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    26.09.2019

    Passend zum Oktoberfest: „Kater“ als Krankheit?


    Das OLG Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 12.09.2019 (6 U 114/18) entschieden, dass Nahrungsergänzungsmittel nicht als Anti-Alkohol-Kater-Mittel beworben werden dürfen, da es sich um eine unzulässige krankheitsbezogene Werbung handele. Im Rahmen des Verfahrens wurden Gutachten gefertigt, dass es sich bei alkoholbedingtem „Kater“ um eine Krankheit handele. Der Kater habe Symptome wie Müdigkeit, Übelkeit und Kopfschmerzen und es gäbe einen medizinischen Fachbegriff, nämlich „Veisalgia“.

     

    Liebe Leserin, lieber Leser,

     

    was hat Werbung von Nahrungsergänzungsmitteln mit dem Arbeitsrecht zu tun? Wenn jetzt (noch nicht rechtskräftig) festgestellt wurde, dass ein „Kater“ eine Krankheit ist, stellt sich die Frage, ob ein „Kater“ eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit mit Entgeltfortzahlung rechtfertigt.

     

    Die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main passt zeitlich gut, da das Münchner Oktoberfest seit ein paar Tagen läuft. Während der „Wiesn“ erscheinen Arbeitnehmer häufig verkatert zur Arbeit bzw. sie erscheinen aufgrund von Restalkohol oder aufgrund von Müdigkeit, Übelkeit und Kopfschmerzen eben nicht zur Arbeit. Dies gilt natürlich nicht nur für die Wiesn, sondern auch für Karneval, Weihnachtsfeiern und sonstige Anlässe mit Alkohol.

     

    Die Voraussetzungen für eine Vergütungsfortzahlung im Krankheitsfall sind, dass die Arbeitsunfähigkeit ausschließlich in Folge einer Krankheit erfolgt und dass die Arbeitsunfähigkeit unverschuldet eingetreten ist. Die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main bestätigt, dass auch ein „Kater“ bzw. der medizinisch korrekte Begriff „Veisalgia“ eine Krankheit ist. Wer am Abend zu viel Alkohol trinkt und sich am nächsten Morgen mit Übelkeit und Kopfschmerzen plagt, fühlt sich nicht nur krank, sondern ist auch medizinisch und juristisch krank.

     

    Der Entgeltfortzahlungsanspruch nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz besteht jedoch nur dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit unverschuldet eingetreten ist. Es ist dabei ein hohes Maß des „Verschuldens“ erforderlich. Eine solche unverschuldete Arbeitsunfähigkeit liegt bei einem „groben Verschulden gegen sich selbst“ vor, wenn ein Arbeitnehmer in grober Weise gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartenden Verhalten verstößt. Bei „normalen“ Krankheiten wird ein solches Verschulden regelmäßig nicht bestehen und die Entgeltfortzahlung des Arbeitgebers ist zu leisten. Arbeitnehmer, die „normal“ Sport treiben und sich verletzen, beispielsweise beim Fußball spielen ein Bein brechen, handeln dennoch unverschuldet in diesem Sinn. Auch eine Grippe ist nicht verschuldet, selbst wenn sich der Arbeitnehmer bei kälterem Wetter zu „leicht“ kleidet. Typische Fälle einer selbstverschuldeten Arbeitsunfähigkeit, in denen eine Entgeltfortzahlung nicht geleistet wird, sind beispielsweise bei Teilnahme an einer Schlägerei, bei Verkehrsunfällen aufgrund alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit, beim Überfahren einer roten Ampel oder bei Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes.

     

    Das BAG hat in der Entscheidung vom 18.03.2015 (10 AZR 99/14) nicht zum „Kater“, sondern zur Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Alkoholkrankheit/Alkoholabhängigkeit entschieden, dass kein Verschulden gegen sich selbst vorliegt und damit die Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber nach den Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes zu leisten sind. Ist die Krankheit „Kater“ damit ebenfalls nicht selbstverschuldet und besteht eine Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers? Jeder Mensch, der schon einmal das Münchner Oktoberfest besucht hat oder bei anderer Gelegenheit (mehr) Alkohol getrunken hat, weiß, dass ein „Kater“ am nächsten Tag droht.

     

    In der Praxis spielt diese Frage oftmals keine Rolle, da der Arbeitgeber häufig keine Kenntnis haben wird, weshalb der Arbeitnehmer sich krank meldet und vom Feiern am Vortag keine Kenntnis hat. Etwas anderes gilt natürlich, wenn der Arbeitgeber Kenntnis vom „Kater“ hat, wenn z.B. der Arbeitnehmer dies dem Arbeitgeber mitteilt oder die Krankmeldung am Folgetag einer Betriebsfeier eingeht. Die Rechtsprechung ist bei der Ablehnung der Entgeltfortzahlung eher zurückhaltend und die Hürde der selbstverschuldeten Arbeitsunfähigkeit ist hoch. Eine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Entgeltfortzahlungspflicht bei einem „Kater“ ist mir nicht bekannt. Nach meiner Einschätzung ist jedoch der „Kater“ als übliche alkoholbedingte Folge der „Bilderbuchfall“ einer selbstverschuldeten Krankheit und dürfte damit zum Wegfall des Entgeltfortzahlungsanspruchs des Arbeitnehmers führen.

     

    Gestern war ich auf der Wiesn und bin heute an „Veisalgia“ erkrankt. Dennoch erbringe ich meine Arbeitspflicht, schreibe diesen Blog und beanspruche keine Entgeltfortzahlung.

     

    Eine friedliche Wiesn und herzliche (arbeitsrechtliche) Grüße aus München

     

    Ihr Dr. Erik Schmid

     

     

    Hinweis: Dieser Blog-Beitrag ist bereits im arbeitsrechtlichen Blog von Dr. Erik Schmid im HJR-Verlag erschienen.