Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 28. Juni 2024 – 9 TaBV 52/23
Der Minderheitenschutz verbietet es einem Betriebsrat, so lange die Vertreter einer Minderheitsliste durch Beschlüsse aus dem Betriebsausschuss abzuberufen, bis es keine möglichen Nachfolger mehr gibt und die freien Plätze durch Mitglieder der Mehrheitsliste zu ersetzen.
Aufgabe des frisch gewählten Betriebsrates war es, unmittelbar nach seiner Konstituierung einen Betriebsausschuss zu bilden und zu bestimmen, welche Betriebsratsmitglieder von ihrer beruflichen Tätigkeit freizustellen waren. Der Betriebsausschuss führt in größeren Unternehmen die laufenden Geschäfte des Betriebsrats. Gemäß § 27 BetrVG gehören zum Betriebsausschuss der Vorsitzende des Betriebsrats, dessen Stellvertreter sowie eine nach Größe des Betriebsrates variierende weitere Anzahl an Ausschussmitgliedern, die vom Betriebsrat aus seiner Mitte in geheimer Wahl nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden. Gleiches gilt gemäß § 38 BetrVG für die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder. Die Abberufung der Gewählten ist durch einen in geheimer Abstimmung gefassten Beschluss des Betriebsrats mit einer Dreiviertelmehrheit möglich. Ist in einem solchen Fall die Minderheitenliste erschöpft, kann das ersatzweise in den Betriebsausschuss zu entsendende bzw. freizustellende Betriebsratsmitglied mit einfacher Mehrheit gewählt werden. Der frisch gewählte Betriebsrat nutzte dies, indem er unmittelbar nacheinander mit qualifizierter Mehrheit alle nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählten Mitglieder einer Minderheitsliste bis zur Erschöpfung dieser Liste abberief und sodann mit einfachen Mehrheitsbeschlüssen durch Vertreter der Mehrheitsliste ersetzte. Hiergegen wehrten sich die der Minderheitenliste zugehörigen Betriebsratsmitglieder, indem sie die Unwirksamkeit der Beschlüsse gerichtlich geltend machten.
Das Landesarbeitsgericht gab den der Minderheitenliste zugehörigen Betriebsratsmitgliedern recht und entschied, dass die angegriffenen Abwahlbeschlüsse wegen einer Umgehung des gesetzlichen Minderheitenschutzes nichtig waren. Zwar seien die einzelnen Abberufungs- und Wahlvorgänge mit der jeweils erforderlichen Mehrheit zustande gekommen und verstießen für sich betrachtet nicht gegen gesetzliche Vorschriften. Die Vorgänge stellten nach Ansicht des Landesarbeitsgerichtes jedoch einen einheitlichen Sachverhalt dar, der bei der gebotenen Gesamtbetrachtung eine Umgehung des gesetzlichen Minderheitsschutzes bewirke. Trotz des erforderlichen Quorums werde der vom Gesetzgeber beabsichtigte Minderheitsschutz nicht ausreichend gewährleistet, wenn zuvor die Minderheitsliste durch Mehrheitsbeschlüsse erschöpft worden sei. Wegen der aus seiner Sicht grundsätzlichen Bedeutung des Falles hat das Landesarbeitsgericht die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht zugelassen.
Der gesetzlich vorgeschriebene Minderheitenschutz darf selbst bei formell korrekten Beschlüssen mit qualifizierter Mehrheit nicht ausgehebelt werden. Die Entscheidung zeigt, dass Gerichte bereit sind, über die Prüfung der Wirksamkeit einzelner Beschlüsse hinaus eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen, um dem gesetzlich intendierten Schutzzweck zur Geltung zu verhelfen und strategisches Verhalten, das diesem Schutzzweck zuwiderläuft, zu sanktionieren.
Auch Arbeitgeber haben vielfach Schutzgesetze zu beachten, beispielsweise im Zusammenhang mit Kündigungsschutz, Mutterschutz und Elternzeit oder Arbeitszeit- und Gesundheitsschutz. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes kann als Warnung verstanden werden, Schutzgesetze nicht durch planvolle Manöver umgehen zu wollen.