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    08.05.2025

    Neue Wege in der Arbeitswelt: Ein Überblick zu arbeits- und sozialrechtlichen Plänen der Regierung


    CDU, CSU und SPD ("Koalitionspartner") haben sich in einem umfangreichen Koalitionsvertrag auf die Politik der kommenden Jahre verständigt, die der Bewältigung der "historischen Herausforderungen" dienen soll. An verschiedenen Stellen enthält der Koalitionsvertrag Ausführungen zu arbeits- und sozialrechtlichen Themen, wobei die konkreten Maßnahmen teils unscharf bleiben. In der Präambel heißt es, dass der soziale Zusammenhalt gestärkt werden soll, wozu "verlässliche soziale Sicherungssysteme, mehr Chancengleichheit, Mitbestimmung und gute Löhne" gehörten.

    Wesentliche arbeits- und sozialrechtliche Inhalte des Koalitionsvertrags werden nachfolgend in den Blick genommen.

    Stärkung der Sozialpartnerschaft

    Die Koalitionspartner beabsichtigen, die Sozialpartnerschaft zu unterstützen sowie für faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen zu sorgen. Zentrale Elemente hierfür sind der gesetzliche Mindestlohn und die beabsichtigte Stärkung der Tarifbindung durch ein Bundestariftreuegesetz.

    Der Mindestlohn soll zwar weiterhin durch eine ausdrücklich als "unabhängig" bezeichnete Mindestlohnkommission festgesetzt werden, die sich im Rahmen einer Gesamtabwägung nach den allerdings ebenso ausdrücklich geäußerten Vorstellungen der Koalitionspartner sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60% des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten zu orientieren habe. Zudem sei nach Ansicht der Koalitionspartner ein Mindestlohn von EUR 15,00 pro Stunde im Jahr 2026 erreichbar. Der aktuelle Mindestlohn beträgt EUR 12,82, die mögliche Steigerung innerhalb der genannten Zeitspanne in Höhe von EUR 2,18 ist erheblich.

    Das Bundestariftreuegesetz, das in der vergangenen Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet wurde, soll aufgegriffen und umgesetzt werden. Es soll eine höhere Tarifbindung bezwecken. Tariflöhne müssten wieder die Regel werden und nicht die Ausnahme sein. Das Bundestariftreuegesetz soll die Vergabe von Aufträgen der öffentlichen Hand auf Bundesebene von der Tarifbindung abhängig machen und für Vergaben auf Bundesebene ab EUR 50.000,00 und für Start-Ups mit innovativen Leistungen in den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung ab EUR 100.000,00 gelten.

    Weiter soll die Tarifautonomie durch ein digitales Zugangsrecht der Gewerkschaften in die Betriebe gestärkt werden, das den analogen Rechten entspricht. Darüber hinaus wollen die Koalitionsparteien die Mitgliedschaft der Gewerkschaften durch steuerliche Anreize für Mitglieder attraktiver machen.

    Betriebliche Mitbestimmung

    Im Hinblick auf die betriebliche Mitbestimmung ist hervorzuheben, dass die Koalitionspartner neben Online-Betriebsratssitzungen, die bereits de lege lata unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 BetrVG zulässig sind, insbesondere auch Online-Betriebsversammlungen zusätzlich als gleichwertige Alternative zu den Präsenzformaten ermöglichen wollen. Nach der Nichtverlängerung der diesbezüglichen Sonderregelung in § 129 BetrVG für die Zeit der Corona-Pandemie gibt es immer wieder Diskussionen darüber, ob und inwieweit digitale oder hybride Versammlungen (doch) bereits nach geltendem Recht zulässig sind. Diese Diskussionen und die Unsicherheiten, die diesbezüglich bei Betriebsparteien bestehen, können durch die Neuregelung beseitigt werden. Der Koalitionsvertrag bezieht sich hierbei ausdrücklich nur auf Online-Betriebsversammlungen. Es dürfte aber entsprechend der Überschrift des Vierten Abschnitts des Zweiten Teils des Betriebsverfassungsgesetzes anzunehmen sein, dass auch Teil- und Abteilungsversammlungen hierunter gefasst werden und sich die Absicht auf alle dort geregelten Versammlungsarten bezieht; jedenfalls sollte der Gesetzgeber die Digitalisierung auch auf Teil- und Abteilungsversammlungen erstrecken, zumal es keinen Grund für eine Unterscheidung gibt.

