Arbeitsrechtliche Änderungen ab 1. Januar 2025: Bürokratieentlastungsgesetz IV (viertes Gesetz zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, der Wirtschaft, sowie der Verwaltung von Bürokratie) ist verkündet
Hintergrund:
Am 18. Oktober 2024 hat der Bundesrat seine Zustimmung zum vierten Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV) erteilt, nachdem der Bundestag das Gesetz bereits am 26. September 2024 verabschiedet hatte.
Ziel des Gesetzes ist es, die Wirtschaft durch den Abbau unnötiger Bürokratie zu entlasten. Insbesondere sollen Arbeitgeber durch vereinfachte Dokumentations- und Nachweispflichten unterstützt werden.
Wichtige Änderungen betreffen zahlreiche arbeitsrechtliche Gesetze, darunter das Nachweisgesetz, das Arbeitszeitgesetz, das Jugendarbeitsschutzgesetz, das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, das Mutterschutzgesetz sowie das Pflege- und Familienzeitgesetz. Auch Anpassung im Sozialgesetzbuch VI und der Gewerbeordnung gehören dazu.
Das BEG IV wurde am 29. Oktober im Bundesgesetzblatt veröffentlicht (BGBl. I, Nr. 323). Die Neuerungen treten überwiegend zum 1. Januar 2025 in Kraft. Lediglich die Änderungen im Bundeseltern- und Erziehungsgesetz (BEEG) treten erst zum 1. Mai 2025 in Kraft.
Gesetzesänderungen:
Nachfolgend finden Sie einen Überblick über die zentralen arbeitsrechtlichen Änderungen, die das BEG IV mit sich bringt.
1. Änderungen des Nachweisgesetzes:
Bisherige Regelung:
- Die wesentlichen Vertragsbedingungen des Arbeitsverhältnisses sind innerhalb einer kurzen Frist schriftlich niederzulegen, die Niederschrift muss unterzeichnet werden und dem Arbeitnehmer ausgehändigt werden, § 2 Abs. 1NachwG.
- Der gesonderten Niederschrift bedarf es nicht, sofern die erforderlichen Mindestregelungen in einem schriftlichen Arbeitsvertrag enthalten sind und dieser dem Arbeitnehmer ausgehändigt worden ist, § 2 Abs. 5 NachwG.
- Die elektronische Form (§ 126a BGB) ist ausdrücklich ausgeschlossen, § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG.
Neue Gesetzeslage ab dem 1. Januar 2025:
- Die wesentlichen Vertragsbedingungen im Sinne des § 2 NachwG n.F. können in Textform (§ 126b BGB) abgefasst werden und elektronisch an den Arbeitnehmer übermittelt werden.
- Das Dokument muss für den Arbeitnehmer zugänglich sein, gespeichert und ausgedruckt werden können.
- Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer mit der Übermittlung aufzufordern, einen Empfangsnachweis zu erteilen.
- Auf Verlangen des Arbeitnehmers ist die Niederschrift unter Hinweis auf den Geltungsbeginn der wesentlichen Vertragsbedingungen unverzüglich in schriftlicher Form zu erteilen.
- Die Formerleichterung gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer in einem Wirtschaftsbereich oder Wirtschaftszweig nach § 2a Abs. 1 SchwArbG tätig ist.
Praxishinweise:
- Der Abschluss eines Arbeitsvertrags war auch bisher schon auf elektronischem Weg möglich. Nur bestand die (bußgeldbewehrte) Pflicht, die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich (also „im Original“ und mit eigenhändiger Unterschrift) niederzulegen. Letzteres ist nun nicht mehr zwingend erforderlich.
- Achtung: Für befristete Arbeitsverträge gilt weiterhin das Schriftformerfordernis der Befristungsabrede als solcher (§ 14 Abs. 4 TzBfG; die Befristungsabrede kann durch die elektronische Form des § 126a BGB („qualifizierte elektronische Signatur“) ersetzt werden).
- Achtung: Auch nachvertragliche Wettbewerbsverbote bedürfen nach § 74 HGB der Schriftform (auch hier ist § 126a BGB anwendbar).
