Um mindestens 55% will die EU die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 gegenüber dem Stand von 1990 verringern und bis 2050 Klimaneutralität erreichen. Ein ehrgeiziges Ziel – insbesondere in Anbetracht dessen, wie uneinig sich zunächst die EU-Abgeordneten über die Umsetzung konkreter Maßnahmen waren und wie unzufrieden gewisse EU-Mitgliedsstaaten mit den Gesetzesentwürfen sind.
„Fit für 55“ heißt das Paket, welches Entwürfe zur Änderung bestehender Rechtsakte der EU in den Bereichen Klima, Energie und Verkehr und 13 neue Gesetzgebungsvorschläge enthält, um Emissionen in verschiedensten Sektoren zu reduzieren. Damit handelt es sich um das bisher größte Klimapaket der EU. Im Juli 2021 wurde das Paket von der Kommission vorgestellt. Damit die seitdem erarbeiteten Entwürfe als verbindliche Rechtsakte in Kraft treten können, bedarf es der Zustimmung des Europäischen Parlaments, als auch der Mitgliedsstaaten, vertreten im Rat der Europäischen Union. Hierzu fanden im Juni 2022 erste Abstimmungen ab.
Die bisher unkomplizierteste Abstimmung des Europäischen Parlaments über eine Maßnahme im Rahmen des Klimapakets war die Annahme des Vorschlags der Kommission, dass bis 2035 emissionsfreie Mobilität erreicht werden soll. Dies gilt für neue Pkw und leichte Nutzfahrzeuge wie Lieferwagen und bedeutet ein faktisches Verkaufsverbot für Diesel-, Benzin- und Hybridfahrzeuge.
Allerdings gestaltete sich in dieser Sache eine Einigung unter den europäischen Umweltministern schwieriger. Vor allem Deutschlands Rolle in den Verhandlungen wurde stark kritisiert. Denn durch späte und unabgestimmte Vorschläge, wie ein Zulassen von synthetischen Kraftstoffen, hat die deutsche Bundesregierung den Prozess zur Findung einer Verhandlungsposition verkompliziert. Trotzdem konnte eine Abstimmung im Rat, mit welcher der Position des Parlaments zugestimmt wird, gelingen. Die Bundesregierung hofft allerdings weiterhin, dass ein Prüfauftrag an die Europäische Kommission, der allerdings Fahrzeuge thematisiert, die ohnehin nicht vom Verbrenner-Verbot umfasst sind, durchgeht.
Einer der zentralen Bestandteile des Vorschlags der Kommission, die Reform des europäischen Emissionshandels (engl. Emissions Trading System „ETS“) und die damit einher-gehende Erweiterung dieses auf Verkehr und Gebäude, wurde zunächst im Parlament abgelehnt. Bisher müssen ausschließlich energieintensive Industriezweige, die Energiewirtschaft und der innereuropäische Luftverkehr, ihre Emissionen durch Zertifikate berechtigen lassen.
Während Konservative und Rechte mit Änderungsanträgen den Vorschlag der Kommission lockern wollten, zum Beispiel durch längeres Verteilen kostenloser Zertifikate an Unternehmen, ging den Grünen und den Sozialdemokraten der Entwurf nicht weit genug: anstatt sich auf einen „aufgeweichten Emissionshandel“ zu einigen, lehnten sie den Text ab.
Jedoch einigten sich Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberale außerhalb der Plenarsitzungen auf einen Kompromiss. Diesem zufolge sollen die Emissionen der unter den ETS fallenden Industriezweige bis zum Jahr 2030 gegenüber dem Stand von 2005 um 63% gesenkt werden. Der ursprüngliche Vorschlag der Kommission setzte ein Ziel von 61%, der Umweltausschuss forderte ursprünglich 67%. Auch wurde sich auf ein schrittweises Auslaufen der kostenlosen Zertifikate bis 2032 geeinigt, ab 2027 soll zusätzlich die Ausrichtung zum CO2-Grenzausgleichssystem (CBAM) für die ETS Sektoren zur Anwendung kommen. Ob dies mit den Regeln der Welthandelsorganisation vereinbar ist, müsse aber noch durch die Kommission geklärt werden.
Erstaunlicherweise gingen die Abgeordneten in der Verhandlung im Plenum, welche am 22. Juni stattfand, sogar noch weiter als im Kompromiss geeinigt und wollen nun doch zum Jahre 2024 ein neues ETS für kommerzielle Gebäude und Straßenverkehr einrichten. Bevor dieses ETS auch private Gebäude und Straßenverkehr umfassen soll, soll es ein erneutes Mitentscheidungsverfahren geben, da dies die Energiekosten für den Bürger noch weiter erhöhen würde. Auch der Seeverkehr soll künftig vom Emissionshandel umfasst sein.
In der Nacht zum 29. Juni gab der Rat seine Verhandlungspositionen hierzu bekannt, welche mehr dem Vorschlag der Kommission ähnelt und Elemente wie die Trennung zwischen kommerziellen und privaten Gebäude- und Straßenverkehrssektor aufgrund der schwierigen Umsetzung nicht übernimmt. Im künftigen Trilog, einer interinstitutionellen Verhandlung, werden also noch essenzielle Punkte diskutiert werden müssen.
Wichtige Abstimmungen im Parlament über Teile des Klimapakets, wie ein CO2-Zoll an den EU-Außengrenzen und ein Klimasozialfond für einkommensschwache Haushalte, wurden zunächst verschoben und überarbeitet. Dadurch konnten aber noch klimafreundlichere Entwürfe erarbeitet werden, welche vom Parlament angenommen wurden.
Auch in diesen Thematiken hat der Rat bereits seine Verhandlungspositionen bekannt gegeben, welche sich wiederum in einigen Punkten von den Entwürfen des Parlaments unterscheiden. Bei diesen Verhandlungen zeigte sich die deutsche Bundesregierung erneut nicht sehr kompromissbereit und wollte insbesondere den Klimasozialfond drastisch verringern. Aufgrund dessen wurde die Einigung innerhalb des Rates erschwert.
Schneller konnten sich die Abgeordneten über Ziele der EU im Thema Umweltschutz einigen, darunter höhere Ambitionen für Kohlenstoffsenken in der Landnutzung und Forstwirtschaft, stärkere Emissionsreduzierungen im internationalen Luftverkehr und strengere Reduktionsziele für die EU-Mitgliedsstaaten. Insbesondere bei Letzteren ist umstritten, wie das gesetzte Ziel von einem Anteil von 40% erneuerbarer Energie im Jahr 2030 umgesetzt werden soll, aktuell beträgt dieser 20%. Zu den Zielen hat sich der Rat noch nicht geäußert.
Auffällig ist, dass im Parlament über Texte des Klimapakets, welche theoretische Ziele betreffen, erfolgreich abgestimmt wurde, während tatsächliche Maßnahmen abgelehnt wurden oder die Abstimmung darüber verschoben wurde.
Spannend wird, ob das Europäische Parlament und der Rat genug Kompromissbereitschaft aufzeigen werden, um trotz unterschiedlicher Standpunkte Gesetzgebungsakte zu erlassen, mithilfe derer die Klimaziele der EU erreicht werden können.