    Neben der beabsichtigten obigen Digitalisierung ist die angestrebte Option der Online-Betriebsratswahl zu begrüßen. Es bleibt abzuwarten, ob diese bereits bei der im Jahr 2026 stattfindenden Wahlen möglich sein wird.

    Arbeitsschutz und Flexibilisierung

    Die Koalitionspartner haben ausdrücklich zur Kenntnis genommen, dass sowohl Beschäftigte als auch Unternehmen sich mehr Flexibilität in der Arbeitswelt wünschen. Um dem nachzukommen, soll künftig statt einer täglichen Höchstarbeitszeit im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie (vgl. Art. 6 Richtlinie 2003/88/EG) die Möglichkeit einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit geschaffen werden, vor allem auch mit dem Ziel, Familie und Beruf besser vereinbaren zu können. Über die konkrete Ausgestaltung, insbesondere ob dies nur durch oder auf Grundlage eines Tarifvertrags möglich sein oder allen Arbeitgebern offenstehen wird, schweigt der Koalitionsvertrag und verweist darauf, dass ein Dialog mit den Sozialpartnern durchgeführt werden soll.

    Weiter sollen die Möglichkeiten für Sonntags- und Feiertagsbeschäftigung gemäß § 10 ArbZG um das Bäckereihandwerk erweitert werden.

    Im Übrigen lässt sich dem Koalitionsvertrag entnehmen, dass das Arbeitsschutzniveau aufrechterhalten bleiben soll (z.B. bezüglich der Ruhepausen und Ruhezeiten).

    Arbeitszeiterfassung

    Nachdem nach den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 14.05.2019 - C-55/18 – und vom 19.12.2024 - C-531/23 – sowie des Bundesarbeitsgerichts vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21 – bislang noch keine Regelung zur Arbeitszeiterfassung getroffen wurde – der im April 2023 "durchgesickerte" Referentenentwurf wurde nicht weiterverfolgt –, beabsichtigen die Koalitionspartner nun, die Arbeitszeiterfassungspflicht ausdrücklich zu regeln. Hierbei ist die Rede von einer elektronischen Erfassung, deren konkrete betriebliche Einführung der Mitbestimmung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unterliegen dürfte, soweit für die Betriebsparteien ein Regelungsspielraum verbleibt. Für kleine und mittlere Unternehmen sollen angemessene Übergangsregeln getroffen werden. Für andere Arbeitgeber sind keine Übergangsregeln zu erwarten. Das Bundesarbeitsgericht sowie die Arbeitsschutzbehörden und erstinstanzlich die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. VG Hamburg v. 21.08.2024 – 15 K 964/24) gehen bereits nach geltender Rechtslage unter Anwendung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG auch ohne Sonderregelungen in Spezialgesetzen von der generellen Pflicht aus, sämtliche Arbeitszeiten (Beginn, Ende und Dauer) zu erfassen, nicht nur die Überstunden, wie es § 16 Abs. 2 S. 1 ArbZG vorsieht. Von der Darstellung näherer Einzelheiten, insbesondere dazu, auf wen sich die Pflicht erstreckt, sowie von einer kritischen Auseinandersetzung hiermit wird in diesem Beitrag abgesehen.

    Erfreulich und ausdrücklich zu begrüßen ist, dass sich die Koalitionspartner ausdrücklich für die Vertrauensarbeitszeit aussprechen, die ohne Zeiterfassung im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie möglich bleiben soll. Dies kommt einem in der Betriebspraxis bestehenden großen Bedürfnis entgegen.

    Steueranreize für Mehrarbeitszuschläge und Arbeitszeitaufstockungen

    Mehrarbeit soll sich auszahlen, weshalb die Koalitionspartner eine steuerliche Erleichterung für Mehrarbeitszuschläge beabsichtigen. Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich vereinbarte bzw. an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen kann, sollen steuerfrei gestellt werden. Die Untergrenze der Vollzeitarbeit, deren Überschreitung bei entsprechender Vereinbarung Mehrarbeitszuschläge auslösen kann, soll bei tariflicher Arbeitszeit bei 34 Stunden und für nicht-tariflich festgelegte oder vereinbarte Arbeitszeiten bei 40 Stunden liegen. Zur näheren Ausgestaltung soll eine praxisnahe Lösung in enger Abstimmung mit den Sozialpartnern entwickelt werden. Zudem soll ein steuerlicher Anreiz geschaffen werden, wenn Arbeitgeber Prämien zur Ausweitung der Arbeitszeit bei Teilzeitbeschäftigten zahlen.

