Nachdem die europäische Super League schon fast wieder in Vergessenheit geraten war, flammt die Diskussion um das hoch umstrittenen Projekt nun erneut auf. Im April 2021 kündigten zwölf europäische Fußball-Spitzenklubs an, einen eigenen europäischen Wettbewerb, die „Super League“, in Konkurrenz zu den internationalen Wettbewerben der UEFA, ausrichten lassen zu wollen, in welchem eben diese zwölf Vereine den festen Kern bilden wollten. Nach wenigen Tagen des heftigen Widerstands von vor allem Fans, Vereinen und Funktionären schien das Projekt schnell begraben. Lediglich Real Madrid, Juventus Turin und der FC Barcelona hielten weiter am Vorhaben fest. Daraufhin stellte das madrilenische Handelsgericht dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg eine Reihe von Fragen zum europäischen Wettbewerbsrecht, deren Beantwortung die zukünftige Organisation des Profifußballs stark beeinflussen wird. Die zentralen Fragen lauten: Handelten die FIFA und die UEFA als unzulässiges Kartell? Missbrauchten sie ihre marktbeherrschende Stellung? Schränken sie Grundfreiheiten ein?
Anstoß zu dem Verfahren gab die Klage der spanischen European Superleague Company, S.L. gegen die europäische UEFA und die internationale FIFA auf Feststellung, dass das Handeln und die Statuten der FIFA und der UEFA EU-Wettbewerbsrecht verletzten. Im Vorabentscheidungsersuchen des madrilenischen Handelsgerichts an den EuGH vom Mai 2021 geht es darum, ob das Handeln und die Statuten der FIFA und der UEFA die Artikel 101 und 102 AEUV verletzten, ob eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung und ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vorliegen1. Außerdem steht eine Verletzung der vier vom Vertrag geschützten Grundfreiheiten (Artikel 45, 49, 56, und 63 AEUV) im Raum. Das spanische Gericht stellte vor diesem Hintergrund sechs Vorlagefragen. Diese zielen auf die rechtliche Bewertung der vorherigen Genehmigung durch die FIFA und die UEFA von Wettbewerben, die von Dritten organisiert werden, ab, falls FIFA- und UEFA-Mitglieder daran teilnehmen. Darüber hinaus geht es um die Zulässigkeit der Verhängung von Sanktionen durch die FIFA und die UEFA gegen an der Super League teilnehmende Vereine und/oder Spieler, sowie um die Zulässigkeit der Regelungen zum Eigentum an sämtlichen mit dem Wettbewerb verbundenen Rechte.
Von Seiten der Super League wirft man der UEFA und der FIFA vor, als wettbewerbswidriges Kartell zu agieren. Das Genehmigungsverfahren für die Schaffung neuer Wettbewerbe diene dazu, deren Monopolstellung zu sichern und den Wettbewerb auf dem Markt zu verhindern. Besonders wird in diesem Zusammenhang der durch die „Doppelrolle“ der UEFA als Regulierungsbehörde und Betreiber angelegte „radikale Interessenkonflikt“ hervorgehoben: Warum sollte sich die UEFA durch eine Genehmigung freiwillig Konkurrenz auf dem bisher ausschließlichen von ihm bestimmten Markt schaffen? Außerdem seien die angedrohten Sanktionen gegen Spieler und Vereine unionsrechtswidrig.
Demgegenüber stellen sich die 21 am Verfahren beteiligten EU-Mitgliedstaaten (nahezu) geschlossen hinter die UEFA. Ungeachtet der Skandale der letzten Jahre und der Kritik am Weltfußballverband und seinem europäischen Mitglied heißt es nun, die UEFA repräsentiere die Werte des Europäischen Sportmodells zum Schutz der körperlichen und moralischen Integrität der Spieler und des leistungsorientierten Wettbewerbs, welcher den jeweils die beste Leistung erbringenden Teams offen stünde. Zwar wird eingeräumt, dass die Regelungen und das Verhalten der FIFA und der UEFA grundsätzlich in einem Widerspruch zum Kartellverbot stehen könnten, allerdings wird der „Schutz der Integrität des Sports“ als legitimes Ziel im Sinne der Meca-Medina Rechtsprechung des EuGH2 ins Feld geführt. Im Rahmen dieser Rechtsprechung findet die 3-Stufen-Theorie Anwendung, welche eine legitime Zielsetzung, eine untrennbare Verbindung zwischen der Verfolgung des Ziels und der Wettbewerbsbeschränkung sowie die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme fordert. Nach Ansicht der UEFA und der FIFA sowie vieler beteiligter Mitgliedstaaten werden diese Bedingungen erfüllt, so dass keine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung nach Artikel 101 Abs. 1 AEUV vorliege und eine etwaige Zuwiderhandlung gegen Artikel 102 AEUV (Verbot des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung) ebenfalls gerechtfertigt sei. Im Rahmen dieses Rechtfertigungsgrunds sollen auch die sozialen und wirtschaftlichen Aspekte des Falls und nicht nur streng (kartell-)rechtliche Argumente in die Entscheidungsfindung mit einbezogen werden. Hinsichtlich des vorgeblichen Interessenkonflikts kann argumentiert werden, dass – wie bei anderen Wirtschaftsunternehmen auch – ein solcher der Verteidigung eigener wirtschaftlicher Interessen inhärent und nicht per se wettbewerbswidrig ist. Insofern erschiene eine andersartige rechtliche Behandlung von im Bereich des Sports agierenden Unternehmen gekünstelt.
