung ihrer Steuergesetze, müssen dies aber unter Beachtung des EU-Rechts, einschließlich der Vorschriften für staatliche Beihilfen, tun.

     

    Das Gericht hat auch bestätigt, dass die Durchsetzung staatlicher Beihilfen ein Instrument sein kann, um gegen missbräuchliche Steuerplanungsstrukturen vorzugehen, die von den Zielen des allgemeinen Steuersystems abweichen.

     

    Das Gericht der Europäischen Union fällte am 12. Mai 2021 zwei Urteile. Zum Einen bestätigte es die Entscheidung der Kommission vom Juni 2018, dass Luxemburg dem Energieunternehmen Engie durch selektive Steuervorteile eine rechtswidrige staatliche Beihilfe gewährt hatte, zum Anderen hob es jedoch die Entscheidung der Kommission vom Oktober 2017 auf, welche den Onlineversandhändler Amazon betraf.

     

    Im Fall Amazon kritisiert die Siebte Kammer unter ihrem Vorsitzenden Marc van der Woude die Arbeit der Generaldirektion Wettbewerb stark und hält alle tatsächlichen Erwägungen und Feststellungen zum Vorteil für fehlerhaft. Das Gericht legt dabei einen hohen Maßstab der der Kommission obliegenden Beweislast und eine hohe Prüfdichte seitens des Gerichts zugrunde.

     

    Der Gerichtshof wird über Rechtsmittel in einigen Steuerbeihilfefällen entscheiden und sich wohl zur Beweislast und Prüfdichte äußern. Mit Spannung werden wird der Ausgang der Rechtsmittelverfahren in Sachen Fiat Chrysler, Rechtssache C-885/19 P, sowie Apple Irland, C-465/20 P, erwartet. Ob die Kommission im Fall Amazon ein Rechtsmittel einlegen wird, steht noch nicht fest; dabei spielt auch eine Rolle, dass tatsächliche Feststellungen des Gerichts nur in Ausnahmefällen erfolgreich angegriffen werden können.

     

    Zu den vom Energieversorger Engie erhaltenen Steuervorbescheiden

     

    In Bezug auf den Energieversorger Engie in Luxemburg hat das Gericht die Entscheidung der Kommission vom 20. Juni 2018 bestätigt. Hier handelt es sich um eine Reihe luxemburgischer Steuervorbescheide, welche die Steuerlast der betroffenen Unternehmen künstlich um rund 120 Mio. € reduziert haben. Die Unternehmen beantragten und erhielten die Anerkennung von zwei Finanzierungsstrukturen, bei denen ein und dieselbe Transaktion sowohl als Fremd- als auch als Eigenkapital behandelt wurde; dies führte dazu, dass die Gewinne des Unternehmens nicht besteuert wurden.

     

    Das Gericht weist die Klagen des Großherzogtums Luxembourg und der begünstigten Unternehmen, Rechtssachen T-516/18 und T-525/18, zurück. In seinem Urteil billigt das Gericht den Ansatz der Kommission, bei einer komplexen konzerninternen Finanzierungsstruktur die wirtschaftliche und steuerliche Realität zu betrachten und nicht einen formalistischen Ansatz, der jede der Transaktionen im Rahmen der Struktur isoliert betrachtet. Darüber hinaus hält das Gericht fest, dass die Kommission zu Recht festgestellt hat, dass ein selektiver Vorteil durch die Nichtanwendung der nationalen Vorschriften über Rechtsmissbrauch gewährt wurde.

     

    In Anbetracht der von der Kommission innerhalb dieser Struktur festgestellten Zusammenhänge hält das Gericht fest, dass die Kommission keinen Rechtsfehler begangen hat, indem sie die kombinierte Wirkung der Abzugsfähigkeit der Erträge auf der Ebene einer Tochtergesellschaft und der anschließenden Befreiung dieser Erträge auf der Ebene ihrer Muttergesellschaft auf der Ebene der Holdinggesellschaften betrachtet hat. Nach Ansicht des Gerichts hat die Kommission die Selektivität der angefochtenen Steuervorbescheide im Licht des engen Bezugsrahmens nachgewiesen.

     

    Zu dem von Amazon erhaltenen Steuervorbescheiden

     

    Was den Fall Amazon betrifft, so betraf die Entscheidung der Kommission vom 4. Oktober 2017 einen luxemburgischen Steuervorbescheid, aufgrund dessen drei Viertel der Gewinne aus allen Amazon-Verkäufen in der EU bis 2014 unversteuert blieben.

     

    Mit dem Urteil erfolgen vor allem wesentliche Klarstellungen zur Beweislast der Kommission, in Fällen, in denen das zu versteuernde Einkommen einer Gesellschaft, die zu einem Konzern gehört, durch die Wahl einer Methode der Ermittlung der Verrechnungspreise bestimmt wird. Nach Auffassung des Gerichts hat die Kommission nicht hinreichend nachgewiesen, dass die Steuerlast einer europäischen Tochtergesellschaft des Amazon-Konzerns zu Unrecht verringert worden wäre. Es handele sich dementsprechend nicht um einen selektiven Vorteil.

     

    Geklagt hatte das Großherzogtum Luxemburg und das betroffene Unternehmen, Rechtssahen T-816/17 und T-318/18, die vor allem die Feststellungen der Kommission zum Vorliegen eines Vorteils angriffen. Der Steuervorbescheid betraf komplexe Vereinbarungen zwischen in Luxemburg ansässigen Gesellschaften der Gruppe und amerikanischen Einheiten des Konzerns über die Erteilung von Lizenzen, die Übertragung bestehender Rechte des geistigen Eigentums und die Aufteilung der Kosten zwischen den Einheiten, die die Verrechnungspreise beeinflussten.

     

    Die Europäische Kommission sah in der Methode der Ermittlung der von der Tochtergesellschaft zu zahlenden Gebühren sowie der Praxis der Besteuerung von 2006 bis 2014 eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare Betriebsbeihilfe, in dem die Steuerbemessungsgrundlage künstlich verringert worden war.

     

    Für die Bestimmung der Beihilfe in Fällen der Steuer auf Einkommen von konzernzugehörigen Unternehmen ist die Wahl einer Methode der Ermittlung der Verrechnungspreise ausschlaggebend, da die Preise konzerninterner Transaktionen nicht zu Marktbedingungen bestimmt werden. Bei der Überprüfung steuerlicher Maßnahmen lässt sich im Vergleich mit der sogenannten „normalen“ Besteuerung feststellen, ob ein steuerlicher Vorteil besteht, den es ohne die in Rede stehende Maßnahme nicht gäbe.

     

    Das Gericht prüft die tatsächlichen Feststellungen der Kommission und legt dabei einerseits einen hohen Maßstab der der Kommission obliegenden Beweislast zugrunde und andererseits eine dem Gericht zustehende hohe Prüfdichte. Nach Ansicht des Gerichts sind alle Feststellungen der Kommission zum Vorteil fehlerhaft!

     

    Der Gerichtshof wird über Rechtsmittel in einigen Steuerbeihilfefällen entscheiden und sich wohl zur Beweislast und Prüfdichte äußern. Ob die Kommission im Fall Amazon ein Rechtsmittel einlegen wird, steht noch nicht fest; dabei spielt auch eine Rolle, dass tatsächliche Feststellungen des Gerichts nur in Ausnahmefällen erfolgreich angegriffen werden können.

     

    Dr. Rainer Bierwagen