2. Änderungen des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch:
Bisherige Regelung:
- Regelungen, die das Arbeitsverhältnis mit Erreichen des Regelrenteneintrittsalters automatisch beenden („Regelrentenaltersbefristung“; § 41 SGB VI) müssen bislang nach der Rechtsprechung des BAG schriftlich oder in elektronischer Form (§ 126a BGB) vereinbart werden; ansonsten ist die Befristung (es handelt sich eigentlich um eine auflösende Bedingung, für die nach § 21 TzBfG aber die Befristungsregelungen entsprechend gelten) unwirksam.
Neue Gesetzeslage ab dem 1. Januar 2025:
- Die Erleichterung des NachwG würde ohne Anpassung der Schriftform für Regelrentenaltersbefristungen zu keinem spürbaren Mehrwert führen, da praktisch die ganz überwiegende Mehrheit der Arbeitsverträge eine Regelrentenaltersbefristungsregelung enthält.
- Gemäß § 41 Abs. 2 SGB VI n.F. reicht künftig die Textform nach § 126b BGB für eine wirksame Regelrentenaltersbefristung aus.
- Bei allen anderen Befristungen bleibt das strenge Schriftformerfordernis bestehen (§ 14 Abs. 4 TzBfG bleibt unverändert).
Praxishinweis:
- Künftig können Arbeitsverträge, die abgesehen von der Rentenaltersbefristung unbefristet ausgestaltet sind (und auch keine anderen Regelungen mit ausdrücklichem Schriftformerfordernis aufweisen), wirksam in Textform abgeschlossen werden.
- Achtung: Die Vereinbarung weiterer auflösender Bedingungen (z.B. Bezug von Erwerbsminderungsrente, vor dem Regelrenteneintritt liegende Altersgrenzen) bedürfen auch weiterhin der Schriftform bzw. der elektronischen Form nach § 14 Abs. 4 TzBfG. § 41 Abs. 2 SGB VI n.F. findet nur auf die Regelrentenaltersbefristung Anwendung.
3. Änderungen der Gewerbeordnung:
Bisherige Regelung:
- Arbeitszeugnisse müssen bislang vom Arbeitgeber, dem Vorgesetzten oder der Führungskraft des Arbeitnehmers schriftlich erteilt werden (§ 109 Abs. 1 S. 1 GewO).
- Die elektronische Form der Erteilung des Zeugnisses ist bislang ausgeschlossen, § 109 Abs. 3 GewO.
Neue Gesetzeslage ab dem 1. Januar 2025:
- Die elektronische Form nach § 126a BGB (also Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur) reicht künftig aus, wenn der Arbeitnehmer einwilligt (§ 109 Abs. 3 GewO n.F.).
Praxishinweise:
- Die Neuregelung kommt den praktischen Bedürfnissen im Arbeitsrecht nach und vereinfacht die Zeugniserteilung (bisher hat die Übersendung des Zeugnisses schriftlich, in ungeknickter, ungehefteter und ungelochter Form zu erfolgen). Freilich galt schon bisher: „wo kein Kläger, da kein Richter“ und künftig kann der Arbeitnehmer auch weiterhin ein schriftliches Arbeitszeugnis verlangen. Zu erwarten sein dürfte aber eine Änderung des Zeugniserteilungsstandards.
- Für die Einholung der Zustimmung zur Erteilung des Zeugnisses in elektronischer Form bestehen keine eigenständigen Formvorgaben. Aus Nachweisgesichtspunkten lässt man sich die Zustimmung am besten per E-Mail erteilen. Im Fall von gerichtlichen Verfahren sollte die Erteilung in elektronischer Form in den Vergleichstext aufgenommen werden; ebenso bei Aufhebungs- / Abwicklungsvereinbarungen.
- Der Arbeitgeber ist nicht zur elektronischen Ausstellung verpflichtet.
- Nach der Gesetzesbegründung soll die elektronische Form ausgeschlossen sein, wenn das Zeugnis nachträglich ausgestellt wird und dann rückdatiert wird. Das ist gerade bei streitigen Auseinandersetzungen oder nachträglichen Zeugnisberichtigungen regelmäßig der Fall. Argument: Aus dem Zeitstempel der elektronischen Form könnten ansonsten nachteilige Schlüsse (fehlende „Berufsförderlichkeit“) gezogen werden.
4. Änderungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes:
Bisherige Regelung:
- Schriftformerfordernis für Arbeitnehmerüberlassungsverträge zwischen Verleiher und Entleiher (§ 12 Abs. 1 S. 1 AÜG).
- Ein Verstoß gegen die Schriftformerfordernis hat im Zweifel zur Folge, dass der Vertrag als nichtig anzusehen ist und eine Ordnungswidrigkeit darstellt, die mit einem Bußgeld von bis zu EUR 30.000 belegt werden kann.
- Ein Verstoß führt bislang darüber hinaus zum Risiko der Fiktion des Arbeitsverhältnisses zum Entleiher und damit zu einem Wechsel der Arbeitgeberpflichten (§ 9 Abs. 1 Nr. 1a, § 10 Abs. 1 AÜG; streitig).
Neue Gesetzeslage ab dem 1. Januar 2025:
- Die Textform reicht künftig nach § 12 Abs. 1 S. 1 AÜG n.F. aus.
- Entsprechende Anpassung in § 14 Abs. 3 S. 2 AÜG n.F.: Dem Betriebsrat ist im Rahmen des Verfahrens nach § 99 BetrVG (Übernahme eines Leiharbeitnehmers zur Arbeitsleistung) nicht mehr zwingend die Erklärung des Verleihers über den Besitz der Verleiherlaubnis in Schriftform vorzulegen.
Praxishinweis:
- Die übrigen Vorgaben des § 12 AÜG bleiben unverändert, so dass auch weiterhin darauf zu achten ist, die inhaltlichen Regelungen des § 12 AÜG genau zu befolgen, künftig dann aber in Textform. Dies erleichtert gerade in zeitkritischen Fällen die praktische Handhabung.
5. Änderungen des Mutterschutzgesetzes:
Bisherige Regelung:
- Pflicht des Arbeitgebers zu einer anlassunabhängigen Gefährdungsbeurteilung im Mutterschutz, § 10 Abs. 1 MuSchG.
Neue Gesetzeslage ab dem 1. Januar 2025:
- Die Pflicht des Arbeitgebers zur anlassunabhängigen Gefährdungsbeurteilung entfällt, wenn eine vom Ausschuss für Mutterschutz veröffentlichte Regel oder Erkenntnis festlegt, dass eine schwangere oder stillende Frau eine bestimmte Tätigkeit nicht ausüben oder einer Arbeitsbedingung nicht ausgesetzt sein darf (§ 10 Abs. 1 S. 3 MuSchG n.F.).
6. Änderungen des Bundeselterngeld- und Elternzeitengesetzes:
Bisherige Regelung:
- Arbeitnehmer müssen bislang den Antrag auf Elternzeit gem. § 16 Abs. 1 S. 1 BEEG schriftlich stellen.
- Ein Antrag per E-Mail ist nichtig, und Arbeitnehmer genießen bei unberechtigtem Fernbleiben von der Arbeit nicht den gesetzlichen Sonderkündigungsschutz gem. § 18 BEEG.
- Auch für der Antrag auf Teilzeit während der Elternzeit gilt bislang das Schriftformerfordernis.
- Spiegelbildlich muss bislang die Ablehnung eines Antrages auf Teilzeit während der Elternzeit (und die Ablehnungsbegründung) durch den Arbeitgeber die Schriftform wahren.
Neue Gesetzeslage ab dem 1. Mai 2025:
- Der Anspruch auf Elternzeit nach § 16 Abs. 1 S. 1 BEEG n.F. und der Anspruch auf Teilzeit während der Elternzeit, § 15 Abs. 7 BEEG n.F., können in Textform geltend gemacht werden.
- Auch die Ablehnung eines solchen Antrags und dessen Begründung durch den Arbeitgeber sind künftig in Textform möglich.
Praxishinweise:
- Die Neuregelung ist für Arbeitgeber zweischneidig: Nicht selten stellen Arbeitnehmer einen formunwirksamen Antrag auf Elternzeit oder Teilzeit in Elternzeit, nämlich einen solchen per E-Mail. Das wird künftig nicht mehr zur Unwirksamkeit des Antrags führen (und damit nicht mehr als Notnagel für eine verspätete Reaktion des Arbeitgebers dienen können). Andererseits kann nun auch die Ablehnung eines Antrags in Textform erfolgen.