    Umsetzung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie

    Die Transformation der bereits im Juni 2023 in Kraft getretenen europäischen Entgelttransparenzrichtlinie ([RL EU] 2023/970 v. 10.05.2023) in nationales Recht soll "bürokratiearm" erfolgen. Hierzu soll eine Kommission eingesetzt werden, die bis Ende 2025 Vorschläge erarbeitet, bevor dann "unverzüglich" das Gesetzgebungsverfahren eingeleitet wird. Die Umsetzungsfrist endet am 07.06.2026.

    Betriebliche Altersversorgung

    Die Koalitionspartner beabsichtigen ferner, die betriebliche Altersversorgung zu stärken und deren Verbreitung besonders in kleinen und mittleren Unternehmen und bei Geringverdienern weiter voranzutreiben. Neben Digitalisierung, Vereinfachung, Transparenz und Entbürokratisierung steht die Portabilität der betrieblichen Altersversorgung bzw. der Versorgungsanwartschaften im Raum. Nach geltender Rechtslage ist eine Portabilität für Versorgungsanwartschaften und laufende Leistungen nur in eingeschränktem Maße nach § 4 BetrVG zulässig.

    Novellierung des Sonderbefristungsrechts für Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen

    Im Bereich der Wissenschaft und Forschung beabsichtigen die Koalitionspartner die bereits im Jahr 2024 beabsichtigte Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes wieder aufzugreifen und das Sonderbefristungsrecht für Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen bis Mitte 2026 zu novellieren. Inhaltlich lässt sich dem Koalitionsvertrag nicht genau entnehmen, ob die in dem Entwurf aus 2024 beabsichtigten Änderungen allesamt und auch wie bislang geplant vorgenommen werden sollen. Es heißt im Koalitionsvertrag, dass Mindestvertragslaufzeiten vor und nach der Promotion eingeführt werden und Schutzklauseln auf die Drittmittelbefristung ausgeweitet werden sollen.

    Auch die Regelungen zur Arbeitszeiterfassung an Hochschulen soll rechtssicher und praktikabel erfolgen. Darüber hinaus sollen Arbeitsverhältnisse während eines Studiums vom Anschlussverbot ausgenommen werden. Hiermit ist vermutlich gemeint, dass das Vorbeschäftigungsverbot insoweit nicht gelten soll. Ob dies "ein großer Wurf" ist, sei dahingestellt, weil im Bereich des öffentlichen Dienstes ohnehin oftmals auf sachgrundlose Befristungen verzichtet wird. Mit Blick auf die Sinnhaftigkeit des Vorbeschäftigungsverbots einerseits und des Hintergrunds für studentische Arbeitsverhältnisse ist die beabsichtigte Ausnahme aber zu begrüßen. Sie sollte allerdings nicht nur auf den Bereich der Hochschulen beschränkt, sondern auch auf Arbeitgeber der Privatwirtschaft ausgeweitet werden. Ein studentischer "Nebenjob" ist in aller Regel anders gelagert ("anders geartet") als eine spätere hauptberufliche Tätigkeit, deren Aufnahme durch eine sachgrundlose Befristungsmöglichkeit erleichtert und nicht aus dem formalen Hinderungsgrund der studentischen Vorbeschäftigung erschwert werden. Es handelt es sich insofern auch ohnehin um eine Ausnahmekonstellation, die bereits nach geltender Rechtslage unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts als unschädliche Vorbeschäftigung im Sinne von § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG angesehen werden kann. Eine Klarstellung, die generell für diese Fälle Rechtssicherheit schafft, ist allerdings wünschenswert.

