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    20.03.2025

    D&O-Versicherung: kein Versicherungsschutz für Strohmänner


    Nicht selten kommt es vor, dass sich sogenannte Strohmänner als Geschäftsführer ins Handelsregister eintragen lassen, weil für die faktischen Geschäftsführer eine Eintragung wegen Vorstrafen oder anderer Hindernisse nicht in Frage kommt. Für die Strohmänner kann das existenzvernichtende Konsequenzen haben, wie ein Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm zeigt. Demnach besteht für sie kein D&O-Versicherungsschutz, wenn sie ihre Strohmanneigenschaft gegenüber dem Versicherer nicht offengelegt haben. Dies auch dann, wenn der Versicherer zwar auf sein Anfechtungsrecht verzichtet hat, die Versicherungsbedingungen jedoch einen Ausschluss wegen arglistiger Täuschung vorsehen.

    Häufig werden aus Haftungsgründen oder Eintragungshindernissen (zum Beispiel Vorstrafen des eigentlichen Geschäftsführers) sogenannte Strohmänner als Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen. Die Zügel des Unternehmens haben hingegen andere Personen als sogenannte faktische Geschäftsführer in der Hand, für die eine Eintragung aus diversen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht in Frage kommt. Nach Auffassung des Oberlandesgericht (OLG) Hamm besteht für den Strohmann unter dem Gesichtspunkt der arglistigen Täuschung kein Versicherungsschutz unter der D&O-Versicherung, wenn dieser Umstand gegenüber dem D&O-Versicherer nicht offengelegt wurde (Hinweisbeschluss vom 28. Februar 2024, Az. 20 U 224/23).

    Abschluss der D&O-Versicherung ohne Offenlegung der Strohmann-Eigenschaft

    Im konkreten Fall hatte der Strohmann den D&O-Versicherer auf Leistung verklagt. Zum Einsatz war er gekommen, als der Gründer einer GmbH dem öffentlichen Dienst als Polizeibeamter beitrat und sich aus dienstrechtlichen Gründen gezwungen sah, sein Geschäftsführeramt niederzulegen. Daraufhin ließ sich der Kläger im Juni 2018 als Geschäftsführer in das Handelsregister eintragen und erteilte dem vormaligen Geschäftsführer eine Prokura. Die Geschäfte der Gesellschaft führte dieser neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Polizeibeamter weiter. Der Kläger war – nach seinen eigenen Worten – nur „Geschäftsführer auf dem Papier“. 

    Im Mai 2020 schloss der Kläger als gesetzlicher Vertreter der GmbH bei der Beklagten eine D&O-Versicherung ab. Dabei legte er die wahren Geschäftsleitungsverhältnisse nicht offen. Die Police enthielt eine Klausel, wonach die Beklagte auf die Anfechtung des Vertrags wegen arglistiger Täuschung verzichte, die täuschenden Personen jedoch vom Versicherungsschutz ausgeschlossen seien.

    Am 1. Oktober 2022 wurde über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger nach Paragraf 64 GmbH-Gesetz (GmbHG) alter Fassung (heute Paragraf 15b Insolvenzordnung, InsO) vom Insolvenzverwalter wegen von der Gesellschaft getätigten Zahlungen nach Insolvenzreife in Anspruch genommen. Er begehrte Freistellung durch den Versicherer, der seine Deckung verweigerte. Nachdem der Kläger erstinstanzlich unterlag und Berufung einlegte, erließ das OLG Hamm den kommentierten Hinweisbeschluss.

    Keine D&O-Deckung für Strohmann-Geschäftsführer

    Das OLG Hamm entschied, dass die Beklagte keinen Versicherungsschutz schulde. Der Kläger habe sie bei Abschluss der Police arglistig getäuscht. Er hätte die Beklagte nach Treu und Glauben auch ohne entsprechende Risikofrage über diesen Umstand aufklären müssen. 

    Das Gericht leitet dies aus der Gesetzesbegründung zu Paragraf 19 Abs. 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) ab, die eine Anfechtung bei Arglist nicht ausschließt. Nach dieser Norm besteht eine Aufklärungspflicht nur hinsichtlich vom Versicherer abgefragter erheblicher Gefahrumstände. An eine spontane Offenbarungspflicht seien demnach hohe Anforderungen zu stellen. Sie bestehe nur, wenn offensichtlich gefahrerhebliche Umstände vorliegen, die so selten und fernliegend sind, dass dem Versicherer nicht vorzuwerfen ist, sie nicht abgefragt zu haben.

