Bundesarbeitsgericht vom 01.10.2024 – 9 AZR 264/23 (A)
Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte über die Berechnung der Überlassungshöchstdauer gemäß § 1 Abs. 1b AÜG in einer Konstellation zu entscheiden, bei der während der Einsatzzeit des Leiharbeitnehmers ein Betriebsteilübergang auf der Entleiherseite stattgefunden hat, und ruft hierzu den Europäischen Gerichtshof an.
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen dem beklagten Unternehmen und dem bei ihm eingesetzten Leiharbeitnehmer wegen Überschreitens der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer gemäß § 10 Abs. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist. Der Leiharbeitnehmer war in der Logistik eingesetzt, die als Betriebsteil eines Produktionsunternehmens geführt wurde. Dieser Betriebsteil ist auf das beklagte Unternehmen übergegangen. Die Überlassungshöchstdauer sei nach Ansicht des Leiharbeitnehmers überschritten, weil seine gesamte Einsatzzeit vor und nach dem Betriebsteilübergang zugrunde zu legen sei, weshalb mit dem "neuen" Entleiher ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen sei. Hiergegen wendet der Entleiher ein, dass die Überlassungshöchstdauer mit dem Betriebsteilübergang neu zu laufen beginne.
Nachdem die Instanzgerichte den Sachverhalt unterschiedlich bewertet haben, hat das Bundesarbeitsgericht das Verfahren ausgesetzt und den Europäischen Gerichtshof angerufen, um die entscheidungserhebliche Frage klären zu lassen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen bei der Berechnung der Überlassungsdauer im Fall eines Betriebsübergangs der Veräußerer und der Erwerber als ein "entleihendes Unternehmen" im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchstabe d) der Leiharbeitsrichtlinie anzusehen ist.
Die Gründe des Vorlagebeschlusses liegen noch nicht vor, sondern lediglich eine Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts (Nr. 25/24 vom 01.10.2024) sowie das Sitzungsergebnis mit dem Tenor des Vorlagebeschlusses. Klar ist aber, dass für vergleichbare Konstellationen in der Praxis bis zur abschließenden Klärung der Frage eine erhebliche Rechtsunsicherheit besteht, weil letztlich nicht absehbar ist, wie der Europäische Gerichtshof die vorgelegte Frage beantworten wird. Werden im Fall eines Betriebsübergangs die Überlassungszeiten ohne relevante Unterbrechungen im Sinne von § 1 Abs. 1b Satz 2 AÜG addiert mit der Folge, dass die jeweils einschlägige Überlassungshöchstdauer überschritten wird, besteht das Risiko, dass mit dem jeweils eingesetzten Leiharbeitnehmer kraft Gesetzes ein Arbeitsvertrag zustande kommt oder bereits zustande gekommen ist.
Vor diesem Hintergrund ist bei Betriebs- und Betriebsteilübergängen dringend zu empfehlen, genau zu prüfen, ob im Fall der Zusammenrechnung der Überlassungszeiten die Überlassungshöchstdauer überschritten wird. Vorsorglich sollten Einsätze so frühzeitig beendet werden, dass die Höchstdauer bei Zusammenrechnung der Zeiten nicht überschritten wird, sofern unter Berücksichtigung einer Risikoanalyse keine "zwingenden" unternehmerischen Gründe dagegensprechen und das Zustandekommen eines Arbeitsvertrags nicht in Kauf genommen wird. Sollte die gesamte Einsatzzeit vor und nach einem Übergang im Sinne des § 613a BGB für die Überlassungshöchstdauer relevant sein, wird sich ein Entleiher nicht darauf berufen können, dass bis zur Klärung der Frage für vergangene Zeiträume ein Vertrauensschutz besteht.
Weiter sollte bei einem Betriebs- und einem Betriebsteilübergang genau geprüft werden, welche Überlassungshöchstdauer nach dem Übergang einschlägig ist, insbesondere ob eine etwaige tarifvertraglich verlängerte Einsatzmöglichkeit oder aber die kürzere gesetzliche Höchstdauer gilt.