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    24.04.2025

    D&O: Wer bekommt die Versicherungssumme?


    Zu der Frage, wie Versicherungsleistungen aus einer D&O-Police auf mehrere Leistungsberechtigte verteilt werden, wenn die Versicherungssumme nicht für alle reicht, existiert keine gesetzliche Regelung. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat im vergangenen November entschieden, dass das Prioritätsprinzip („first come first served“) eine faire und sinnvolle Verteilung darstellt, wie sie die Literatur fordert. Die Entscheidung gibt den Versicherern mehr Rechtssicherheit bei der Verteilung von D&O-Versicherungsleistungen.

    Wie verteilt man Versicherungsleistungen aus einer D&O-Versicherung auf mehrere Leistungsberechtigte, wenn die Versicherungssumme nicht für alle reicht? Eine gesetzliche Regelung existiert hierzu nicht. Paragraf 109 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) regelt nur die Erfüllung von Haftpflichtansprüchen durch den Versicherer bei mehreren Gläubigern, nicht hingegen die Erfüllung von Rechtsschutzansprüchen der Versicherten aus einer D&O-Versicherung auf Gewährung von Abwehrkostenschutz. In der Literatur herrscht lediglich die Meinung, dass der Versicherer eine faire und sinnvolle Verteilung gewährleisten muss. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) entschied am 29. November 2024 (Az. 7 U 82/22), dass die Verteilung nach dem Prioritätsprinzip („first come first served“) eine solch faire und sinnvolle Verteilung darstellt.

    Wirecard – Streit über Erschöpfung Versicherungssumme

    Dem Urteil lag die Klage eines ehemaligen Geschäftsführers einer Wirecard-Tochtergesellschaft gegen einen D&O-Versicherer auf Gewährung von Abwehrkostenschutz zugrunde. Der D&O-Versicherer lehnte eine Leistungspflicht ab. Die Versicherungssumme sei aufgrund der an andere versicherte Personen geleisteten PR- und Verteidigungskosten bereits verbraucht. Diese Kosten habe man wegen der im Versicherungsvertrag enthaltenen Kostenanrechnungsklausel auf die Gesamtversicherungssumme anrechnen dürfen. Der ehemalige Geschäftsführer wendete hiergegen ein, dass die Anrechnung der PR- und Verteidigungskosten sowie die Verteilung der Versicherungsleistungen nach dem Prioritätsprinzip nicht zulässig sei. 

    Wirksame Kostenanrechnungsklausel

    Das OLG Frankfurt am Main entschied, dass die Anrechnungsklausel wirksam ist. Die Klausel sei nicht überraschend nach Paragraf 305 c des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), da auf die Versicherten in der D&O-Versicherung abzustellen sei und diesen nach Auffassung des Gerichts Kostenanrechnungsklauseln in der D&O-Versicherung bekannt seien. Es liege auch kein Verstoß gegen das Transparenzgebot gemäß Paragraf 307 Absatz 1 Satz 2 BGB vor. 

    Das OLG hatte in einem früheren Urteil zwar die Intransparenz einer Anrechnungsklausel beanstandet, weil der Versicherungsnehmer dort nicht erkennen konnte, welche Kosten angerechnet werden. Bei der hier streitgegenständlichen Klausel lag diese Unsicherheit jedoch nicht vor, da sie genau angibt, welche Kosten auf die Versicherungssumme angerechnet werden. Zudem sei klargestellt, dass interne Kosten des Versicherers nicht berücksichtigt werden. 

    Außerdem erachtete das OLG Paragraf 101 VVG im Kontext der D&O-Versicherung, bei der üblicherweise hohe und schwer vorhersehbare Abwehrkosten anfallen und oft komplexe Haftungsfragen zu klären sind, nicht als gesetzliches Leitbild. Da in solchen Fällen häufig nicht sofort ersichtlich sei, ob Abwehr oder Freistellung zur Anwendung kommt, verstoße die Klausel auch nicht gegen Paragraf 307 Absatz 2 Nummer 1 BGB.

    Ansprüche aus D&O-Versicherung: Verteilung nach Prioritätsprinzip

    Der D&O-Versicherer hatte die Erstattung gemäß dem Prioritätsprinzip vorgenommen, indem er die Versicherungsleistung in der Reihenfolge der Entstehung der jeweiligen Leistungspflicht ausgezahlt hat, und zwar nach Eingang der jeweiligen Rechnung. Diese Vorgehensweise ist nach Auffassung des OLG sinnvoll und insoweit zulässig. 