    Es sei offensichtlich, dass ein nur formeller Geschäftsführer, der weder bereit noch in der Lage ist, seinen Geschäftsführerpflichten nachzukommen, nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes handele. Deswegen erhöhe er das Risiko maßgeblich, sich gegenüber der Gesellschaft schadensersatzpflichtig zu machen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn der faktische Geschäftsführer, wie hier, aufgrund seiner anderweitigen hauptberuflichen Tätigkeit nicht imstande ist, seine Organpflichten zu erfüllen. Da der Versicherer bei der gebotenen Aufklärung den Vertrag nicht geschlossen hätte und das Gericht Vorsatz annahm, bejahte es das Vorliegen einer arglistigen Täuschung.

    Ungefragter Hinweis auf Strohmann-Eigenschaft erforderlich

    D&O-Policen decken üblicherweise die Haftung aller geschäftsführenden Organe und leitender Angestellten einer Gesellschaft sowie ihrer Tochtergesellschaften ab. Umfasst sind in der Regel alle formellen und faktischen Geschäftsleiter. Vor dem Abschluss einer Versicherung wird das Risiko regelmäßig anhand eines mehr oder weniger standardisierten Fragenkatalogs durch den Versicherer bewertet. Versicherer haben es also in der Hand, die Umstände durch Risikofragen zu erforschen, die für die Entscheidung über den Abschluss einer D&O-Police mit einem Unternehmen von Bedeutung sind oder nicht. Stellt ein Versicherer zu einem besonderen Umstand keine solche Frage, kann der Versicherungsnehmer grundsätzlich davon ausgehen, dass dieser Umstand keine Relevanz für die Risikobewertung des Versicherers hat.

    Mit der kommentierten Entscheidung verdeutlicht das OLG Hamm aber, dass sich die Aufklärungspflichten des Versicherungsnehmers auch gegenüber einem D&O-Versicherer nicht mit der wahrheitsgemäßen Beantwortung der Risikofragen erschöpfen. Gleichzeitig stellt das Gericht hohe Anforderungen an eine spontane Aufklärungspflicht und folgt dabei der strengsten in der Literatur vertretenen Auffassung, die mittlerweile in der OLG-Rechtsprechung vorherrschend ist. Nur solche Umstände muss ein Versicherungsnehmer ausnahmsweise ungefragt preisgeben, die einerseits offensichtlich gefahrerheblich und andererseits so außergewöhnlich sind, dass von einem Versicherer nicht vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er konkrete Fragen dazu formuliert. Ein solcher Umstand war in der kommentierten Entscheidung die „Strohmanneigenschaft“ des einzigen Geschäftsführers. 

    Die Entscheidung ist insofern wenig verwunderlich. Auch das LG Mönchengladbach hatte in einem Urteil vom 4. Mai 2016 (Az. 1 O 143/14) die Strohmanneigenschaft als offenbarungspflichtig angesehen. Eine arglistige Täuschung sah das LG Mönchengladbach allerdings im dortigen Fall als nicht nachgewiesen an, da offenblieb, ob dem Versicherer das „Strohmann“-Konstrukt bei Vertragsschluss mitgeteilt wurde. Dennoch erhielt die Klägerin auch in diesem Fall keine Deckung, da sich der beklagte D&O-Versicherer auf den Ausschluss wissentlicher Pflichtverletzung berufen konnte. Die rechtzeitige Stellung eines Insolvenzantrags sei eine sogenannte Kardinalspflicht, bei der die Wissentlichkeit des Pflichtverstoßes vermutet wird, so das LG Mönchengladbach.

    Dass der Versicherer von der „Strohmanneigenschaft“ erfuhr, und diese auch gerichtlich nachweisen konnte, lag in der kommentierten Entscheidung des OLG Hamm maßgeblich an den Einlassungen des formellen Geschäftsführers nach der Schadensmeldung. 

    Hohes Risiko für Strohmann-Geschäftsführer

    Für „Strohmann“-Geschäftsführer besteht ein besonders hohes Risiko: Sie können selbst dann mit ihrem persönlichen Vermögen haften (etwa nach Paragraf 15b Abs. 4 S. 1 InsO, Paragraf 69 S. 1 Abgabenordnung oder Paragraf 43 Abs. 2 GmbHG), wenn sie sich aus den Geschäften der Gesellschaft vollkommen heraushalten und müssen zudem befürchten, dass eine etwaige D&O-Versicherung ihre Deckung verweigern wird. Die kommentierte Entscheidung unterstreicht einmal mehr, dass eine Eintragung in das Handelsregister aus Gefälligkeit und ohne Absicht, die Geschäfte der Gesellschaft tatsächlich zu führen, existenzvernichtende Konsequenzen haben kann und nicht leichtfertig erfolgen sollte.

    Dr. Florian Weichselgärtner
    Etienne Sprösser

    Dieser Beitrag ist erstmals am 13. Januar 2024 im Versicherungsmonitor erschienen. Hier gelangen Sie zum Originalbeitrag.

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