    Beschäftigung von Rentnern

    Es soll weiterhin möglich bleiben, abschlagsfrei nach 45 Beitragsjahren in die Rente einzutreten. Hierneben sollen finanzielle Reize für ein freiwilliges längeres Arbeiten geschaffen werden. Statt einer Erhöhung des Renteneintrittsalters setzen die Koalitionspartner auf mehr Flexibilität beim Übergang vom Berufsleben in die Rente. Wer trotz Erreichens des Rentenalters freiwillig weiterarbeitet, soll sein Gehalt bis EUR 2.000,00 steuerfrei erhalten. Zudem soll (in diesem Zusammenhang) das Vorbeschäftigungsverbot nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG aufgehoben werden, um eine Rückkehr und Weiterarbeit nach dem Renteneintritt beim bisherigen Arbeitgeber zu ermöglichen. Eine nahtlose befristete Weiterarbeit ist derzeit unter den Voraussetzungen des § 41 Abs. 1 S. 3 SGB VI möglich; eine Rückkehr zum "alten" Arbeitgeber mit einer befristeten Beschäftigung nur, wenn ein Sachgrund nach § 14 Abs. 1 TzBfG vorliegt oder eine Ausnahmekonstellation, die nicht unter das Vorbeschäftigungsverbot nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG fällt, was beides oftmals nicht der Fall ist.

    Arbeits- und Fachkräftesicherung

    Die Koalitionspartner wollen dem Fachkräftemangel durch die Beschleunigung der Erteilung von Arbeitsgenehmigungen entgegenwirken. Bürokratische Hürden sollen eingerissen werden, um eine qualifizierte Einwanderung zu unterstützen. Hierzu soll vor allem eine "Work-and-stay-Agentur" unter Mitwirkung der Bundesagentur für Arbeit errichtet werden. Als digitale Agentur soll sie mit einer zentralen IT-Plattform die einheitliche Ansprechpartnerin für ausländische Fachkräfte sein.

    Sonstiges

    Die Koalitionspartner haben es sich zum Ziel gesetzt, Schriftformerfordernisse, insbesondere im Arbeitsrecht, abzubauen, wobei beispielhaft auf die Schriftform bei Befristungen Bezug genommen wird.

    Weiter sollen die Formvorschriften der §§ 126 ff. BGB reformiert, neu strukturiert, vereinfacht und erforderlichenfalls an die neuen technischen Möglichkeiten angepasst werden. Hier bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber mit Blick auf den ebenfalls beabsichtigten Abbau von Schriftformerfordernissen künftig statt der elektronischen Form nach § 126a BGB, die eine qualifizierte elektronische Signatur voraussetzt, eine einfache elektronische Form im Sinne der Textform nach §126b BGB auch für Befristungen, Kündigungen, Aufhebungsverträge etc. ausreichen lässt. Dies würde der betrieblichen Praxis, die vielfach bereits digitale Unterschriftenprogramme (z.B. Docusign, Yousign etc.) nutzt, entsprechen und deren Ausweitung auch auf bisher der strengen Schriftform oder der elektronischen Form unterliegende Erklärungen ermöglichen.

    Im Gesundheitswesen sollen alle sozialversicherungsrechtlichen oder selbstverwaltenden Körperschaften des öffentlichen Rechts, die aus dem Beitragsaufkommen finanziert werden, künftig die gleiche Gehaltsstruktur abbilden, die für die Mitarbeitenden der niedergelassenen Ärzteschaft, der Krankenhäuser und des öffentlichen Gesundheitsdienstes gelten. Die Gehälter der gesetzlichen Krankenkassen, des Medizinischen Dienstes und weiterer Akteure sollen sich künftig am Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) orientieren. Hierdurch sollen Strukturveränderungen mit erheblichem Einsparpotential geschaffen werden.

    Hierneben enthält der Koalitionsvertrag u.a. folgende weitere Absichten mit arbeits- bzw. sozialrechtlichen Bezügen:

