München, 12. Oktober 2021 – Das Bundesarbeitsgericht entscheidet morgen über den Vergütungsanspruch einer Arbeitnehmerin während einer Geschäftsschließung aufgrund behördlicher Anordnung während der Corona-Pandemie (5 AZR 211/21).
Der Arbeitgeber betreibt einen Handel mit Nähmaschinen und Zubehör. Er unterhält eine Zweigstelle, in der die Arbeitnehmerin seit Oktober 2019 als geringfügig Beschäftigte im Verkauf tätig ist. Aufgrund einer Allgemeinverfügung der Stadt B. vom 23. März 2020 war die Verkaufsstelle in B. wegen der Corona-Pandemie im Monat April 2020 geschlossen. Wäre dies nicht erfolgt, hätte die Mitarbeiterin in diesem Monat gearbeitet und ein Entgelt von 432,00 Euro netto erzielt. Diesen Betrag hat die Arbeitnehmerin als sogenannten Annahmeverzugslohn verlangt. Sie hat gemeint, auch die Schließung der Filiale aufgrund behördlicher Anordnung wegen der Corona-Pandemie sei ein Fall des von der Arbeitgeberin zu tragenden „Betriebsrisikos“.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Sie haben ausgeführt, die Vorschrift zum Annahmeverzugslohn betreffe alle Fälle, in denen der Arbeitgeber, sei es aus tatsächlichen, sei es aus rechtlichen Gründen, notwendige Arbeitsmittel nicht zur Verfügung stellen könne. Nach § 615 Satz 3 Bürgerliches Gesetzbuch kann der Arbeitnehmer für die infolge eines „Verzugs“ nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung ohne Nachleistung verlangen, wenn der Arbeitgeber mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug kommt. Verzug liegt vor, wenn der Arbeitgeber die angebotene Arbeitsleistung nicht annimmt. Das Angebot ist entbehrlich, wenn der Arbeitgeber z.B. den Betrieb schließt, auch aufgrund einer behördlichen Anordnung. Im Übrigen sei nach der Allgemeinverfügung der Stadt B. nur die Öffnung von Einzelhandelsgeschäften für den Publikumsverkehr verboten gewesen. Damit sei es durchaus möglich gewesen, die Mitarbeiterin mit anderen zumutbaren Aufgaben zu beschäftigen. Diese Situation komme dem allgemeinen Wirtschaftsrisiko nahe, das der Arbeitgeber trage.
„In allen Fällen, in denen der Arbeitgeber nicht mit Kurzarbeit auf eine Betriebsschließung reagieren kann, stellt sich die Frage, wer das Lohnrisiko trägt“, sagt Dr. Wolfgang Lipinski, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner und Praxisgruppenleiter bei der internationalen Wirtschaftskanzlei ADVANT Beiten. „Wie im vorliegenden Fall ist dies zum Beispiel beigeringfügig Beschäftigten der Fall, da sie nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind und daher kein Kurzarbeitergeld beziehen können“, so der Anwalt weiter. „Sollte das Bundesarbeitsgericht vorliegend eine Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos ablehnen, damit zugunsten der Arbeitnehmerseite entscheiden und den Arbeitgebern mit dem Argument des Tragens des Betriebsrisikos das Lohnrisiko aufbürden, sollten Unternehmen insbesondere für den etwaigen Fall zukünftiger coronabedingter Betriebsschließungen Vorsorge treffen. Denkbar sind arbeits- und tarifvertragliche Gestaltungen, um derartige Lohnfortzahlungskosten zukünftig zu vermeiden. Sie sind aber sorgsam zu treffen, so dass sie später in einem gerichtlichen Prozess Bestand haben“, betont Lipinski.
Dr. Wolfgang Lipinski ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei ADVANT Beiten. Er leitet dort die Praxisgruppe Arbeitsrecht mit ca. 65 Anwältinnen und Anwälten. Gerne steht er Ihnen für ein Interview oder Gastbeiträge zur Verfügung.
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