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    17.12.2024

    Befristete Arbeitszeiterhöhung bei wissenschaftlichem Personal


    Bundesarbeitsgericht vom 28. Mai 2024 – 9 AZR 352/22

    "Die Befristung einer Arbeitszeiterhöhung bei wissenschaftlichem Personal unterliegt einer Vertragsinhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 BGB. Die Bestimmungen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes sind weder direkt noch entsprechend anwendbar, fließen jedoch als Wertungsmaßstab in die Vertragsinhaltskontrolle ein." (amtlicher Leitsatz)

    Sachverhalt

    Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer befristeten Arbeitszeiterhöhung. Die Arbeitnehmerin meint, die Befristung ihrer Arbeitszeiterhöhung benachteilige sie unangemessen, weil die Wertungen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) zu berücksichtigen seien, wonach die befristete Beschäftigung zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen Qualifikation erfolgen müsse. Bei ihr treffe dies auf den mit 50% befristeten Anteil ihrer Stelle nicht zu. Auch sei die Höchstbefristungsdauer in der Postdoc-Phase weit überschritten. Weiter sei das Zitiergebot nach § 2 Abs. 4 WissZeitVG nicht eingehalten. Zudem sei die Befristung der Arbeitszeiterhöhung rechtsmissbräuchlich.

    Die Arbeitnehmerin verfolgt mit ihrer Klage die Feststellung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses in Vollzeit. Arbeits- und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen, wogegen sich die Arbeitnehmerin mit ihrer Revision wendet.

    Die Entscheidung

    Mit Erfolg! Das Bundesarbeitsgericht hat die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Die Begründung des Landesarbeitsgerichts sei rechtsfehlerhaft, weil der Annahme, die Befristung der Arbeitszeiterhöhung habe der wissenschaftlichen Qualifizierung der Arbeitnehmerin gedient, keine hinreichende Feststellung zugrunde liege.

    Bestätigt hat das Bundesarbeitsgericht jedoch die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Vereinbarung der befristeten Arbeitszeiterhöhung als Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) am Maßstab des § 307 Abs. 1 BGB zu prüfen sei, wobei die Wertungen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes jedenfalls dann einfließen, wenn es um eine Arbeitszeiterhöhung von erheblichem Umfang geht. Gemäß § 307 Abs. 1 BGB sind AGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Bei der Beurteilung sei ein genereller, typisierender und vom Einzelfall losgelöster Maßstab anzulegen. Die Wertungen des § 2 WissZeitVG finden bei der erforderlichen Interessenabwägung Eingang in die Befristungskontrolle. Umstände, die sogar die Befristung des gesamten Arbeitsvertrags rechtfertigen können, bleiben nicht ohne Bedeutung, sondern können sich bei der Befristung einer einzelnen Vertragsbedingung zugunsten des Arbeitgebers auswirken. Wäre eine Befristung des gesamten Arbeitsvertrags gerechtfertigt, überwiege in aller Regel das Interesse des Arbeitgebers an der nur befristeten Vereinbarung der einzelnen Vertragsbedingung das Interesse des Arbeitnehmers an deren unbefristeter Vereinbarung.

    Im Wissenschaftsbereich sei das Sonderbefristungsrecht des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes in den Blick zu nehmen, jedenfalls dann, wenn es um eine befristete Arbeitszeiterhöhung in einem erheblichen Umfang geht. In diesem Fall sei das dem Befristungsrecht zugrundeliegende Ziel gefährdet, dem Arbeitnehmer Planungssicherheit über sein künftiges Einkommen zu geben. Ein Sachverhalt, der nach den Wertungen dieses Gesetzes eine Befristung des – die Arbeitszeiterhöhung betreffenden eigenständigen – Arbeitsvertrags insgesamt rechtfertigen könnte, spreche für ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der nur befristeten Arbeitszeiterhöhung.

    Vorliegend habe das Landesarbeitsgericht keine hinreichende Feststellung von Tatsachen vorgenommen, die eine abschließende Beurteilung ermöglichen, ob die Aufstockung der Arbeitszeit zur Förderung der wissenschaftlichen Qualifikation der Arbeitnehmerin erfolgt ist. Um die Wertungen der Qualifizierungsbefristung gemäß § 2 Abs. 1 WissZeitVG einfließen lassen zu können, müsse geklärt werden, ob Umstände bei Vertragsschluss vorlagen, die die Annahme rechtfertigen, dass die Beschäftigung der wissenschaftlichen Qualifizierung dient. Das Bundesarbeitsgericht hat die Sache daher an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, damit das Berufungsgericht als Tatsacheninstanz die erforderlichen Feststellungen zum Tätigkeitsinhalt der Arbeitnehmerin im Rahmen der Arbeitszeitaufstockung treffen und insbesondere feststellen kann, worin der Qualifizierungszweck lag und welche Tätigkeitsinhalte der Arbeitnehmerin in welchem Umfang zur Qualifizierung dienten. Wenn ein befristeter Arbeitsvertrag im Umfang der Arbeitszeiterhöhung zulässig gewesen wäre, müsse das Berufungsgericht eine abschließende Interessenabwägung vornehmen.

    Den weiteren Einwendungen der Arbeitnehmerin, dass das Zitiergebot gemäß § 2 Abs. 4 WissZeitVG nicht eingehalten und die befristete Arbeitszeiterhöhung rechtsmissbräuchlich sei, hat das Bundesarbeitsgericht eine Absage erteilt. Das Zitiergebot gelte nicht für die Befristung einzelner Arbeitsbedingungen und bei der Beurteilung, ob eine Qualifizierungsbefristung gemäß § 2 Abs. 1 WissZeitVG wirksam ist, finden die Grundsätze des institutionellen Rechtsmissbrauchs keine Anwendung, weil sich die zeitlichen Grenzen für den Abschluss befristeter Arbeitsverträge bereits aus dem Gesetz ergeben.

    Konsequenzen für die Praxis

    Das Bundesarbeitsgericht stellt den Prüfungsmaßstab bei der Beurteilung befristeter Arbeitszeiterhöhungen bei wissenschaftlichem Personal klar und schafft damit eine größere Rechtssicherheit für die praktische Handhabung derartiger Fälle. Das Urteil ist wenig überraschend und entspricht letztlich der Vorgehensweise außerhalb des Wissenschaftsbetriebs unter Heranziehung der Wertungsmaßstäbe des § 14 TzBfG.

    Praxistipp

    Bei einer befristeten Arbeitszeiterhöhung ist zu berücksichtigen, dass es sich nicht um ein gesondertes befristetes Arbeitsverhältnis, sondern um die Änderung einer Arbeitsbedingung handelt und die Befristungsregeln keine unmittelbare Anwendung finden, jedoch als Wertungsmaßstab in die Vertragsinhaltskontrolle einfließen und eine Befristung in aller Regel rechtfertigen, wenn selbst der gesamte Arbeitsvertrag als solcher befristet geschlossen werden könnte. Die hierfür maßgeblichen Umstände bei Vertragsschluss sollten ebenso sorgfältig dokumentiert werden wie beim Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags nach § 2 Abs. 1 WissZeitVG.

    Dr. Sebastian Kroll

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