    • Bei der auch künftig möglichen telefonischen Krankschreibung soll Missbrauch ausgeschlossen werden, z.B. durch Ausschluss der Online-Krankschreibung durch private Online-Plattformen.
    • Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes soll ihre Arbeit fortsetzen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz soll reformiert werden.
    • Das Pflegezeitgesetz und das Familienpflegezeitgesetz sollen zusammengeführt, die Freistellungsansprüche flexibler gemacht und der Kreis der Angehörigen erweitert werden. Geprüft wird ebenso, ob ein Familienpflegegeld eingeführt werden kann.
    • Für selbständige Mütter sollen analog zu den Mutterschutzfristen für Beschäftigte ebenfalls Mutterschutzfristen eingeführt werden. Die Finanzierungsmodelle hierzu sollen zeitnah geprüft werden.
    • Das Statusfeststellungsverfahren soll reformiert und hierdurch Rechtssicherheit für Auftraggeber und Selbständige geschaffen werden. Dies ist angesichts der Entwicklung in der Rechtsprechung – nicht zuletzt seit dem Herrenberg-Urteils des Bundessozialgerichts vom 28.06.2022 – B 12 R 3/20 R – zu begrüßen.
    • Die Arbeitsbedingungen in der Kurier-, Express- und Paketdienstbranche sollen verbessert werden. Die hier geltende Nachunternehmerhaftung für Sozialversicherungsbeiträge soll als Orientierung für eine vergleichbare Regelung für die Paketzustellung dienen.
    • Das nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz soll abgeschafft und durch ein Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung, das die europäische Lieferkettenrichtlinie (RL [EU] 2024/1760 v. 13.06.2024 – CSDDD) bürokratiearm und vollzugsfreundlich umsetzt, ersetzt werden. Die Berichtspflichten nach dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz sollen "unmittelbar abgeschafft" werden und "komplett" entfallen. Noch nicht sicher prognostizieren lässt sich aber, welche genauen Pflichten auf Grundlage der CSDDD künftig gelten werden.
    • Teil eines "Sofortprogramms zum Bürokratierückbau" bis Ende 2025 soll die Abschaffung der Verpflichtung zur Bestellung von Betriebsbeauftragten bei kleinen und mittleren Unternehmen sein sowie die "signifikante" Reduzierung des Schulungs-, Weiterbildungs- und Dokumentationsaufwands.
    • Die Prävention vor psychischen Erkrankungen soll durch die nötigen Instrumente des Arbeitsschutzes, die auf ihre Wirksamkeit untersucht werden sollen, gestärkt werden.
    • Der öffentliche Dienst soll u.a. durch flexiblere Arbeitszeitmodelle und bessere Möglichkeiten für Führen in Teilzeit attraktiver gestaltet und das öffentliche Dienstrecht (z.B. durch Öffnung der Einstiegs- und Qualifikationsvoraussetzungen für Verwaltungslaufbahnen für andere Fachrichtungen und Vereinfachung von Laufbahnwechseln) modernisiert werden.

    Zu guter Letzt: Unter dem Gliederungspunkt "Bürokratieabbau, Staatsmodernisierung und moderne Justiz", Unterpunkt "Cannabis", heißt es, dass im Herbst 2025 eine ergebnisoffene Evaluierung des Gesetzes zur Legalisierung von Cannabis durchgeführt werden soll. Dies bedeutet, dass die Legalisierung (zunächst) aufrechterhalten bleibt. Arbeitgeber können zwar den Cannabiskonsum in der Freizeit nicht verbieten, jedoch betriebsinterne Regelungen für den Konsum aufstellen bis hin zu einer Null-Toleranz-Grenze, insbesondere in sicherheitsrelevanten Bereichen, bei denen Mitarbeiter sich selbst sowie ihre Kollegen täglich einer erhöhten Gefahr aussetzen (z.B. Produktion, Transport und Lieferung von Waren), sowie einem absoluten Cannabis-Konsum-Verbot. Nicht zuletzt aus Fürsorgepflichten sind also zunächst (weiterhin) entsprechende Regelungen zu empfehlen, erforderlichenfalls unter Einbeziehung des Betriebsrats (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG).

    Fazit

    An zahlreichen Stellen in dem 144 Seiten starken Koalitionsvertrag nehmen sich die Koalitionspartner vielfältige Regelungen mit Bezug zum Arbeits- und Sozialrecht vor. Einige davon sind – zum Teil sehr – zu begrüßen. Manche Themen, die diskutiert werden (z.B. eine Überarbeitung und Anpassung des Mitbestimmungsrechts bei technischen Einrichtungen gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG an die digitale Entwicklung) fehlen.

    Abzuwarten bleibt, welche konkreten Inhalte die Änderungsgesetze letztlich haben werden und ob die (voraussichtlich) künftige Bundesregierung die beabsichtigten Gesetzesvorhaben zeitnah auf den Weg bringen und umsetzen wird, damit sich gewünschte Effekte möglichst bald einstellen.

    Dr. Sebastian Kroll

    Hinweis: Der Artikel erschien auch im Expertenforum für Arbeitsrecht (EFAR) - Was beinhaltet die "Verantwortung für Deutschland" für die Arbeitswelt? – Blick in den Koalitionsvertrag – Expertenforum Arbeitsrecht (#EFAR)

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