BAG, Urteil vom 20. März 2025 (Az.: 7 AZR 46/24)
Die rechtskonforme Vergütung freigestellter Betriebsmitglieder ist ein "Dauerbrenner" und dies nicht erst seit dem Judikat des Bundesgerichtshofs ("BGH") vom 10. Januar 2023 (Az.: 6 StR 133/22): Mit diesem hatte der 6. Strafsenat entschieden, dass in einer zu hohen Betriebsratsvergütung sogar eine strafbare Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) der Entscheidungsträger liegen kann, die die überhöhte Vergütung zu verantworten haben (vgl. hierzu unseren Blogbeitrag vom 8. Juni 2023: Strafrechtlich sanktionierbares Verhalten bei zu großzügig bemessener Vergütung von Betriebsratsmitgliedern? | ADVANT Beiten).
Nunmehr hatte das Bundesarbeitsgericht ("BAG") mit Urteil vom 20. März 2025 (Az.: 7 AZR 46/24, bislang nur in der Pressemitteilung veröffentlicht (s. hierzu: Vergütung (freigestellter) Betriebsratsmitglieder - Darlegungs- und Beweislast - Das Bundesarbeitsgericht) wieder einmal Gelegenheit dazu, zu einer sehr praxisrelevanten Frage zu diesem Themenkomplex Stellung zu nehmen: Konkret zur Frage, welche Partei im Vergütungsrechtsstreit die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, wenn eine als zu hoch erkannte Vergütung nachträglich korrigiert werden muss. Ein guter Anlass, sich dieser Materie erneut zuzuwenden.
Zunächst noch einmal zum Hintergrund: Jede Besserstellung aber auch jede Benachteiligung eines Betriebsratsmitglieds aufgrund der Ausübung des Betriebsratsamtes ist unzulässig und sogar strafbewehrt (§ 119 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG). Das Betriebsratsmandat ist unentgeltlich zu führen und ein Ehrenamt (§ 37 Abs. 1 BetrVG). Dies, um die Neutralität der Amtsführung abzusichern.
Ein Betriebsratsmitglied ist bei seiner Vergütung so zu behandeln, als würde es seiner vertraglichen Arbeitspflicht regulär nachkommen und seine Arbeitskraft nicht ganz oder teilweise auf seine Betriebsratsaufgaben verwenden. Dies gilt auch für die Gehaltsentwicklung (§ 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG). Das Gehalt darf sich nicht infolge der Freistellung (§ 38 BetrVG) statisch verhalten. Hierin läge eine Schlechterstellung aufgrund des Engagements für den Betriebsrat. Der betriebsübliche Aufstieg muss sich deshalb auch bei Betriebsratsmitgliedern bei der Gehaltsentwicklung widerspiegeln. Andernfalls würden Arbeitnehmer davon abgehalten, sich auf ein Betriebsratsmandat zu bewerben.
Was recht einfach klingt, stellt die Praxis immer wieder vor Beurteilungsschwierigkeiten. Dies bereits seit es die gesetzlichen Bestimmungen mit den §§ 37 Abs. 4, 78 BetrVG gibt. Insbesondere, wenn die erstmalige Übernahme des Betriebsratsamtes schon viele Jahre zurückliegt, kann die rechtskonforme Vergütung von Betriebsratsmitgliedern HR-Verantwortliche vor Herausforderungen stellen. Durch das Urteil des BGH vom 10. Januar 2023 (Az.: 6 StR 133/22) geriet die Problematik erneut in den Fokus. Dieses hat viele Entscheidungsträger für die brisante Thematik sensibilisiert. Mehr noch: Folgte schnell der Ruf nach mehr Rechtssicherheit bei der Betriebsratsvergütung. Dies als Handlungsauftrag an die Politik.
