Am 10. Oktober 2019 berichteten wir im Blog über das bis dato noch unveröffentlichte Konzept der Datenschutzaufsichtsbehörden zur Bußgeldzumessung bei Verstößen gegen die DSGVO. Nunmehr hat Datenschutzkonferenz (DSK) am 16. Oktober 2019 und damit früher als angekündigt, das Konzept veröffentlicht (hier abrufbar). Wie bereits berichtet (Datenschutzaufsichtsbehörden erarbeiten Konzept zur Bußgeldbemessung bei Verstößen gegen die DSGVO), sieht das Konzept eine komplexe Rechenformel vor, die in Zukunft zu deutlich höheren Geldbußen bei Datenschutzverstößen führen wird. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick.
Die Verhängung von Geldbußen bei Verstößen gegen die Vorgaben der DSGVO richtet sich nach Art. 83 DSGVO. Danach sollen die zu verhängenden Geldbußen „in jedem Einzelfall wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein.
Je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls werden sie neben oder anstelle von Maßnahmen nach Art. 58 Abs. 2 DSGVO verhängt (Art. 83 Abs. 2 Satz 1 DSGVO). Art. 83 Abs. 2 Satz 2 DSGVO sieht für die Bemessung der Bußgeldhöhe eine Vielzahl von Kriterien vor. Die Höhe der Geldbuße kann bis zu EUR 20 Mio. oder bis zu vier Prozent des gesamten weltweit erzielten Jahresumsatzes der Unternehmensgruppe im vorangegangenen Geschäftsjahr betragen, wenn dieser Betrag höher ist (vgl. Art. 83 Abs. 4 bis 6 DSGVO).
Top-Geldbußen nach DSGVO
Mit Pressemitteilung vom 16. Oktober 2019 führt die DSK aus, dass mit dem Konzept „ein Beitrag zur Transparenz im Hinblick auf die Durchsetzung des Datenschutzrechts geleistet werden“ soll. Insbesondere sollen „Verantwortliche und Auftragsverarbeiter in die Lage“ versetzt werden, „die Entscheidungen der Aufsichtsbehörden nachzuvollziehen“. Dabei soll das Konzept nur eine vorübergehende Wirkung entfalten, nämlich solange, bis eine europäische Regelung durch den Europäischen Datenschutzausschuss (EDSA) getroffen wurde. Dem Protokoll der 2. Zwischenkonferenz 2019 am 25. Juni 2019 in Mainz zufolge wurde ein Entwurf des Konzepts bereits der Taskforce Finings des EDSA vorgestellt und sei dort „auf Interesse gestoßen“.
Das Konzept folgt bei der Bußgeldzumessung einer komplexen Berechnung über fünf Stufen:
1) Zuordnung des betroffenen Unternehmens zu einer Größenklasse
2) Schematische Bestimmung des mittleren Jahresumsatzes
3) Berechnung des wirtschaftlichen Grundwertes bzw. eines Tagessatzes
4) Multiplikation des Tagessatzes mit einem aus der Schwere der Tat abgeleiteten Faktor
5) Abschließende Anpassung des ermittelten Wertes anhand täterbezogener und noch nicht berücksichtigter Umstände des Einzelfalls
3.1 Zuordnung des betroffenen Unternehmens zu einer Größenklasse
Ausgangspunkt der Berechnung ist der weltweite Umsatz (nicht der regelmäßig weitaus geringere Gewinn) des betroffenen Unternehmens, wobei die Datenschutzaufsichtsbehörden nicht auf den Umsatz der einzelnen juristischen Person abstellen werden, sondern auf die Unternehmensgruppe. Die Bemessung nach dem Konzept kann deshalb im Ergebnis zu sehr hohen Geldbußen führen und massive Auswirkungen für die betroffenen Unternehmen haben.
In einem ersten Schritt sieht das Konzept zur Bußgeldzumessung eine Einstufung des betroffenen Unternehmens in eine von vier Größenklassen vor. Die Größenklassen bzw. die Einstufung in diese richtet sich nach dem weltweiten Gesamtumsatz, der im Vorjahr erzielt wurde. Die Größenklassen betreffen:
Diese Größenklassen sind in verschiedene umsatzabhängige Untergruppen unterteilt.
3.2 Schematische Bestimmung des mittleren Jahresumsatzes
Auf der zweiten Stufe der Bußgeldzumessung wird sodann in tabellarischer Weise und unter Anknüpfung an die Größenklasse ein für die konkrete Untergruppe der Größenklasse festgeschriebener mittlerer Jahresumsatz bestimmt. Bei Unternehmen mit einem jährlichen Umsatz von über EUR 500 Mio. wird der konkrete Umsatz anstelle eines Mittelwertes der Berechnung zugrunde gelegt, wobei die Höchstgeldbuße von 2 Prozent bzw. 4 Prozent zu beachten ist.
3.3 Berechnung des wirtschaftlichen Grundwertes bzw. eines Tagessatzes
Aus dem Mittelwert wird auf der dritten Stufe ein wirtschaftlicher Grundwert in Form eines Tagessatzes ermittelt, indem der Mittelwert durch 360 (Tage) dividiert wird.