- Wenn Arbeitgeber Anträge in Textform ablehnen, sollte stets mit Lesebestätigung oder Empfangsbekenntnis gearbeitet werden, um im Bestreitensfalle den Zugang der Ablehnung nachweisen zu können.
7. Änderungen des Pflegezeitgesetzes und des Familienpflegezeitgesetzes:
Bisherige Regelung:
- Geltendmachung und Inanspruchnahme durch den Arbeitnehmer bzw. die Ankündigung der Inanspruchnahme bedürfen nach § 3 Abs. 3 PflZG und § 2a Abs. 1 FamPflZG der Schriftform oder der elektronischen Form (§ 126a BGB).
Neue Gesetzeslage ab dem 1. Januar 2025:
- Die Geltendmachung und Inanspruchnahme durch den Arbeitnehmer sind künftig per Textform möglich.
8. Änderungen des Arbeitszeitgesetzes und Jugendarbeitsschutzgesetzes:
Bisherige Regelung:
- Der Arbeitgeber ist bislang verpflichtet, das Arbeitszeitgesetz, die in der Folge des Gesetzes im Betrieb geltenden Rechtsverordnungen sowie die Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen, die zulässige Abweichungen vom Arbeitszeitgesetz enthalten, auszuhängen oder auszulegen (§ 16 Abs. 1 ArbZG).
- Ebenfalls auszuhängen oder auszulegen sind bislang die Anschrift der zuständigen Aufsichtsbehörde für den Jugendarbeitsschutz, die behördlichen Ausnahmebewilligungen nach dem JArbSchG und bei mindestens drei beschäftigten Jugendlichen der Beginn und das Ende der Arbeitszeit und der Pausenzeiten (§§ 47, 48 JArbSchG).
- Zudem sieht das Jugendarbeitsschutzgesetz bislang für sämtliche Handlungen die Schriftform vor.
Neue Gesetzeslage ab dem 1. Januar 2025:
- Auf den Aushang oder das Auslegen der genannten Unterlagen kann künftig verzichtet werden.
- Stattdessen können diese Unterlagen mit ,,betriebsüblicher Informations- und Kommunikationstechnik“ den Arbeitnehmern zur Verfügung gestellt werden (§ 16 Abs. 1 ArbZG n.F.; §§ 47, 48 JArbSchG n.F.).
- Zwingende Voraussetzung ist, dass alle Beschäftigten einen ungehinderten Zugang zu diesen Informationen haben.
- Die im Jugendarbeitsschutzgesetz vorgesehene Schriftform für Handlungen kann nach § 1a JArbSchG n.F. ebenfalls in Textform erfolgen (mit Ausnahme von § 6 Abs. 4 S. 1 und § 21a Abs. 2 JArbSchG).
Würdigung:
Insgesamt stellt die erweiterte Einführung der Textform durch das BEG IV einen wichtigen und richtigen Schritt in Richtung der Digitalisierung dar. Die Auswirkungen dürften durchaus spürbare Vorteile bieten und ermöglichen ein schnelleres, rechtssicheres Handeln.
Die Schriftform ist aber nicht etwa abgeschafft worden; es ist lediglich der Anwendungsbereich der Textform in bestimmten Gesetzen erweitert worden. Für die Personalarbeit ist künftig wie bisher besondere Sorgfalt beim Umgang mit den unterschiedlichen Formvorschriften unerlässlich.
Der Umstand, dass die Textform nun in weiterem Umfang genutzt werden kann, entbindet nicht vom Erfordernis, dass die entsprechenden Erklärungen dem Adressaten auch zugehen müssen und dies vom Versender im Zweifel auch nachzuweisen ist. Da (einfache) E-Mails keinen Zugangsnachweis bereitstellen, sollte vermehrt mit dem feature der Lesebestätigung gearbeitet werden und sicherheitshalber die Aufforderung zur Abgabe einer Empfangsbestätigung (per E-Mail oder anderweitig) erteilt werden. Stellen sich Adressaten „taub“ und reagieren nicht auf E-Mails, so ist im Zweifel und bei hoher Bedeutung der Erklärung doch auf die klassische Zustellung in Schriftform mit Zustellungsnachweis zurückzugreifen.
Dr. Gerald Müller-Machwirth
Maren Elliott