    Das Prioritätsprinzip besagt, dass frühere Versicherungsfälle vorrangig vor späteren innerhalb einer Versicherungsperiode bedient werden. Dies entspricht anerkannten versicherungsrechtlichen und kaufmännischen Prinzipien, sodass der Kläger damit rechnen musste. Auch wenn es sich um einen einheitlichen Versicherungsfall handelt, entstehen Ansprüche auf Leistungen sukzessive, wodurch spätere Ansprüche unberücksichtigt bleiben können, wenn die Versicherungssumme ausgeschöpft ist. 

    Der D&O-Versicherer orientierte sich bei der Leistungsverteilung am Rechnungseingang, da dies praktikabler ist als die schwer überprüfbare Entstehung der Kosten. Diese Methode ist weder willkürlich noch ungeeignet. Eine gewisse Ungleichbehandlung ist systembedingt und für alle Beteiligten vorhersehbar. Der Versicherer hatte zudem durch wiederholte Warnungen auf die drohende Erschöpfung der Versicherungssumme hingewiesen.

    Paragraf 109 VVG regelt nur Erfüllung von Haftpflichtansprüchen

    In diesem Zusammenhang stellte das OLG klar, dass keine gesetzliche Regelung zur Erfüllung von Rechtsschutzansprüchen der Versicherten aus einer D&O-Versicherung auf Gewährung von Abwehrkostenschutz existiert. Paragraf 109 VVG gelte nur für die Erfüllung von Haftpflichtansprüchen verschiedener Gläubiger durch den Versicherer. 

    Die neben dem Prioritätsprinzip in der Literatur diskutierten Ansätze einer Leistungsverteilung überzeugten das OLG nicht. Die Verteilung nach dem Proportionalitätsprinzip nach Paragraf 109 VVG (analog) überzeuge nicht, da es auf die Verteilung der Versicherungssumme unter mehreren geschädigten Dritten abzielt. Bei der D&O-Versicherung hingegen betrifft die Haftung mehrere Versicherte, denen ein Fehlverhalten vorgeworfen wird. 

    Eine analoge Anwendung der Regelung würde dazu führen, dass derjenige Versicherte mit dem höchsten verursachten Schaden den größten Vorteil hätte, was dem eigentlichen Schutzzweck der Norm widerspreche. Zudem fehle sowohl eine vergleichbare Interessenlage als auch eine planwidrige Regelungslücke. Darüber hinaus beziehe sich Paragraf 109 VVG ausschließlich auf die Freistellungskomponente, sodass unklar bliebe, wie in der Praxis die wesentlich häufiger anfallenden Abwehrkosten verteilt werden sollten.

    Eine Verteilung nach dem Kopfprinzip gemäß Paragraf 430 BGB ist nicht überzeugend, da die Anzahl der leistungsberechtigten Versicherten oft unklar ist und sich verändern kann. 

    Das Beliebensprinzip, das dem Versicherer die Freiheit gibt, die Versicherungssumme nach eigenem Ermessen unter den Versicherten zu verteilen, solange er die Grundsätze von Treu und Glauben gemäß Paragraf 242 BGB beachtet, ist nicht sachgerecht. Eine solche Verteilung würde zu erheblichen Unsicherheiten für die Versicherten führen, da der Versicherer im Schadensfall einem Beteiligten möglicherweise die gesamte Summe zuweisen könnte, während andere leer ausgehen. Dies widerspricht dem Grundsatz, dass jede versicherte Person grundsätzlich Anspruch auf Versicherungsschutz hat.

    Mehr Rechtssicherheit: nachvollziehbare Verteilung der Versicherungssumme

    Die Entscheidung des OLG gibt den Versicherern mehr Rechtssicherheit bei der Verteilung von D&O-Versicherungsleistungen. Die Verteilung von Versicherungsleistungen nach dem Prioritätsprinzip ist – insbesondere aus Gründen der Praktikabilität – eine sachgerechte Methode. Der Verbrauch der Versicherungssumme durch die Erstattung von (berechtigten) Rechnungen nach der Reihenfolge ihres Eingangs ist bei Vorlage entsprechender Rechnungen für alle Beteiligten nachvollziehbar. Die anderen Modelle sind in der Praxis hingegen meist schwierig umzusetzen. Sie bergen ferner Unsicherheiten, etwa wenn es im späteren Verlauf zu weiteren Inanspruchnahmen kommt beziehungsweise neue Leistungsberechtigte hinzukommen und sich hierdurch nachträglich die Verteilungsmaßstäbe ändern. 

    Dr. Florian Weichselgärtner

    Dieser Beitrag ist erstmals am 24. März 2025 im Versicherungsmonitor erschienen. Hier gelangen Sie zum Originalbeitrag.

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