Für den Anwalt „Business as usual“, für den Geschäftsführer eine hochemotionale Belastungsprobe: Immer wieder erhalten Geschäftsführer kurz vor Jahresende ein Einschreiben mit dem Hinweis auf Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe wegen vermeintlicher Pflichtverletzung. Einen Grund für diese Inanspruchnahme zur Weihnachtszeit gibt es selten. Denn eine Verjährung der Geschäftsführerhaftung zum Jahresende droht in den wenigsten Fällen.
Es ist kurz vor Weihnachten, am besten der 23. Dezember. Es klingelt an der Tür und der freundliche Briefträger übergibt dem Geschäftsführer ein Einschreiben. In dem Einschreiben heißt es – überspitzt, aber meist im Ton genau so: „Sehr geehrter Herr Geschäftsführer, Sie haben Ihre Pflichten verletzt und haften dem Unternehmen gegenüber auf 10 Mio. Euro. Bitte überweisen Sie den Betrag bis spätestens 27. Dezember auf folgendes Bankkonto. Mit freundlichen Grüßen“.
Solche Schreiben wirken auf den ersten Blick grotesk. Welche Privatperson hat auf dem Bankkonto mehrere Millionen Euro kurzfristig verfügbar und wäre auch noch bereit, diese innerhalb weniger Tage zu überweisen? Auf den zweiten Blick sind sie zumindest juristisch nachvollziehbar. Sie zielen nicht auf das Privatkonto des Geschäftsführers ab, sondern auf die zugunsten des Geschäftsführers abgeschlossene D&O-Versicherung. Nur ein an den Geschäftsführer adressiertes Schreiben kann den Versicherungsfall auslösen und zugleich die Voraussetzung für Verzugszinsen schaffen. Es braucht hingegen nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, was ein solches Schreiben kurz vor den Weihnachtsfeiertagen bei dem betroffenen Geschäftsführer auslöst.
Der Geschäftsführer muss nach Erhalt eines solchen Schreibens die Inanspruchnahme unverzüglich seinem D&O-Versicherer melden. Tut er dies nicht, verstößt er gegen seine versicherungsrechtlichen Obliegenheiten – die er meist gar nicht kennt, aber dazu später. Im denkbar schlechtesten Fall verliert der Geschäftsführer hierdurch seinen Versicherungsschutz. Zugleich wird der Geschäftsführer versuchen, vor den Weihnachtsfeiertagen einen geeigneten Anwalt für seine Verteidigung zu finden.
Häufig fordern die Anspruchsteller zur Vermeidung einer Klage die kurzfristige Abgabe eines Verjährungsverzichtes. Auch diesen gilt es mit dem D&O-Versicherer und dem eigenen Anwalt abzustimmen. Ein in der Weihnachtszeit häufig nicht einfaches Unterfangen. Für den betroffenen Geschäftsführer ist diese Phase häufig hoch emotional und überfordernd. Das Weihnachtsfest ist gelaufen. Eine tagelange Auseinandersetzung mit den Vorwürfen und Gedanken rund um eine etwaige Privatinsolvenz bestimmen die Feiertage.
Aber muss das sein? Aus juristischer Sicht ist eine Inanspruchnahme zum Ende des Jahres meist nicht erforderlich. Ansprüche wegen Geschäftsführerhaftung verjähren in fünf Jahren (Paragraf 43 Abs. 4 GmbH-Gesetz). Die Verjährung der Geschäftsführerhaftung beginnt jedoch nicht zum Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist.
Da Paragraf 43 Abs. 4 GmbHG keine Regelung für den Verjährungsbeginn trifft, beginnt die Verjährungsfrist unabhängig von der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis der Gesellschaft unmittelbar mit der Entstehung des Anspruchs (Paragraf 200 S. 1 BGB). Auf die Kenntnis des Geschädigten kommt es gerade nicht an, so der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 29.9.2008 (Az. II ZR 234/07). Die Frage, weshalb viele der Inanspruchnahmen inklusive Forderungsverzichtverlangen gerade zum Jahresende erfolgen, lässt sich eigentlich nur mit Unkenntnis der Verjährungsfristen erklären.
Ungeachtet dessen stellt sich die Frage, weshalb die Anspruchsteller meist einen sehr scharfen Ton anschlagen und jede Erläuterung, dass die Inanspruchnahme vor allem im Hinblick auf die D&O-Versicherung erfolgt, fehlt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Inanspruchnahme des Geschäftsführers meist ausschließlich auf die D&O-Versicherung abzielt, da das Privatvermögen des Geschäftsführers in den seltensten Fällen für eine Befriedigung ausreicht.
Eine D&O-Versicherung wird gerade deshalb für den Geschäftsführer unterhalten, damit diese ihn im Schadensfall entlastet. Weshalb wird dies dem Geschäftsführer gegenüber nicht offengelegt, um ihm Sorgen zu nehmen? Nur in wenigen Anspruchsschreiben findet sich ein Hinweis auf die Existenz einer D&O-Versicherung und vor allem darauf, was zur Erfüllung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten konkret zu tun ist. Die Obliegenheiten sind in den Versicherungsbedingungen des D&O-Versicherungsvertrags geregelt, von denen der Geschäftsführer meist keine Kenntnis hat.
Dabei liegt es auch im Interesse des Anspruchsstellers, dass der Versicherungsschutz nicht unnötig durch die Nichterfüllung von Obliegenheiten gefährdet wird. Ohne Versicherungsschutz nämlich könnte der Anspruchsteller nur auf das – meist nicht millionenschwere – Privatvermögen des Geschäftsführers zurückgreifen.
Dieser Beitrag ist – zur Weihnachtszeit – als Appell zur gegenseitigen Rücksichtnahme zu verstehen. Inanspruchnahmen zur Weihnachtszeit sind aus juristischer Sicht meist nicht erforderlich. Sind sie es doch, lassen sie sich jedenfalls so formulieren und steuern, dass sie für den Geschäftsführer und alle weiteren Beteiligten nicht zum Desaster an Weihnachten werden. Oft lassen sich gerade bei komplexen D&O-Fällen mit mehreren Beteiligten im Vergleichsweg für alle Seiten wirtschaftlich sinnvolle Lösungen finden. Die vergleichende Betrachtung der verschiedenen Interessen im Sinne einer Mediation verlangt dabei stets ein besonderes Augenmaß und Weitsicht und – gleich zu Beginn einer streitigen Auseinandersetzung – einen guten Ton.
Dr. Florian Weichselgärtner
Dieser Beitrag ist erstmals am 09. Dezember 2024 im Versicherungsmonitor erschienen. Hier gelangen Sie zum Originalbeitrag.