Gleichzeitig wird von Seiten der Verteidiger zum Gegenschlag ausgeholt: (auch) die Super League stelle ein „Lehrbuchbeispiel für ein Kartell“ dar und würde dementsprechend zum „Tod des freien Wettbewerbs“ führen. Dieses Argument stützt sich darauf, dass der neue Wettbewerb eine gewisse Anzahl ständiger, finanzstarker Mitglieder vorsieht. Das widerspreche dem Prinzip der leistungsabhängigen Teilnahme. Bundessportministerin Nancy Faeser meint deshalb: „Wer den Fußball liebt, ist gegen eine Super League.“ Doch kann sich diese Argumentation juristisch tatsächlich halten?
Die in jedem Vorabentscheidungsverfahren beteiligte EU-Kommission vertritt einen differenzierten Standpunkt, bei dem sie über weite Strecken die Position des Gerichts der Europäischen Union im ISU-Urteil3 übernimmt. Sie pocht auf die Einhaltung des EU-Rechts. So spricht sie sich dafür aus, ein System von „Checks and Balances“ für die Monopolstellung der FIFA und der UEFA zu etablieren. Die Ausübung von Regulierungsfunktionen müsste Beschränkungen, Bindungen und einer Kontrolle unterliegen, um eine Verfälschung des Wettbewerbs zu verhindern. Daher könnte möglicherweise eine Anpassung des Genehmigungsverfahrens durch die FIFA bzw. UEFA erforderlich werden; dieses müsste als ein auf der Grundlage objektiver, transparenter und nichtdiskriminierender Kriterien geregeltes Verfahren ausgestaltet sein, sodass eine Genehmigung nicht schon von vornherein de facto ausgeschlossen ist. Hinsichtlich der angedrohten Sanktionen, namentlich Verboten, an FIFA- und UEFA-Wettbewerben sowie nationalen Ligen teilzunehmen oder auch für die Nationalmannschaft spielen zu dürfen, zeigt sich die Kommission ebenfalls skeptisch. Besonders an Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahmen bestünden Zweifel. Allerdings räumt die Kommission auch ein, dass die UEFA „legitime Ziele zur Beschränkung des Wettbewerbs“ haben könnte, aber „jede Verteidigung des europäischen Sportmodells das europäische Recht respektieren muss, insbesondere in Bezug auf das Wettbewerbsrecht und die Grundfreiheiten“. Möglicherweise habe die UEFA einen Interessenkonflikt bei der Genehmigung von Wettbewerben, die von Dritten organisiert werden. Schließlich müsse die Frage, ob die Super League ihrerseits ein Kartell darstelle, in einem anderen Verfahren geprüft werden.
Nach der Anhörung vor dem EuGH, die sich vor allem um die technischen Komplexitäten des EU-Wettbewerbsrechts drehte, wird nun mit Spannung die für den 15. Dezember 2022 angekündigte und oft mit Indizwirkung für das endgültige Urteil versehene Stellungnahme des Generalanwalts Athanasios Rantos erwartet. Die Entscheidung wird wohl wesentlich davon abhängen, ob die 15 Richterinnen und Richter einen notwendigen Zusammenhang zwischen den Beschränkungen und der Verfolgung des legitimen Ziels als etabliert anerkennen und welches Gewicht sie diesem Ziel im Rahmen ihrer Abwägung zukommen lassen. Erwartet wird das Urteil Ende dieses Jahres oder zu Beginn des nächsten Jahres.
Aufgrund der großen Ähnlichkeit der Fälle wurde vor der großen Kammer des EuGH ebenfalls am Montag, den 11.07.2022, über das Rechtsmittel der International Skating Union (ISU) gegen das ISU-Urteil verhandelt4. Das Gericht hatte die Klage der ISU gegen einen Kommissionsbeschluss, welcher die in der Satzung des Verbandes vorgeschriebene Vorabgenehmigungsregelung als Verletzung der Artikel 101 Abs. 1 und 102 AEUV eingestuft hatte5, am 16. Dezember 2020 hinsichtlich dieser Einschätzung abgewiesen.
Es ist folglich in beiden Fällen, dem des Dachverbands für Eiskunst- und Eisschnelllauf sowie dem für den Fußball zuständigen, von einer vergleichbaren Positionierung des EuGH auszugehen. Diese wird das zukünftige Verhältnis zwischen einerseits dem EU-Wettbewerbsrecht und andererseits Regelungen von Sportverbänden nachhaltig prägen.
2 Rechtssache C-519/04 P, David Meca-Medina und Igor Majcen gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften, ECLI:EU:C:2006:492
3 Rechtssache T‑93/18, International Skating Union gegen Kommission, ECLI:EU:T:2020:610
4 Rechtssache C-124/21 P, International Skating Union gegen Kommission
5 Beschluss C(2017) 8230, Sache AT.40208 – Zulassungsbestimmungen der Internationalen Eislaufunion