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    02.05.2023

    Zahlungsanspruch aus betrieblicher Übung aufgrund eingeführter Veränderung der Bezeichnung eines Zuschlags


    Sachverhalt

     

    Die Parteien streiten über die Zahlung eines ab Februar 2021 nicht mehr gewährten monatlichen Zuschlags, den der Arbeitnehmer seit 2010 monatlich erhalten hatte. Der hier klagende Arbeitnehmer war seit 1997 bei einem eingetragenen Verein als Rettungssanitäter in 12-Stunden-Diensten beschäftigt. Während dieser Zeit galten für das Arbeitsverhältnis die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR). Der Arbeitgeber hatte bislang für die elfte und zwölfte Stunde des Dienstes einen Zuschlag in Höhe von 65 % des Überstundensatzes gewährt. Dieser wurde in den Entgeltabrechnungen als "Bereitschaft AVR" bezeichnet. Im Jahr 2015 fand ein Betriebsübergang auf die Beklagte statt, wobei die elfte und zwölfte Stunde weiterhin unverändert vergütet wurden. Dabei wurde der Zuschlag nunmehr als "Bereitschaftszuschlag 65%" bezeichnet. Im Februar 2021 wurden diese Zahlungen vollständig eingestellt. Dagegen ging der Arbeitnehmer gerichtlich vor und vertrat unter anderem die Auffassung, dass zwei Stunden seiner 12-Stunden-Schichten als Bereitschaftszeit zu zählen und seit vielen Jahren abweichend von der AVR mit 65 % des Überstundensatzes vergütet worden seien. Die Beklagte argumentierte, dass der Kläger keinen Bereitschaftsdienst geleistet habe, sondern in seiner regulären Schicht erhebliche Arbeitsbereitschaft anfalle. Es sei, darüber hinaus, auch kein Anspruch aus betrieblicher Übung gegeben, wenn sich die Leistung des Arbeitgebers aus der Sicht des Arbeitnehmers ausschließlich als Erfüllung eines vermeintlichen tarifvertraglichen Anspruchs darstelle.

     

    Die Entscheidung

     

    Nachdem das Arbeitsgericht die Klage auf Zahlung der Zuschläge abgewiesen hat, wurde das Urteil durch die Berufung des Klägers aufgehoben.

     

    Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts (LAG) habe der Kläger einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Zahlung der begehrten Zuschläge aus § 611 a Abs. 2 BGB in Verbindung mit den Grundsätzen der betrieblichen Übung. Ein Anspruch aus betrieblicher Übung könne sich aus einem konkludenten Verhalten mit Erklärungswert ergeben. Unter betrieblicher Übung versteht man die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers, aus denen der Arbeitnehmer schließen kann, ihm solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden (ständige Rechtsprechung, vergleiche BAG, Urteil vom 14.9.2011,10 AZR 526/10). Dabei ist der Empfängerhorizont maßgeblich. Nach den Grundsätzen von Treu und Glauben durfte der Arbeitnehmer aufgrund der jahrelangen Zahlung davon ausgehen, dass der Arbeitgeber den Zuschlag als eine freiwillige Leistung ausbezahlt habe, zumal in den neuen Lohnabrechnungen nicht mehr auf die AVR Bezug genommen worden sei. Damit ist die Beklagte zum einen verpflichtet, die seit 2021 nicht gezahlten Zuschläge nachzugewähren und zum anderen zukünftig die Zuschläge während des bestehenden Arbeitsverhältnisses zu zahlen.

     

    Konsequenzen für die Praxis

     

    Arbeitgeber, die sich gegenüber ihren Arbeitnehmern nicht verpflichten wollen, eine bestimmte Leistung dauerhaft aus betrieblicher Übung gewähren zu müssen, müssen bei der Gewährung umsichtig handeln. Soweit es sich um Leistungen handelt, auf die kein Anspruch besteht, müssen diese klar und erkennbar entweder mit einem Widerrufsvorbehalt oder einen Freiwilligkeitsvorbehalt versehen sein. Um Ansprüche aus der Vergangenheit wirksam einzugrenzen, kann mit Ausschlussfristen argumentiert werden, soweit diese vorhanden sind. Auch aus diesem Grund gebietet es sich, die zugrundeliegenden vertraglichen Regelungen stets anzupassen und auf dem aktuellen Stand zu halten.

     

    Nassim Keyhan

     

    Zur besseren Lesbarkeit wird in dem vorliegenden Beitrag auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Es wird das generische Maskulin verwendet, wobei alle Geschlechter gleichermaßen gemeint sind.