Bundesarbeitsgericht vom 31. Januar 2019 - 2 AZR 426/18
Auch bei einer ordentlichen Verdachtskündigung gibt es keine starre Frist, innerhalb derer ein Arbeitgeber sein Kündigungsrecht ausüben muss. Allerdings kann das Recht zur Kündigung durch Zeitablauf verwirkt werden und die Kündigung nicht mehr erfolgreich auf einen möglichen Vertrauensverlust gestützt werden.
Der Arbeitnehmer wehrte sich gerichtlich gegen eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung. Gestützt war die Kündigung auf den Verdacht, dass der Arbeitnehmer mit seiner dienstlichen Tankkarte auch andere Fahrzeuge vertragswidrig betankt habe. Die Besonderheit des Falls lag in der Aufdeckung des Tatverdachts und den Zeitabläufen: Auf Grund eines anderen Vorwurfs war der Dienstrechner des Arbeitnehmers mit dessen Zustimmung untersucht worden. In nicht als privat gekennzeichneten Dateien waren zufällig Hinweise auf Tankbelege entdeckt worden, aus denen wegen Kraftstoffart und -menge auf den Missbrauch der Tankkarte geschlossen werden konnte. Nachdem zunächst von den Arbeitsgerichten durch alle Instanzen aus rein formellen Gründen die Unwirksamkeit der im Jahr 2013 ausgesprochenen Kündigungen rechtskräftig festgestellt worden war, hatte der Arbeitgeber mit einer im Jahr 2016 wiederholten ordentlichen Kündigung Erfolg.
Das BAG hat wegen der erheblichen zeitlichen Abstände zwischen den ersten Kündigungen 2013 und der erfolgreichen Nachkündigung 2016 klargestellt, dass es keine starre Frist gibt, innerhalb derer ein Arbeitgeber sein Kündigungsrecht ausüben muss. Allerdings kann auch das Recht zur Kündigung nach § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) durch Zeitablauf verwirkt sein und ein längeres Zuwarten des Arbeitgebers zur Annahme führen, dass die Kündigung bei pflichtwidrigem Verhalten nicht mehr durch einen behaupteten Vertrauensverlust bedingt ist. Auch wenn bei einer ordentlichen Verdachtskündigung die Kündigungserklärungsfrist von zwei Wochen ab Kenntnis vom Kündigungsgrund nach § 626 Abs. 2 BGB nicht gilt, soll sich ein Arbeitgeber zügig entscheiden müssen. Denn ein notwendiger Vertrauensverlust kann nur dann durch ein verdächtiges Verhalten „bedingt“ sein, wenn dieses Verhalten – wäre es erwiesen – sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt hätte.
Außerdem hat das BAG deutlich gemacht, dass bestimmte Datenerhebungen, -verarbeitungen und -nutzungen auch ohne Vorliegen eines durch Tatsachen begründeten Anfangsverdachts – insbesondere bei einer Straftat oder anderen schweren Pflichtverletzung – zulässig sein können. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Maßnahme offen erfolgt, der Arbeitnehmer zuvor darauf hingewiesen worden ist, welche Gründe die Einsichtnahme erfordern und dass der Betroffene Dateien durch eine Kennzeichnung als „privat“ von einer Einsichtnahme ausschließen kann.
Die Entscheidung des BAG ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich Durchhaltevermögen am Ende vor den Arbeitsgerichten lohnen kann. Ob das gemessen an wirtschaftlichen Maßstäben immer der richtige Weg ist, muss der Arbeitgeber in jedem Einzelfall neu entscheiden. Hält sich ein Unternehmen aber an die vom BAG festgelegten Spielregeln, ist auch bei bloßem Vorliegen eines Verdachts pflichtwidrigen Verhaltens eine Kündigung keinesfalls aussichtslos.
Ein Arbeitgeber sollte bei der Ermittlung von möglichen Kündigungssachverhalten immer darauf bedacht sein, keine zeitlichen Lücken entstehen zu lassen, sondern zügig durchermitteln und zeitnah eine abschließende Entscheidung treffen. Dann kann ein Kündigungssachverhalt trotz längerer Verfahrensdauer und nicht selten völlig gegensätzlichen Bewertungen durch die Instanzgerichte auch nach Jahren zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden. Außerdem sollte bei anlassbezogenen Verdachtsmomenten die Sicherung von Daten auf dienstlichen Rechnern und sonstigen überlassenen Arbeitsgeräten eine hohe Priorität haben. Sind Datensätze einmal vorschnell gelöscht und nicht mehr wiederherstellbar, ist das Kind in den Brunnen gefallen. Eine spätere Verwertung ist dann in jedem Fall ausgeschlossen. Wann und unter welchen konkreten Umständen gesicherte Datenbestände untersucht werden dürfen, steht auf einem anderen Blatt und ist in jedem Einzelfall genau zu prüfen. Dem Arbeitgeber sind hier datenschutzrechtlich enge Grenzen gesetzt. Allerdings dürfen Unternehmen nach § 26 Abs. 1 Satz 1 Bundesdatenschutzgesetz alle Daten speichern und verwenden, die sie benötigen, um die ihnen obliegende Darlegungs- und Beweislast in einem potenziellen Kündigungsschutzprozess zu erfüllen.
Fragen zu diesem Thema beantwortet Ihnen Peter Weck gerne.