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    25.09.2023

    „Unterirdisches“ Zeugnis: Berichtigungsanspruch auch nach 2 Jahren nicht verwirkt


    Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg vom 31. Mai 2023 – 4 Sa 54/22

     

    Der Anspruch auf Berichtigung des Arbeitszeugnisses ist nicht deshalb verwirkt, weil Arbeitnehmer:innen nach einer Eigenkündigung bereits ohne Zeugnis eine neue Beschäftigung gefunden haben. Treten keine besonderen Umstände hinzu, müssen Arbeitgeber:innen das Zeugnis in der Regel auch nach zwei Jahren noch korrigieren.

     

    Sachverhalt

     

    Ein Arbeitnehmer hatte seinen Job als Sales Engineer von sich aus nach 14 Jahren gekündigt. Über das Arbeitszeugnis kam es anschließend zum Streit mit dem bisherigen Arbeitgeber. Dessen Zeugnisvorschläge beanstandete der Arbeitnehmer als „völlig inakzeptabel“ – gerade „unterirdisch“. Anschließend passierte zwei Jahre lang – in denen der Arbeitnehmer bereits eine neue Tätigkeit aufgenommen hatte – nichts.

     

    Der Stachel über das „unterirdische“ Zeugnis saß beim Arbeitnehmer jedoch tief. Anders ist es nicht zu erklären, dass er zwei Jahre später den früheren Arbeitgeber auf Zeugnisberichtigung verklagte. Jener verteidigte sich mit dem Einwand, der Anspruch auf Zeugnisberichtigung sei verwirkt. Schließlich hatte der Arbeitnehmer nach der letzten Beanstandung des Zeugnisses den Berichtigungsanspruch nicht weiterverfolgt.

     

    Die Entscheidung

     

    Die Richter am Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg schlossen sich der Argumentation des früheren Arbeitgebers nicht an. Sie gaben der Zeugnisberichtigungsklage statt. Den Einwand der Verwirkung wiesen sie zurück.

     

    Zwar sei aufgrund des zweijährigen Untätigbleibens des Arbeitnehmers das für die Verwirkung notwendige „Zeitmoment“ anzunehmen. Das allein genüge jedoch nicht. Das ebenfalls erforderliche „Umstandsmoment“ fehlte. Der frühere Arbeitgeber durfte nicht davon ausgehen, dass der ehemalige Arbeitnehmer die Zeugnisberichtigung nicht mehr verlangen werde.

     

    Allein durch die Eigenkündigung und Anschlussbeschäftigung habe der Arbeitnehmer nicht zu erkennen gegeben, er werde das Zeugnis nicht mehr verlangen. Das Arbeitszeugnis müsste schließlich auch bei künftigen Bewerbungen im weiteren Berufsleben vom Arbeitnehmer vorgelegt werden.

     

    Auch habe der frühere Arbeitnehmer das vom Arbeitgeber bei Jobende überreichte Zeugnis mit harschen Worten als „vollkommen unterirdisch“ zurückgewiesen. Aufgrund der drastischen Beanstandung durfte der Arbeitgeber nicht damit rechnen, der Arbeitnehmer werde seine Rechte nicht weiterverfolgen.

     

    Konsequenzen für die Praxis

     

    Gemäß § 109 Absatz 1 Gewerbeordnung (GewO) haben Arbeitnehmer:innen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf ein schriftliches Zeugnis. Sind Arbeitnehmer:innen mit dem Zeugnis nicht zufrieden, können Sie es beanstanden und von ihren Arbeitgeber:innen ein korrigiertes Zeugnis verlangen. Dieser Anspruch auf Zeugnisberichtigung unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist. Sind drei Jahre nach der Beanstandung vergangen, greift zum Jahresende die Verjährung. Arbeitgeber:innen können sich auf die Verjährung berufen und sind nicht mehr zur Korrektur verpflichtet.

     

    Jedoch können Arbeitnehmer:innen bereits vor Eintritt der Verjährung mit ihrem Anspruch auf Zeugnisberichtung (ebenso: mit anderen Ansprüchen wie z.B. Geldforderungen) unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung ausgeschlossen sein. Ein Anspruch ist dann verwirkt, wenn er sich gegenüber der anderen Seite als unzulässige Rechtsausübung darstellt.

     

    Hierzu braucht es einmal das sog. „Zeitmoment“. Es muss eine bestimmte Zeit vergangen sein, die beim Gegenüber das Vertrauen schafft, die andere Seite werde sich nicht mehr mit ihrem Anspruch melden. Bei Zeugnissen wird das Zeitmoment schon nach recht kurzer Zeit (im Einzelfalls bereits nach fünf Monaten) angenommen, weil Endzeugnisse üblicherweise alsbald nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erteilt und – wenn nötig – korrigiert werden.

     

    Zusätzlich (!) zum Zeitmoment muss das wesentlich schwieriger zu bestimmende "Umstandsmoment" erfüllt sein. Der/Die Anspruchsinhaber:in muss durch sein/ihr Verhalten beim Gegenüber ein Vertrauen hervorgerufen haben, der andere Teil werde den Anspruch nicht mehr geltend machen. Die reine Untätigkeit der Anspruchsinhaber*innen genügt hierfür nicht. Ob dieses Umstandsmoment im Einzelfall vorliegt, entscheiden im Zweifel die Arbeitsgerichte.

     

    Praxistipp

     

    Arbeitgeber:innen sollten nicht darauf hoffen, dass Arbeitnehmer:innen Ansprüche nicht geltend machen und deren Rechtspositionen vor Eintritt der Verjährung verwirken. Die Anforderungen an eine Verwirkung sind hoch, die Annahme der Verwirkung von Arbeitnehmeransprüchen durch die Arbeitsgerichte eher die Ausnahme.

     

    Damit Arbeitgeber:innen möglichst schnell Klarheit und Rechtssicherheit über Ansprüche aus dem – laufenden oder beendeten – Arbeitsverhältnis haben, sollte sich bereits im Arbeitsvertag eine Klausel zur Ausschlussfrist wiederfinden. Ist die Ausschlussfrist verstrichen, ohne dass die Arbeitnehmer:innen ihre Rechte geltend gemacht haben, können sich Arbeitgeber:innen zurücklehnen: Die Ansprüche der anderen Seite sind erloschen.

     

    Für Rechtssicherheit bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sorgen zudem Aufhebungs- und Abwicklungsverträge. Gerade Fragen rund um das dem Arbeitnehmer bei Austritt zustehende Arbeitszeugnis (Note, Beurteilung, Zeitpunkt) lassen sich darin wunderbar regeln. Auf die im Einzelfall sehr unsichere Frage, wann ein Anspruch möglicherweise verwirkt ist, kommt es dann nicht mehr an.

     

    Michael Riedel

     

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