Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt vom 13. Oktober 2022 – 2 TaBV 1/22
"Bei der Unterrichtung des Betriebsrats gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG können Arbeitgeber zur Vorlage der erforderlichen Bewerbungsunterlagen ein Bewerbermanagement-Tool nutzen, wenn der Betriebsrat eine umfassende Einsichtsmöglichkeit in dieses Tool hat."
Die Parteien streiten um die Ersetzung einer von der Arbeitgeberin beantragten und vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zur Einstellung eines Arbeitnehmers gemäß § 99 BetrVG. Neben dem ausgewählten Bewerber gibt es 33 weitere externe Bewerbungen. Im Rahmen der Unterrichtung hatte der Betriebsrat die Möglichkeit, über das von der Arbeitgeberin verwendete Softwareprogramm zur Abbildung von Stellenausschreibungen und Bewerbungsverfahren (Bewerbermanagement-Tool) Einsicht in die Bewerbungsunterlagen zu nehmen.
Der Betriebsrat ist der Meinung, er sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden, weil die Arbeitgeberin ihn nicht den Vorgaben des § 99 Abs. 1 BetrVG entsprechend unterrichtet und ihm insbesondere die Bewerbungsunterlagen sowie die von ihm gefertigten Schriftstücke nicht in Papierform vorgelegt habe. Die Zustimmungsverweigerungsfrist nach § 99 Abs. 3 BetrVG sei daher noch nicht angelaufen.
Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts hat die Arbeitgeberin das Verfahren nach § 99 Abs. 1 BetrVG ordnungsgemäß eingeleitet, so dass auch die Wochenfrist zur Mitteilung der Zustimmungsverweigerungsgründe gemäß § 99 Abs. 3 BetrVG in Gang gesetzt worden sei. Die Arbeitgeberin müsse den Betriebsrat gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG vor einer beabsichtigten Einstellung rechtzeitig und vollständig über die Gründe, den betreffenden Arbeitsplatz, die Person des ausgewählten Bewerbers und die Eingruppierung unterrichten und ihm darüber hinaus Auskunft über die Mitbewerber geben und die Bewerbungsunterlagen zur Verfügung stellen. Hierzu müsse die Arbeitgeberin grundsätzlich die Unterlagen bezüglich aller ausgewählten sowie aller abgelehnten Bewerber vorlegen.
Eine umfassende Einsichtsmöglichkeit in digitalisierte Unterlagen sei als Vorlage im Sinne des § 99 Abs. 1 BetrVG anzusehen. Es könne keinen Unterschied machen, ob sämtliche Unterlagen in Papierform ausgehändigt oder die Betriebsratsmitglieder durch „Vorlage“ per Laptop in die Lage versetzt werden, sich umfangreiche Kenntnisse von deren Inhalt zu verschaffen. Hierbei sei insbesondere auch der Umfang von unter Umständen mehreren 100 Seiten zu berücksichtigen, die andernfalls allesamt ausgedruckt und dem Betriebsrat vorgelegt werden müssten. Letzteres sei nicht erforderlich, wenn ein uneingeschränktes Zugriffsrecht des Betriebsrats auf alle digitalisierten Bewerbungsunterlagen und die entsprechend eingepflegten Daten gewährleistet sei.
Das Landesarbeitsgericht hat die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht zugelassen, weil die höchstrichterlich bisher nicht geklärte Frage, ob die Vorlage der erforderlichen Bewerbungsunterlagen auch durch eine umfassende Einsichtsmöglichkeit der Betriebsräte in ein Bewerbermanagement-Tool erfolgen kann, grundsätzliche Bedeutung habe. Solange es keine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hierzu gibt, bleibt zwar noch eine gewisse Rechtsunsicherheit bestehen. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts überzeugen jedoch. Gerade auch in Fällen, in denen es eine hohe Bewerberzahl und/oder eine hohe Anzahl an Einstellungen gibt, ist die landesarbeitsgerichtlich gebilligte Vorgehensweise von großer praktischer Bedeutung. Sie reduziert den Unterrichtungsaufwand der Arbeitgeber gerade in diesen Fällen auf ein angemessenes und dem digitalen Zeitalter entsprechendes Maß, ohne dass dabei der Zweck der Unterrichtung und der Vorlage der erforderlichen Dokumente „leidet“.
Insbesondere in Unterrichtungsverfahren mit umfangreichen Dokumenten kann mit guten Argumenten auf die „Vorlage“ durch die Gewährung umfangreicher Möglichkeiten zur Einsichtnahme durch den Betriebsrat in entsprechende Bewerbermanagement-Tools verwiesen werden. Hierzu kann es ratsam sein, mit dem Betriebsrat das Gespräch zu suchen und eine entsprechende Vorgehensweise – ggf. unter Hinweis auf die obige Rechtsprechung – abzustimmen, um Auseinandersetzungen zu vermeiden. Weiter sollten Arbeitgeber in dringenden Fällen an die Möglichkeit der Einstellung als vorläufige personelle Einzelmaßnahme nach § 100 BetrVG denken. Hierbei sollten Arbeitgeber unbedingt die dreitägige Frist für einen gerichtlichen Zustimmungsersetzungsantrag im Fall des Bestreitens des Betriebsrats, dass die Maßnahme aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist, bereits bei der Unterrichtung des Betriebsrats im Blick haben und ggf. frühzeitig einen entsprechenden Antrag vorbereiten.