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    26.05.2025

    D&O: Kein Versicherungsschutz für Strohmann und faktischen Geschäftsführer bei Blindflug durch die Krise


    OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 16.01.2025, Az. 7 W 20/24 und Urt. v. 05.03.2025, Az. 7 U 134/23

    D&O-Versicherungsbedingungen sehen in der Regel vor, dass für wissentlich begangene Pflichtverletzungen kein Versicherungsschutz für den Geschäftsleiter besteht. Für das Vorliegen eines solchen Versicherungsausschlusses ist grundsätzlich der D&O-Versicherer darlegungs- und beweispflichtig. Der Versicherer hat hierzu einen Sachverhalt vorzutragen, der auf eine wissentliche Pflichtverletzung des Versicherten hindeutet. Der Vortrag weiterer zusätzlicher Indizien ist dabei entbehrlich, wenn es sich um die Verletzung elementarer beruflicher Pflichten handelt, deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann (sog. Kardinalspflichten). 

    Das OLG Frankfurt a.M. konkretisierte in seinen Urteilen vom 16. Januar 2025 (Az. 7 W 20/24) und 5. März 2025 (Az. 7 U 134/23), welche Kardinalspflichten einen Geschäftsführer treffen und unter welchen Umständen der Versicherungsschutz ausgeschlossen ist. Es lehnte den Versicherungsschutz in beiden Fällen mit der Begründung ab, dass die Geschäftsführer trotz Krisenanzeichen die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft nicht überwacht haben, sondern stattdessen „blind durch die Krise segelten“. 

    Darlegungs- und Beweislast bei Verletzung von Kardinalspflichten

    Der Ausschluss der wissentlichen Pflichtverletzung ist dann verwirklicht, wenn ein Versicherter eine Pflichtverletzung in dem Bewusstsein der Pflicht und dem Bewusstsein, sich nicht pflichtgemäß zu verhalten, begangen hat. Für die Verwirklichung der subjektiven Tatbestandsmerkmale des Risikoausschlusses ist der Versicherer darlegungs- und beweisbelastet. Der Versicherer hat Anknüpfungstatsachen vorzutragen, die als schlüssige Indizien für eine wissentliche Pflichtverletzung betrachtet werden können. Danach obliegt es dem Versicherungsnehmer im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, Umstände aufzuzeigen, warum die vorgetragenen Indizien den Schluss auf eine wissentliche Pflichtverletzung gerade nicht zulassen. Der Vortrag weiterer zusätzlicher Indizien durch den Versicherer ist entbehrlich, wenn es sich um die Verletzung elementarer beruflicher Pflichten handelt, deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann. Jenseits der Fälle der Verletzung von beruflichen Kardinalpflichten, in denen vom äußeren Geschehensablauf und dem Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge geschlossen werden kann, ist es Aufgabe des beweispflichtigen Versicherers, Anknüpfungstatsachen vorzutragen, die als schlüssige Indizien für eine wissentliche Pflichtverletzung betrachtet werden können. Erst wenn dieses geschehen ist, obliegt es dem Versicherungsnehmer im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, Umstände aufzuzeigen, warum die vorgetragenen Indizien den Schluss auf eine wissentliche Pflichtverletzung nicht zulassen.

    Vermögensbetreuungspflicht und Insolvenzantragspflicht sind Kardinalspflichten

    Das OLG Frankfurt stellte in seinen Entscheidungen klar, dass die Annahme einer Kardinalpflichtverletzung grundsätzlich voraussetzt, dass die von dem Versicherten verletzte Rechtsnorm zu den zentralen, fundamentalen Grundregeln einer bestimmten Regelungsmaterie gehört. Zu solchen Kardinalpflichten, in denen vom äußeren Geschehensablauf und dem Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge geschlossen werden kann, zählt nach Auffassung des OLG Frankfurt die Pflicht eines Vorstands, Geschäftsführers, Aufsichtsrats oder leitenden Angestellten, weder sich noch Dritten aus dem Unternehmensvermögen Vorteile zu gewähren, auf die kein Anspruch besteht, das Unternehmensvermögen nicht für unternehmensfremde Zwecke zu verwenden sowie die Pflicht, bei Insolvenzreife rechtzeitig Insolvenzantrag zu stellen. Bei der Insolvenzantragspflicht (§ 15a Abs. 1 Satz 1 InsO) handelt es sich um eine der wesentlichen gläubigerschützenden Vorschriften der InsO, auf die zahlreiche andere Vorschriften Bezug nehmen. Die Bedeutung der Insolvenzantragspflicht wird durch die Strafbarkeit der Insolvenzverschleppung in § 15a Abs. 4 InsO hervorgehoben. Zum Elementarwissen eines Geschäftsführers gehört daher insbesondere die Vergewisserung der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft sowie die eingehende Prüfung der Insolvenzreife.

