„Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“ ist eine alte Redewendung. In anderen Ländern lautet das Sprichwort: "Ein Vogel in der Hand ist besser als zehn in der Luft". Auch in Italien wird bei diesem Sprichwort auf Geflügel abgestellt: "Besser ein Ei heute als ein Huhn morgen." Die Bedeutung der Sprichwörter ist identisch. Man sollte sich mit einem kleinen, aber sicheren Vorteil zufrieden geben, selbst wenn es so erscheint, als wäre dies nicht sehr viel wert. Bei der Chance auf einen größeren Vorteil besteht eine ungewisse Aussicht und damit das Risiko, gar keinen Vorteil zu erhalten. Die Taube auf dem Dach kann eben jeder Zeit davon fliegen. Das Sprichwort passt auf viele Situationen, auch auf die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
häufig werden Arbeitsverhältnisse einvernehmlich durch einen Aufhebungsvertrag, Abwicklungsvertrag oder gerichtlichen Vergleich beendet. In der Praxis habe ich es schon häufiger erlebt, dass sich Verhandlungen über die Bedingungen einer einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses so lange hingezogen haben, und als endlich eine Einigung erzielt werden konnte, musste der Arbeitgeber Insolvenz anmelden. Der Arbeitnehmer hat dann sein Arbeitsverhältnis verloren und dennoch seine lang ausgehandelte Abfindung nicht bekommen. Auch beim Aufhebungsvertrag gilt damit das Sprichwort „Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“.
Arbeitnehmer haben bei Beendigungsvereinbarungen das Risiko der Zahlungsfähigkeit ihres Arbeitgebers zu tragen bzw. zu berücksichtigen.
In dem vom LAG Thüringen zu entscheidenden Fall vereinbarten Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Februar 2020 im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens einen gerichtlichen Vergleich. Gegenstand des Vergleichs war u.a. die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung. Der Arbeitgeber wurde zahlungsunfähig, zahlte die Abfindung nicht und leitete das Insolvenzverfahren ein. Der Arbeitnehmer erhob Klage und focht die Zustimmungserklärung zum Vergleich wegen arglistiger Täuschung an.
Das LAG Thüringen hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch den gerichtlichen Vergleich wirksam beendet wurde, ein Anfechtungsgrund nach § 123 BGB nicht vorliege und es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass der Arbeitnehmer arglistig über die Zahlungsbereitschaft des Arbeitgebers getäuscht wurde. Auf einen nachträglichen Wegfall der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB könne sich der Arbeitnehmer ebenfalls nicht berufen. Der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers bzw. seine Insolvenz stelle keinen nachträglichen Wegfall der Geschäftsgrundlage dar. Die wesentliche Veränderung bestehe gerade in der Verwirklichung eines Risikos, welches nach dem vereinbarten oder typischen Vertragsinhalt diejenige trägt, welche sich auf dem Wegfall oder die Störung der Geschäftsgrundlage beruft.
Sowohl ein Aufhebungsvertrag als auch ein Beendigungsvergleich seien sogenannte Risikogeschäfte, der Arbeitnehmer gehe immer in Vorleistung. Die Leistung der Arbeitnehmer bestünde gerade darin, auf Kündigungsschutz und den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu verzichten. Diese Wirkung trete stets mit Abgabe der Erklärung ein. Dem gegenüber trete die Gegenleistung – die Zahlung einer Abfindung – zeitlich immer nach Vergleichs- oder Vertragsabschluss ein. Jedenfalls dann, wenn nicht die Zahlung der Abfindung in bar Zug um Zug gegen Abgabe der Erklärung der Arbeitnehmer vereinbart wird. In der Praxis kommt das kaum vor und dies ist in dem vom LAG Thüringen zu entscheidenden Fall auch nicht vorgekommen. Da die Arbeitnehmerin in Vorleistung gegangen sei, treffe sie das Risiko des späteren Eintritts der Zahlungsunfähigkeit ihrer Schuldnerin. Sie könne sich daher nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen.
Mit herzlichen (arbeitsrechtlichen) Grüßen
Ihr Dr. Erik Schmid