Kartellbeteiligte oder ihre Aufsichtspflicht verletzende Vorstände und Geschäftsführer haften nicht persönlich für gegen das Unternehmen verhängte Geldbußen. Kartellschadensersatzansprüche sind nach dem OLG Düsseldorf dagegen grundsätzlich regressfähig.
Münden Hardcore-Kartellverstöße in Bußgeldverfahren, sehen sich Unternehmen mit drastischen Geldbußen konfrontiert. Die Bußgeldobergrenze liegt bei zehn Prozent des weltweiten Konzernumsatzes. Geldbußen in dreistelliger Millionen- oder sogar Milliardenhöhe sind daher keine Seltenheit. Ist das Bußgeldverfahren abgeschlossen, droht nächstes Ungemach. Vermeintlich geschädigte Unternehmen fordern Ersatz für ihre Kartellschäden. Solche Kartellschadensersatzansprüche kennen keine Obergrenze, gehen mit einer gesamtschuldnerischen Haftung der Kartellanten einher und sind ab Schadensentstehung zu verzinsen. In der Praxis übersteigen Kartellschadensersatzforderungen die festgesetzten Geldbußen regelmäßig deutlich.
Im Fall der Fälle stehen Unternehmen daher regelmäßig vor der Frage, ob sie Vorstände oder Geschäftsführer, die am Kartellverstoß beteiligt waren oder ihre Aufsichtspflicht verletzt haben, persönlich für Schäden, die durch Unternehmensgeldbußen und einen Kartellschadensersatz verursacht wurden, in Anspruch nehmen können – oder sogar müssen. Nach der sog. „ARAG-Garmenbeck“-Rechtsprechung hat der Aufsichtsrat einer AG die Pflicht, das Bestehen und die Durchsetzbarkeit von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern eigenverantwortlich zu prüfen. Gelangt der Aufsichtsrat zu der Erkenntnis, dass der Gesellschaft durchsetzbare Schadensersatzansprüche zustehen, hat er diese Ansprüche grundsätzlich, d.h. sofern nicht gewichtige Gründe des Gesellschaftswohls dagegensprechen, auch zu verfolgen. Zwar vermag das persönliche Vermögen von Organmitgliedern den entstandenen Schaden regelmäßig nicht auszugleichen. Hinter ihnen stehende D&O-Versicherer können die Haftungslücke jedoch ggf. verringern.
Voraussetzung für eine Inanspruchnahme von Vorständen und Geschäftsführern und mittelbar auch deren D&O-Versicherern ist stets, dass Organe überhaupt persönlich für gegen ihr Unternehmen festgesetzte Kartellgeldbußen und durchgesetzte Kartellschadensersatzforderungen haften. Diese Frage ist in Deutschland umstritten und höchstrichterlich bislang nicht geklärt. Instanzengerichte haben sie unterschiedlich beantwortet: Das LAG Düsseldorf (Schienenkartell), LG Saarbrücken (Sanitär) und LG Düsseldorf (Edelstahl) haben sich gegen eine persönliche Haftung für Unternehmensgeldbußen ausgesprochen. Entgegengesetzt positionierte sich das LG Dortmund in einem Hinweisbeschluss (Schienenkartell).
In seinem Urteil vom 27.7.2023 bestätigt das OLG Düsseldorf die erstinstanzliche Entscheidung und lehnt – wie auch das LAG Düsseldorf – die Regressfähigkeit von Kartellunternehmensgeldbußen ab. Entscheidend sei, dass die Unternehmensgeldbuße das Unternehmen selbst treffen müsse, um ihren Präventionszweck zu erfüllen. Ihre Abwälzung auf Vorstände oder Geschäftsführer hätte zur Folge, dass sich Unternehmen ihrer gesetzlich vorgesehenen bußgeldrechtlichen Verantwortung für Kartellverstöße entziehen könnten. Die Regressfähigkeit von Aufklärungs- und Verteidigungskosten eines Unternehmens lehnt das OLG Düsseldorf aufgrund ihres engen sachlichen Zusammenhangs zur Unternehmensgeldbuße ebenfalls ab. Im Gegensatz dazu bestätigt das Gericht eine persönliche Haftung von Vorständen und Geschäftsführern dem Grunde nach für Schäden, die ihrem Unternehmen durch Schadensersatzzahlungen an Kartellgeschädigte entstanden sind.
Das OLG Düsseldorf hat die Revision zugelassen und ermöglicht damit die höchstrichterliche Klärung dieser kontrovers diskutierten Rechtsfragen durch den BGH.
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf überzeugt nur teilweise. Zutreffend ist, dass eine persönliche Haftung von Organen dem Präventionszweck kartellrechtlicher Unternehmensgeldbußen widerspricht und daher ausscheidet. Im Gegensatz dazu überzeugt es nicht, wenn das OLG Düsseldorf solche Schäden für regressfähig erachtet, die einem Unternehmen infolge eines gezahlten Kartellschadensausgleichs entstanden sind. Das Gericht übersieht die – europarechtlich geprägten – Besonderheiten des Kartellschadensersatzrechts. Der deutsche Gesetzgeber hat mit dem heutigen § 33a GWB ein "effektives zivilrechtliches Sanktionssystem" zur Durchsetzung auch des EU-Kartellrechts geschaffen, von dem eine "spürbare Abschreckungswirkung ausgeht." In der Folge hat der BGH diesen Präventionszweck kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche anerkannt; ihm sogar Vorrang vor dem Kompensationsgedanken eingeräumt (Schienenkartell IV). Damit gilt für Kartellunternehmensgeldbußen und Kartellschadensersatz das Gleiche: Beide dienen Präventionszwecken. In beiden Fällen würde dieser Präventionszweck verfehlt, wenn die Geldbuße und/oder Ausgleichszahlung auf einen Vorstand oder Geschäftsführer abgewälzt werden könnten.
Die praktische Bedeutung dieser Rechtsfragen ist erheblich. Unmittelbar geht es um die Verpflichtung, Regressansprüche gegen Organmitglieder zu prüfen und bei Erfolgsaussichten durchzusetzen. Mittelbar betrifft sie nicht „nur“ die Versicherbarkeit solcher Risiken, sondern auch die Möglichkeit der Freistellung von Organmitgliedern, um deren Kooperation im Rahmen der praxisrelevanten äußerst relevanten kartellrechtlichen Kronzeugenregelung sicherzustellen (Amnestie). Auswirkungen bestehen auch hinsichtlich einer etwaigen Bindungswirkung des Bußgeldbescheids im Regressprozess oder dem Verhältnis solcher Regressansprüche zu einer unmittelbaren bußgeldrechtlichen (§§ 9, 130 OWiG) und schadensersatzrechtlichen (§ 826 BGB) Inanspruchnahme von Organmitgliedern. Die Frage nach der Regressfähigkeit von Unternehmensgeldbußen stellt sich überdies nicht nur im Kartellrecht, sondern u.a. auch im Datenschutzrecht, Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz und Kapitalmarktrecht.
Unabhängig davon, wie diese Frage schlussendlich durch den BGH beantwortet wird: Haftungsrisiken vermeidet ein Vorstand oder Geschäftsführer, wenn er seinen Compliance-Pflichten nachkommt und dies – oft Jahre später – durch eine sorgsame Dokumentation auch darlegen kann. Mangels Pflichtverletzung scheidet ein Regress in diesem Fall auch dann aus, falls der BGH eine Regressfähigkeit von Unternehmensgeldbußen oder Schadensersatzzahlungen bejahen sollte.