Ende April hat der Bundestag die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (BT Drucks. 19/18753) für ein Gesetz zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung angenommen. Dadurch soll insbesondere ein neuer § 129 ins Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) aufgenommen werden, der die langersehnte digitale Betriebsratsarbeit zumindest in Zeiten der Corona-Pandemie ermöglicht. Das Gesetz muss zwar noch abschließend im Bundesrat beraten werden, damit es in Kraft treten kann. Es ist aber davon auszugehen, dass der Bundesrat keinen Einspruch erheben wird.
Durch die gesetzliche Neuregelung erhalten Betriebsratsgremien die Möglichkeit, Beschlüsse vorerst auch via Video- und Telefonkonferenz zu fassen. Diese Möglichkeit ist bis zum 31. Dezember 2020 befristet und erfasst zudem bereits gefasste Beschlüsse, da die Neuregelung rückwirkend zum 1. März 2020 gelten soll. Nachvollziehbares Ziel ist es, die mit hohen Infektionsgefahren verbundenen Präsenzsitzungen so weit wie möglich zu vermeiden und gleichzeitig die Handlungs- und Beschlussfähigkeit der Gremien weiterhin sicherzustellen.
Bisher galt wegen §§ 33, 30 BetrVG, dass Sitzungen des Betriebsrats nicht öffentlich durchgeführt werden durften und Beschlüsse auch nur gefasst werden konnten, wenn die Mehrheit der körperlich anwesenden Betriebsratsmitglieder entsprechend abstimmte. Beschlüsse im Umlaufverfahren oder auf elektronischen Kommunikationswegen konnten auf Grundlage der bisherigen gesetzlichen Regelung nicht gefasst werden. Bereits länger wurde in der Literatur die These vertreten, dass auch eine Beschlussfassung per Videokonferenz zumindest dann möglich sei, wenn kein Betriebsratsmitglied widerspricht. Eine gesetzliche Grundlage dafür gab es aber bisher nicht.
Das Erfordernis der persönlichen Anwesenheit führt jedoch in Zeiten von Corona zwangsläufig zu Problemen, wenn weite Teile der Belegschaft, darunter natürlich auch die Betriebsratsmitglieder, im Homeoffice tätig sind. Nach der bisherigen Rechtslage hätte sich der Betriebsrat für seine Sitzungen weiterhin zu Präsenzterminen treffen müssen. Abweichend davon können nun auf Grundlage des neuen § 129 BetrVG Betriebsratssitzungen und Beschlussfassungen über Telefon- und Videokonferenzen durchgeführt werden. Im Einzelfall wird der Betriebsratsvorsitzende zu entscheiden haben, ob ein Präsenztermin durchgeführt werden muss oder ob eine Sitzung via Telefon- und Videokonferenz möglich ist. Voraussetzung wäre dann, dass die Betriebsratsmitglieder ihre Teilnahme in Textform an den Betriebsratsvorsitzenden melden. Eine Aufzeichnung der Sitzungen ist unzulässig und es ist stets sicherzustellen, dass Dritte von den Inhalten der Sitzungen und Beschlüsse keine Kenntnis erlangen. Die Regelungen gelten entsprechend auch für die Tätigkeit des Wirtschaftsausschusses und für Verfahren im Rahmen von Einigungsstellen. Zudem sollen vorübergehend sogar Betriebsversammlungen mittels audiovisueller Einrichtungen durchgeführt werden können. Für genügend Arbeit bei den IT-Verantwortlichen dürfte also in jedem Fall gesorgt sein.
Natürlich dürfen bei Anwendung der Neuregelungen die datenschutzrechtlichen Vorgaben nicht vergessen werden, insbesondere wenn es darum geht, dass Dritte keine Kenntnis von den Inhalten der Sitzungen und Beschlüsse erhalten dürfen. Bei der Nutzung der im Unternehmen bereits bestehenden Video- und Telefonkonferenzsysteme ist daher darauf zu achten, dass bestimmte Funktionalitäten entweder generell nicht zur Verfügung stehen oder vorhandene, aber datenschutzrechtlich bedenkliche Funktionalitäten standardmäßig deaktiviert sind. Dabei ist die Business-Version der Konferenzsysteme zu nutzen, da diese einen höheren Sicherheitsstandard bietet.
