Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Vietnam, abgekürzt EVFTA, ist am 1. August 2020 in Kraft getreten. Es ist, nach dem Abkommen mit Singapur, das zweite Freihandelsabkommen der EU in der ASEAN-Region. Der 1400 Seiten umfassende Text des Abkommens wurde am 12. Juni 2020 im Amtsblatt L 186 der EU in den Amtssprachen der EU veröffentlicht.
Beide Seiten erwarten ein deutliches Wachstum des Handels zwischen der EU und dem mit fast 100 Millionen Einwohnern drittgrößten ASEAN-Land, nach Indonesien und den Philippinen. Es lohnt sich daher die Prüfung, ob und welche Vorteile das Abkommen bietet. Hinweise dafür gibt der nachstehende Überblick sowie die englischsprachige Erläuterung durch die Delegation der Europäischen Kommission in Vietnam sowie die Webseite der Kommission.
Die wichtigste Verbesserung gegenüber dem aktuellen Stand liegt in der Reduzierung der Zollsätze, wobei die Zollsenkungen teilweise sofort, aber so gut wie für alle Waren schrittweise innerhalb einer sieben- bis zehnjährigen Übergangsfrist verringert werden, bis 99 Prozent aller Zölle ganz entfallen, siehe Kapitel 2 des Abkommens. Je nach der Bedeutung einer Ware oder Warengruppe werden die Zölle mehr oder minder schnell abgebaut. Mehr als 60 Prozent der beiderseitigen Ausfuhren können sofort zollfrei eingeführt werden. So können fast sämtliche Maschinen und Anlagen mit Ursprung in der EU nach Inkrafttreten zollfrei in Vietnam eingeführt werden. Für die Automobilindustrie werden bei PKWs die Zölle schrittweise in den nächsten zehn Jahren, für Kraftfahrzeugteile in sieben Jahren abgebaut. Auch werden auf 70 Prozent der in der EU-hergestellten chemischen Erzeugnisse in Vietnam ab sofort keine Zölle mehr erhoben.
Die Zölle gelten für Waren, die im jeweils anderen Zollgebiet hergestellt wurden. Das Vereinigte Königreich wird ab Januar 2021 nicht mehr dazu zählen, es sei denn, es kommt zum Abschluss weiterer Abkommen. Die Ursprungsregelungen des Abkommens sind an den EU-Regeln des Allgemeinen Präferenzsystems gegenüber Entwicklungsländern orientiert; jedoch müssen die teilweise ins Einzelne gehenden Regeln genau beachtet und der Ursprung eines Produktes nachgewiesen werden, im günstigsten Fall mittels des vereinfachten Selbstzertifizierungsverfahren für registrierte Ausführer.
Im Hinblick auf die Diskussion um Lieferketten werden Hersteller und Händler erfreut feststellen, dass sich Vietnam verpflichtet, grundlegende Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation zu ratifizieren und umzusetzen, Kinder- und Zwangsarbeit zu verbieten, sowie weitere Regelungen zu Klima-, Arten- und Umweltschutz umzusetzen.
Ein weiterer Vorteil für europäische Unternehmen ist die Gewährung des besseren Zugangs zu öffentlichen Ausschreibungen. Dies ist insbesondere deshalb von Bedeutung, weil Vietnam große Anstrengungen unternimmt, seine Infrastruktur zu verbessern. Zu den Einzelheiten siehe Kapitel 9 und die Anhänge des Abkommens.
Im Zuge des Abkommens verpflichtet sich Vietnam, den Zugang von EU-Unternehmen zu vielen Dienstleistungssektoren erheblich zu verbessern, unter anderem Umweltdienstleistungen, Post- und Kurierdienste, Banken, Versicherungen und der Seeverkehr. Weiter enthält es eine Klausel, die es ermöglicht, die in künftigen Handelsabkommen mit anderen Ländern vereinbarten weitergehenden Liberalisierungen in das Handelsabkommen zwischen der EU und Vietnam nachträglich zu integrieren. Zu den Einzelheiten siehe Kapitel 8 und die Anhänge des Abkommens.
Zusätzlich zu den Regeln über Investitionen in Kapitel 8 des Freihandelsabkommens wurde am 30. Juni 2019 in Hanoi ein Investitionsschutzabkommen unterzeichnet. Das Investitionsschutzabkommen muss zunächst von allen Mitgliedstaaten nach ihren jeweiligen nationalen Verfahren ratifiziert werden, bevor es in Kraft treten kann. Erst nach der Ratifizierung wird es die bilateralen Investitionsabkommen, die derzeit zwischen 21 EU-Mitgliedstaaten und Vietnam bestehen, ersetzen.