Bundesarbeitsgericht vom 16. Februar 2023 - 8 AZR 450/21
Das BAG hat entschieden, dass – unabhängig des Geschicks bei der Gehaltsverhandlung – Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ein gleich hohes Gehalt verdient haben.
Eine Arbeitnehmerin arbeitete seit dem 01. März 2017 als Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb eines Unternehmens. Zu Beginn ihrer Tätigkeit betrug die Grundvergütung 3.500,00 Euro brutto. Neben der Arbeitnehmerin waren zwei weitere männliche Arbeitnehmer als Außendienstmitarbeiter tätig. Einer der beiden Arbeitnehmer wurde nahezu zeitgleich, zum 01. Januar 2017, mit der Arbeitnehmerin eingestellt. Die Arbeitgeberin hatte auch diesem Arbeitnehmer zunächst eine Grundvergütung in Höhe von 3.500,00 Euro brutto angeboten, was der Arbeitnehmer allerdings ablehnte. Nach Verhandlungen mit dem Arbeitnehmer zahlte die Arbeitgeberin diesem ein erhöhtes Grundgehalt von 4.500,00 Euro brutto. Dies begründete die Arbeitgeberin damit, dass der Arbeitnehmer einer ausgeschiedenen, besser vergüteten Vertriebsmitarbeiterin nachgefolgt sei.
Mit ihrer Klage begehrte die Arbeitnehmerin die Zahlung rückständiger Vergütung für die streitgegenständliche Zeit von März 2017 bis Juli 2019 in Höhe der jeweiligen Differenz zwischen ihrem Gehalt und dem Gehalt des männlichen Kollegen. Dies begründete die Arbeitnehmerin damit, dass sie ein gleich hohes Grundgehalt verdiene wie ihr männlicher Kollege, da beide auch die gleiche Arbeit verrichten. Darüber hinaus verlangte die Arbeitnehmerin die Zahlung einer angemessenen Entschädigung in Höhe von mindestens 6.000,00 Euro, da sie hinsichtlich des Gehalts auf Grund ihres Geschlechts benachteiligt wurde. Vor dem Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht wurde die Klage abgewiesen.
Die Revision der Arbeitnehmerin vor dem BAG hatte hingegen Erfolg. Das BAG bejahte die geschlechterspezifische Benachteiligung der Arbeitnehmerin mit der Begründung, dass, obgleich die Arbeitnehmerin und ihr männlicher Kollege gleiche Arbeit verrichteten, der Frau ein niedrigeres Grundgehalt gezahlt wurde als dem männlichen Kollegen. Daher habe die Arbeitnehmerin nach der Auffassung des BAG einen Anspruch gemäß Art. 157 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union ("AEUV), § 3 Abs. 1 und § 7 Entgelttransparenzgesetzes ("EntgTranspG") auf das gleiche Grundentgelt wie ihr männlicher Kollege. Der Umstand, dass die Arbeitnehmerin für die gleiche Arbeit ein niedrigeres Grundgehalt erhalten habe, begründe die Vermutung, dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt sei. Die Widerlegung dieser Vermutung ist der Arbeitgeberin nach der Auffassung des BAG insbesondere nicht mit der Begründung gelungen, dass der männliche Arbeitnehmer ein besseres Verhandlungsgeschick hatte oder einer ausgeschiedenen, besser vergüteten Vertriebsmitarbeiterin nachgefolgt sei. Hinsichtlich der Zahlung einer Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund des Geschlechts hat das BAG der Arbeitnehmerin eine Entschädigung in Höhe von 2.000,00 Euro zugesprochen.
Die Entscheidung des BAG zielt darauf ab, die geschlechterspezifische Entgeltungleichheit zu beseitigen. Die Frage, ob ein besseres Verhandlungsgeschick eine individuelle Eigenschaft einer jeden Arbeitnehmerin oder eines jeden Arbeitnehmers ist oder es sich als geschlechterspezifische Benachteiligung herauskristallisieren lässt, hat das BAG nun entschieden. Es hat gezeigt, dass nach dessen Ansicht allein das Verhandlungsgeschick kein geeignetes objektives Kriterium zur Rechtfertigung einer Entgeltungleichheit zwischen Männern und Frauen darstellt. Hier erfährt der Grundsatz der Privatautonomie bei dem Abschluss von Arbeitsverträgen durch das Gebot der Entgeltgleichheit nunmehr eine Einschränkung. Das Gebot der Entgeltgleichheit hat das Ziel, die bestehende Lücke zwischen den Gehältern von Männern und Frauen zu schließen. Es würde jedoch nach Ansicht des BAG konterkariert, wenn es Arbeitgebern möglich wäre, bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit mit Arbeitnehmern eines Geschlechts individuell eine höhere Vergütung gegenüber Beschäftigten des jeweils anderen Geschlechts zu vereinbaren, ohne dass darüber hinaus weitere objektive Differenzierungskriterien erkennbar sind.
Arbeitgeber müssen sich darauf einstellen, dass auch andere Arbeitnehmer gegebenenfalls nachziehen und versuchen werden eine geschlechterspezifische Benachteiligung hinsichtlich der Gehaltsverhandlungen geltend zu machen. Daher ist Arbeitgebern zu raten, zukünftig geschlechterspezifische Entgeltungleichheiten auf Grund des Verhandlungsgeschicks eines Beschäftigten zu vermeiden. Trotz dessen sind Differenzierungen in Bezug auf die Entgelthöhe weiterhin zulässig, sofern sie objektiv und geschlechtsneutral begründet sind. Falls noch nicht geschehen, ist Arbeitgebern daher zu empfehlen, ein Entgeltvergütungssystem einzurichten, welches objektive Kriterien für die Vergütungsbemessung aufstellt. Das können zum Beispiel erworbene Abschlüsse, Auslandserfahrung, Sprachkenntnisse (falls für das Unternehmen nutzbar) oder die Betriebszugehörigkeit sein. Gutes Verhandeln gehört jedenfalls nicht dazu.