Damit sichergestellt ist, dass sich ausschließlich teilnahmeberechtigte Personen einwählen, hat der Betriebsrat die Zugangsbeschränkungsfunktionen durch die Verwendung eines Passworts oder der Warteraumfunktion zu nutzen. Mit der Warteraumfunktion gewährt der Administrator den einzelnen Teilnehmern manuell Zutritt zum virtuellen Sitzungsraum. Zu empfehlen ist auch, dass eine Sitzung "geschlossen" wird, sobald sich alle Teilnehmer in der Sitzung befinden. Dadurch kann sich keine betriebsratsfremde Person einwählen, selbst wenn sie Kenntnis des Passwortes haben sollte. Von der Versendung eines Einwahl-Links, in dem das verschlüsselte Passwort bereits enthalten ist, sollte abgesehen werden, wenn nicht sichergestellt werden kann, dass der Link nicht an Unberechtigte weitergeleitet wird. Hier gilt im Hinblick auf die Betriebsratsarbeit ein strengerer Maßstab als für die Nutzung im generellen Betrieb des Unternehmens.
Darüber hinaus ist eine Aufzeichnung der Sitzungen unzulässig und darf selbst dann nicht vorgenommen werden, wenn alle Betriebsratsmitglieder in die Aufzeichnung einwilligen. § 129 BetrVG verbietet dies ausdrücklich und ist insofern nicht abdingbar, da mit dieser Bestimmung nicht nur der Persönlichkeitsschutz der Betriebsratsmitglieder, sondern vor allem die Wahrung der Nichtöffentlichkeit der Betriebsratssitzung bezweckt ist. Chatverläufe müssen außerdem nach der Sitzung aus dem Konferenzsystem gelöscht werden.
Die Trackingfunktionen müssen ebenfalls ausgeschaltet sein, um eine unzulässige Überwachung der Betriebsratsmitglieder während der Sitzung zu verhindern. Die Überwachung kann einerseits durch eine Verfolgung des Anwesenheits- und Aktivitätsstatus (aktiv/inaktiv/abwesend) des jeweiligen Betriebsratsmitglieds oder andererseits anhand eines Aufmerksamkeitstrackings während der Sitzung erfolgen. Beim Aufmerksamkeitstracking wird dem Administrator angezeigt, ob der Teilnehmer während der Sitzung das Konferenz-Fenster aktiv geöffnet bzw. im Vordergrund hat.
Schließlich sind die üblichen technischen und organisatorischen Maßnahmen bei der Nutzung von Software zu implementieren, um den Schutz der personenbezogenen Daten zu gewährleisten. Dazu gehören im Hinblick auf Konferenzsysteme insbesondere technische Vorkehrungen, die verhindern, dass Dritte auf die Webcam, Login-Daten oder das System selbst zugreifen können, die Verschlüsselung der Daten (mindestens durch Transportverschlüsselung, aber im Optimalfall über eine Ende-zu-Ende Verschlüsselung) und die Nutzung von datensparsamen Voreinstellungen. Für die Datensparsamkeit ist der Funktionsumfang auf das für die Kommunikation Notwendige zu begrenzen. Als organisatorische Maßnahme kommt eine Richtlinie in Betracht, in der Vorgaben für die ordnungsgemäße Nutzung des Video- und Telefonkonferenzsystems gemacht werden und dadurch die datenschutz- sowie betriebsverfassungsrechtlich zulässige Handhabung durch die Betriebsratsmitglieder gesteuert wird. In diesem Zusammenhang kann auch die Privatnutzung untersagt werden. Die Betriebsratsmitglieder müssen darüber hinaus entsprechend zum datenschutzkonformen Umgang geschult werden.
Die langersehnte Neuregelung durch die Einführung des neuen § 129 BetrVG gibt dem Betriebsrat zumindest vorübergehend die zusätzliche Möglichkeit, Beschlüsse per Telefon- bzw. Videokonferenz zu fassen und sichert dadurch seine Handlungs- sowie Beschlussfähigkeit in diesen schwierigen Zeiten. Hierbei sind insbesondere die datenschutzrechtlichen Vorgaben zu beachten. Aus Arbeitgebersicht ist die vorübergehende Neuregelung zu begrüßen, weil nur wirksame Betriebsratsbeschlüsse eine belastbare Rechtsgrundlage bilden, wenn es beispielsweise um den Abschluss von Betriebsvereinbarungen oder um eine Anhörung vor dem Ausspruch einer Kündigung geht.