Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz vom 15. Januar 2020 - 7 Sa 284/19
Im Januar 2019 hatte das BAG seine bisherige Rechtsprechung zum Verfall von Urlaubsansprüchen an die Entscheidung des EuGH vom November 2018 angepasst, wonach Arbeitnehmer ihre Urlaubsansprüche nicht mehr automatisch verlieren, wenn sie keinen Urlaubsantrag stellen. Arbeitgeber müssen die Arbeitnehmer konkret auffordern, noch nicht beantragten Urlaub zu nehmen und auf den sonst drohenden Verfall hinweisen. Ein Jahr später hatte das LAG Rheinland-Pfalz zu entscheiden, ob eine solche Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers auch bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern besteht.
Der klagende Arbeitnehmer war seit dem 18. Januar 2016 arbeitsunfähig erkrankt. Währenddessen wies der Arbeitgeber nicht auf einen möglichen Verfall von Urlaubsansprüchen hin. Das Arbeitsverhältnis wurde im Februar 2019 durch Auflösungsvertrag beendet. Der Arbeitnehmer erhielt eine Urlaubsabgeltung für die Jahre 2017 bis 2019. Der Arbeitgeber war der Ansicht, dass der Urlaubsanspruch für das Jahr 2016 verfallen sei. Der Arbeitnehmer sah hierin insbesondere einen Verstoß gegen Unionsrecht und klagte auf die Abgeltung von 30 Urlaubstagen für das Jahr 2016, davon 20 Tage gesetzlicher Urlaub und 10 Tage tariflicher Mehrurlaub gemäß TVöD.
Das LAG Rheinland-Pfalz gab – ebenso wie das Arbeitsgericht zuvor – dem Arbeitgeber Recht und sah die Resturlaubsansprüche aus dem Jahr 2016 als verfallen an. Gemäß Bundesurlaubsgesetz hätte der Arbeitnehmer den Jahresurlaub grundsätzlich spätestens bis zum 31. März 2017, nach vorrangiger Regelung im TVöD jedenfalls aber bis zum 31. Mai 2017 nehmen müssen. Da der Arbeitnehmer langzeiterkrankt war, kam die BAG-Rechtsprechung zum Tragen, die durch die Entscheidung „KHS gg. Schulte“ des EuGH geprägt wurde. Demnach verfällt der gesetzliche Urlaubsanspruch bei langer Krankheit generell 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahrs, in dem er entstanden ist. Vorliegend war nach Ansicht des Gerichts der tarifliche Urlaub daher zum 31. Mai 2017 und der gesetzliche Urlaub zum 31. März 2018 verfallen. Daran ändere auch nichts, dass der Arbeitgeber auf diesen drohenden Verfall nicht hingewiesen habe. Denn dies hätte hier gerade nicht dazu geführt, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaub noch rechtzeitig vor dem Verfall beantragt. Auf Grund der Arbeitsunfähigkeit habe das Unternehmen dem Mitarbeiter gar keinen Urlaub gewähren können. Eine Information über den drohenden Verfall könne bei einer Langzeiterkrankung daher nicht zu einer tatsächlichen Inanspruchnahme des Urlaubs führen.
Bereits im Juli 2019 hatte das LAG Hamm einen ähnlichen Fall zu entscheiden und verneinte ebenfalls eine Hinweispflicht des Arbeitgebers. Erst bei Rückkehr des Langzeiterkrankten könne eine Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers einsetzen. Anders als das LAG Hamm hat das LAG Rheinland-Pfalz nun jedoch die Revision zum BAG zugelassen, so dass dessen Entscheidung zur Hinweispflicht über den Urlaubsverfall Langzeiterkrankter abzuwarten ist.
Beide Landesarbeitsgerichte haben zutreffend festgestellt, dass ein Arbeitgeber während der laufenden Arbeitsunfähigkeit gar keine wahrheitsgemäße und transparente Information über den drohenden Urlaubsverfall zum Jahresende erteilen kann. Denn der Arbeitgeber kann im Zeitpunkt der Belehrung nicht wissen, ob der Urlaubsanspruch tatsächlich verfällt oder bis zu 15 Monate fortbesteht. Zudem kann der Arbeitgeber einen erkrankten Arbeitnehmer nicht in die Lage versetzen, den Urlaub in Anspruch zu nehmen. Auch wenn diese Sichtweise überzeugt, sollten Arbeitgeber bis zur Klärung durch das BAG vorsichtshalber auch Langzeiterkrankten einen Hinweis auf den möglichen Verfall erteilen, um ein möglicherweise jahrelanges Auflaufen von Abgeltungsansprüchen zu vermeiden.