3.4 Multiplikation des Tagessatzes mit einem aus der Schwere der Tat abgeleiteten Faktor
Stufe vier sieht eine Einstufung der Tat nach ihrem Schweregrad in eine von vier Stufen (leicht, mittel, schwer und sehr schwer) vor. In diesem Zusammenhang sollen die tatbezogenen Kriterien des Art. 83 Abs. 2 DSGVO und die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. Die Einstufung führt zu einem für den jeweiligen Schweregrad festgeschriebenen Faktoren-Rahmen, aus dem wiederum ein Faktor anhand der Schwere der Tat zu wählen ist. Dabei sieht das Konzept für materielle Verstöße (Art. 83 Abs. 5 und 6 DSGVO) höhere Faktoren vor als für formelle Verstöße (Art. 83 Abs. 4 DSGVO). Bei sehr schweren Verstößen sind zudem nur Mindestfaktoren von 6 bzw. 12 vorgesehen. Der konkret ermittelte Faktor wird anschließend mit dem Grundwert bzw. Tagessatz multipliziert, wobei die nach der DSGVO möglichen Höchstbeträge nicht überschritten werden dürfen. Das Ergebnis der Multiplikation stellt einen ersten Anhaltspunkt für die zu verhängende Geldbuße dar.
3.5 Abschließende Anpassung des ermittelten Wertes
Diese wird sodann auf der fünften und letzten Stufe „anhand aller sonstigen für und gegen den Betroffenen sprechenden Umstände“ angepasst, „soweit diese noch nicht“ auf der vierten Stufe „berücksichtigt wurden“. Das Konzept stellt dabei ausdrücklich auf „eine lange Verfahrensdauer oder drohende Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens“ als zu berücksichtigende Umstände ab. In welchem Umfang die sonstigen Umstände zu berücksichtigen sind, ergibt sich nicht aus dem Konzept.
Es ist jedoch zu konstatieren, dass diese Stufe auch zu (deutlichen) Erhöhungen des ermittelten Wertes und damit der Geldbuße führen kann. So hieß es in Branchenkreisen vor der Veröffentlichung des Konzepts, dass die errechnete Geldbuße bis zu 300 Prozent erhöht, aber nur um bis zu 25 Prozent herabgesetzt werden könne. Auf eine solche Regelung wurde nun im Rahmen des Konzeptes verzichtet.
Aufgrund des Konzepts ist in Zukunft mit deutlich höheren Geldbußen als bisher zu rechnen. In dieses Bild passt auch die „Kampfansage“ der Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, die in naher Zukunft eine Geldbuße in Millionenhöhe verhängen will (siehe Artikel der Süddeutsche Zeitung). Derartig hohe Bußgelder könnten für große und wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmen in Zukunft eher die Regel als die Ausnahme sein, wenn Ausgangspunkt der Bußgeldbemessung stets der weltweite Unternehmensumsatz ist.
Gerichte sind an das Konzept zur Bußgeldbemessung jedoch nicht gebunden. Sie können in freier Verantwortung eine Bußgeldbemessung nach den gesetzlichen Regelungen vornehmen, was sich jedoch nicht immer zum Vorteil des mit einer Geldbuße belasteten Unternehmens auswirken kann, wie eine Entscheidung des OLG Düsseldorf zum Kartellrecht zeigt (OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.02.2018 – V-4 Kart 3/17 OWi; das Urteil wurde jedoch durch den BGH aufgehoben, da es verspätet zu den Akten gebracht wurde, siehe BGH, Beschluss vom 09.07.2019 – KRB 37/19).
Diese Entwicklungen zeigen einmal mehr die Notwenigkeit wirksamer und angemessener sowie gut dokumentierter datenschutzrechtlicher Compliance-Maßnahmen. Diese wirken nicht nur im behördlichen Verfahren, sondern gerade auch in einer nachfolgenden gerichtlichen Auseinandersetzung als hocheffektives Verteidigungsmittel gegen fehlerhaft bemessene Geldbußen. Nur wirksame und angemessene Compliance-Maßnahmen können zum einen das Risiko von Verstößen gegen die Vorgaben der DSGVO wirksam minimieren, zum anderen als Minderungsgrund im Rahmen der Bußgeldbemessung wirken, wenn es trotz ergriffener Maßnahmen zu einem Verstoß kommen sollte. Compliance-Maßnahmen können sogar ein Indiz gegen Vorsatz und Fahrlässigkeit darstellen (vgl. Handel, DStR 2017, 1945 f.). Mindernd zu berücksichtigen sind aber auch Aktivitäten im Compliance-Bereich, die erst nach einem Verstoß und während des laufenden Bußgeldverfahrens ergriffen werden (vgl. BGH, Urteil vom 09.05.2017 – 1 StR 265/16, Rn. 118, abrufbar hier).
Vergleicht man die dargestellten Überlegungen zu einer harten und teuren Sanktionierungspraxis bei DSGVO-Verstößen mit weiteren aktuellen Entwicklungen im Compliance-Bereich, lässt sich ein eindeutiger Trend zu harten Sanktionen und einer behördlichen „Null-Toleranz-Strategie“ ausmachen. Denn nicht nur im Datenschutzrecht, sondern auch in anderen Bereichen soll Non-Compliance viel teurer werden. Bei Straftaten (z. B. Korruption, Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit, Betrug, Umweltdelikten etc.), die aus einem Unternehmen heraus begangen werden, sollen Geldsanktionen in Höhe von bis zu 10 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes gegen Unternehmen verhängt werden können. Dies sieht der aktuelle Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes (VerSanG-E) vor. Lesen Sie hierzu mehr in unserem Blog (Verbandssanktionengesetz: Klimawandel bei Unternehmenssanktionen).
Wenn Sie Fragen zu dem Thema haben, wenden Sie sich gerne an Jörg Bielefeld, Timo Handel, Susanne Klein und Dr. Andreas Lober.