    Vergewisserungspflicht über wirtschaftliche Lage des Unternehmens

    Das OLG Frankfurt a.M. hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass der Unternehmensleiter angesichts dessen zur beständigen wirtschaftlichen Selbstkontrolle verpflichtet ist. Vom Geschäftsführer einer GmbH, auch in der Rechtsformvariante einer UG nach § 5a GmbHG, wird erwartet, dass er sich über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft stets vergewissert. Hierzu gehört insbesondere die Prüfung der Insolvenzreife. Wenn der Geschäftsführer erkennt, dass die GmbH zu einem bestimmten Stichtag nicht in der Lage ist, ihre fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten vollständig zu bedienen, hat er die Zahlungsfähigkeit der GmbH anhand einer Liquiditätsbilanz zu überprüfen. Das OLG Frankfurt a.M. betont in diesem Zusammenhang, dass Organmitgliedern, die gleichermaßen „blind in die Krise segeln“, daher deckungsrechtlich die Verletzung einer Kardinalpflicht vorzuwerfen ist. 

    Keine Entlastung des Strohmann-Geschäftsführers

    Das OLG Frankfurt a.M. stellt ferner klar, dass sich ein Strohmann-Geschäftsführer nicht damit entlasten kann, dass er keine Einblicke in das Unternehmen hatte und der faktische Geschäftsführer verantwortlich sei. Das Gericht hob hervor, dass dem Strohmann-Geschäftsführer insoweit die wissentliche Verletzung kardinaler Organisations- und Kontrollpflichten anzulasten ist. 

    Das OLG Frankfurt a.M. verwies dabei auf einen Beschluss des BGH vom 21. Mai 2019, Az. II ZR 337/17. Danach wird dem eingetragenen Geschäftsführer, der die Geschäftsführertätigkeit faktisch nicht ausübt und keine Kontrollmöglichkeiten in Bezug auf die Geschäfte der Gesellschaft hat, eine Organisationspflicht auferlegt, die ihm die zur Wahrnehmung seiner Pflichten erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit ermöglicht. Aus diesen Erwägungen versagte auch das OLG Hamm einem Strohmann-Geschäftsführer den D&O-Versicherungsschutz (Hinweisbeschluss vom 28. Februar 2024, Az. 20 U 224/23; siehe hierzu ausführlich im Blogbeitrag von Dr. Florian Weichselgärtner und Etienne Sprösser: www.advant-beiten.com/aktuelles/do-versicherung-kein-versicherungsschutz-fuer-strohmaenner).

    Das OLG Frankfurt a.M. betonte, dass ein Strohmann-Geschäftsführer seine Kardinalpflicht, sich ständig über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens informiert zu halten, schon dadurch verletzt, indem er sich auf eine formale Geschäftsführerstellung beschränkt, ohne seinen Organisations- und Kontrollpflichten Rechnung zu tragen. 

    Sie gehöre zu den grundlegenden Regeln des Insolvenzrechts, da sie den Schutz der Gläubiger gewährleiste. Die Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO sei besonders bedeutend, da sie in der Insolvenzordnung eine zentrale Rolle spiele und die Insolvenzverschleppung sogar in § 15a Abs. 4 InsO strafbar sei.

    Verschärfung der Geschäftsführerhaftung und Beweiserleichterung für Versicherer

    Neben dem OLG Köln, Urteil vom 16. November 2021, Az. 9 U 253/20, bestätigt nun auch das OLG Frankfurt a.M., dass die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO zu den Kardinalspflichten eines jeden Geschäftsführers zählt. Dabei macht es nach Auffassung des OLG Frankfurt a.M. im Ergebnis keinen Unterschied, ob es sich um einen faktischen Geschäftsführer oder sog. Strohmann handelt. Beide trifft die Verpflichtung durch eine entsprechende Organisation sicherzustellen, dass sie sich zur Wahrnehmung ihrer Pflichten jederzeit einen Überblick über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft verschaffen können. Das OLG Frankfurt a.M. hebt dabei hervor, dass der Strohmann-Geschäftsführer seine Pflichten bereits dadurch wissentlich verletzt, wenn er sich lediglich auf seine formale Geschäftsführerstellung beschränkt, ohne entsprechende organisatorische Maßnahmen zu ergreifen. Es betont ferner, dass bei Anhaltspunkten für eine wirtschaftliche Krise ein „Blindflug“ eine wissentliche Pflichtverletzung darstellt und insoweit zum Verlust des Versicherungsschutzes führen kann.

    Das OLG Frankfurt a.M. verschärft mit seiner neuen Entscheidung die Geschäftsführerhaftung und stärkt damit zugleich die Rechtsposition der Versicherer, indem es die Beweisführung für den Ausschluss wegen wissentlicher Pflichtverletzungen für den Versicherer erleichtert.

    Dr. Florian Weichselgärtner
    Valerie Hoffmann

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