Der Gesetzgeber hat reagiert und der Praxis mit novellierten Vorschriften (vgl. die §§ 37 Abs. 4, 78 Satz 2 und 3 BetrVG) eine Anwendungshilfe an die Hand gegeben. Hierdurch soll mehr Rechtsicherheit geschaffen und das für die Zusammenarbeit der Betriebsparteien oft spannungsgeladene Konfliktfeld befriedet werden (s. hierzu im Einzelnen den Beitrag vom 23. Oktober 2024: Vergütung von Betriebsräten nach deutschem Recht | ADVANT Beiten).
In der Entscheidung des BAG vom 20. März 2025 (Az.: 7 AZR 46/24) ging es um ein bereits seit dem Jahr 2002 freigestelltes Betriebsratsmitglied des VW-Konzerns. Während seiner Freistellung hatte dieses eine beachtliche Gehaltsentwicklung vollzogen: Zunächst in die Entgeltstufe (ES) 13 eingruppiert, bezog es seit dem 1. Januar 2015 eine Vergütung nach der ES 20. Hierüber hatte es auch Gehaltsanpassungsmitteilungen gegeben.
Im Oktober 2015 war ihm eine freie Stelle als Fertigungskoordinator (ES 20) angeboten worden. Für diese hatte der Arbeitnehmer intern als "Idealbesetzung" gegolten. Zu einer Bewerbung kam es aufgrund des Engagements für den Betriebsrat aber nicht.
Im Jahr 2023 überprüfte die Arbeitgeberin die Eingruppierung und sah die Vergütung als zu hoch an. Sie kürzte das Gehalt zurück auf die ES 18.
Hiergegen wehrte sich das Betriebsratsmitglied. Es verlangte mit seiner Klage die Vergütungsdifferenz von monatlich rund EUR 640,00.
Zur Anspruchsbegründung berief sich der Arbeitnehmer einerseits auf die von der Arbeitgeberin erteilten Gehaltsanpassungsmitteilungen und zum anderen auf die hypothetische Karriereentwicklung. Denn: Wäre er nicht infolge seines Betriebsratsmandats an einer Bewerbung gehindert gewesen, hätte er sich auf die ihm angebotene Stelle als Fertigungskoordinator beworben. Damit hätte er Anspruch auf ein Gehalt nach der ES 20 gehabt.
Wie bereits die Vorinstanz (Landesarbeitsgericht ("LAG") Niedersachsen, Urteil vom 8. Februar 2024, Az.: 6 Sa 559/23), allerdings mit abweichender Begründung, gab das BAG dem Betriebsratsmitglied Recht: Es begründete den Anspruch auf Zahlung der Vergütungsdifferenz mit der Vorschrift des § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG. Wollte der Arbeitgeber die einem Betriebsratsmitglied mitgeteilte und gewährte Vergütungserhöhung nachträglich korrigieren, so habe er es im Prozess darzulegen und zu beweisen, dass diese objektiv fehlerhaft war.
Möchte ein Arbeitgeber zur Ausschaltung von Compliance-Risiken von einer zu hohen Vergütung abrücken, muss er es nachweisen können, dass das Betriebsratsmitglied keinen Anspruch auf die ihm mitgeteilte Vergütung hatte. Da sich die "richtige" Vergütung bei tarifgebundenen Arbeitgebern aus tariflichen Entgeltgruppen ergibt, müssen diese die fehlerhafte Eingruppierung somit belegen können.
Umgekehrt folgt hieraus allerdings auch, dass ein Betriebsratsmitglied, das sich bei seiner Vergütung benachteiligt sieht, im Vergütungsrechtsstreit hierfür ebenfalls die Darlegungs- und Beweislast trägt.
Unabhängig von der Entscheidung des BAG müssen Unternehmen das "heiße Eisen" der rechtskonformen Vergütung von Betriebsratsmitgliedern anpacken, wenn sie dort nachträglich Fehler erkennen. Es handelt sich um eine relevante Compliance-Vorgabe. Die Nichtbeachtung kann sich – wie das Urteil des BGH vom 10. Januar 2023 (Az.: 6 StR 133/22) gezeigt hat – für die Entscheidungsträger rächen und sogar zu einer persönlichen Haftung führen.
Dr. Martin Kalf