Spätestens mit Ausbruch des Ukrainekriegs und den erheblichen Preissteigerungen bei Kraftstoffen begann eine intensive öffentliche Diskussion darüber, wie die Bundesregierung stille Verhaltenskoordinierungen zwischen Unternehmen (insbesondere auf transparenten, oligopolistisch strukturierten Märkten), rechtlich erfassen kann. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klima (BMWK) hat (u.a.) vor diesem Hintergrund am 26. September 2022 einen ersten Entwurf zur Verschärfung des Wettbewerbsrechts und Stärkung des Bundeskartellamts vorgelegt (sog. „Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz“). In der Entwurfsbegründung heißt es hierzu:
„Dort, wo die Marktstruktur dem Wettbewerb entgegensteht, etwa weil es nur wenige Anbieter im Markt gibt und regelmäßig parallele Preisentwicklungen zu Lasten der Verbraucher zu beobachten sind, sollen die Eingriffsinstrumente des Kartellrechts gestärkt werden.“
Das Bundeskartellamt soll hiernach auch bei Unternehmen, die weder einen Kartellverstoß begangen noch einen Zusammenschluss planen und sich auch nicht missbräuchlich verhalten haben, regulierungsgleiche Befugnisse erhalten, um in den Markt und die Unternehmensstrukturen einzugreifen zu können – ein Paradigmenwechsel im Kartellrecht, wo bislang das Verursacherprinzip galt.
Nach dem Referentenentwurf soll das Bundeskartellamt zunächst in 3 Bereichen gestärkt werden:
Die ersten Anhörungen zum Gesetz sollen bereits im Oktober stattfinden, sodass mit einem zügigen Gesetzgebungsverfahren und einer Verabschiedung noch in diesem Jahr zu rechnen ist. Für eine schnelle Verabschiedung spricht auch, dass für nächstes Jahr bereits die nächste, 12. GWB-Novelle seitens des BMWK angekündigt ist. Somit sind knapp 1,5 Jahre nach dem Inkrafttreten der 10. GWB-Novelle bereits zwei weitere Novellen in der Pipeline des BMWK.
Im Einzelnen zum Entwurf der 11. GWB-Novelle:
Mit dem Instrument der Sektoruntersuchung untersucht und analysiert das Bundeskartellamt die Strukturen und Wettbewerbsbedingungen in bestimmten Wirtschaftszweigen. Diese Marktstudien beruhen nicht auf dem Verdacht eines Kartellverstoßes und richten sich auch nicht gegen einzelne Unternehmen. Es handelt sich vielmehr um ein Erkenntnisgewinnungsverfahren mit der Möglichkeit, im Anschluss Kartellverfahren gegen konkrete Unternehmen wegen etwaiger Kartellrechtsverstöße gezielt durchführen zu können. Aktuell führt das Bundeskartellamt beispielsweise eine derartige Untersuchung auf den Kraftstoffmärkten durch.
Der Referentenentwurf sieht eine Stärkung des Instruments der Sektoruntersuchung vor. Das Bundeskartellamt soll künftig im Anschluss an eine Sektoruntersuchung (die nunmehr nur noch maximal 18 Monate in Anspruch nehmen darf) Abhilfemaßnahmen anordnen können, ohne einen konkreten Rechtsverstoß eines Marktteilnehmers festgestellt zu haben. Voraussetzung für die Anordnung von Abhilfemaßnahmen ist nur, dass eine erhebliche, andauernde oder wiederholte Störung des Wettbewerbs auf mindestens einem Markt oder marktübergreifend vom Bundeskartellamt festgestellt wird. Die hierauf folgenden Abhilfemaßnahmen können verhaltensbezogener und struktureller Art sein, wobei die (vielfach und beidseitig des Atlantiks geforderte) missbrauchsunabhängige Entflechtung als ultima ratio vorgesehen ist. Der Entwurf sieht unter anderem Maßnahmen in Bezug auf:
vor. Auch sollen Vorgaben des Bundeskartellamts zu bestimmten Vertragsformen oder Vertragsgestaltungen einschließlich vertraglicher Regelungen zur Informationsoffenlegung möglich sein. Dieser Katalog ist nicht abschließend, sodass dem Bundeskartellamt alle für die Wiederherstellung effektiven Wettbewerbs erforderlichen Maßnahmen grundsätzlich zur Verfügung stehen sollen. Mit Ausnahme der Entflechtung stehen die Maßnahmen auch in keinem Rangverhältnis zueinander, sodass hierdurch für Unternehmen, die sich (kartell-)rechtstreu verhalten, künftig erhebliche Rechtsunsicherheit entstehen wird. Dies gilt umso mehr, als dass im Entwurf nicht konkretisiert ist, gegen wen sich die Maßnahmen richten sollen. Maßstab soll bislang einzig und allein die Erforderlichkeit der konkreten Maßnahme für die Beseitigung oder Verringerung der Störung des Wettbewerbs sein – ein unbestimmter Rechtsbegriff, der erheblicher weiterer Konturierung durch die Praxis bedarf.
Ursprünglich war auf europäischer Ebene ein ähnliches und ebenso weitreichendes, regulatives Instrument für die Europäische Kommission vorgesehen (sog. „New Competition Tool“), jedoch wich dieser Vorschlag im Ergebnis dem sog. Digital Markets Act („DMA“).
Der DMA, der zum 1. November 2022 in Kraft treten wird, ist eine europäische Verordnung, die sicherstellen soll, dass digitale Märkte, auf denen Gatekeeper (also Unternehmen, die aufgrund ihrer Marktmacht und Netzwerkeffekten den Marktzugang für andere kontrollieren) tätig sind, bestreitbar sind und bleiben, also dass andere Marktteilnehmer Wettbewerbsdruck auf diese Gatekeeper ausüben können und Fairness und gleiche Wettbewerbsbedingungen für die Akteure auf den digitalen Märkten in der EU gewährleistet werden.
Der Referentenentwurf zur 11. GWB-Novelle sieht vor, dass das Bundeskartellamt künftig wegen etwaiger Verstöße gegen den DMA ermitteln und dafür auch von den ihm bei dem Verdacht von Kartellrechtsverstößen zur Verfügung stehenden Ermittlungsbefugnissen Gebrauch machen kann. Das Bundeskartellamt kann hierdurch einerseits die Europäische Kommission bei der Durchsetzung des DMA unterstützen und andererseits Synergien für die Durchsetzung der nationalen Aufsicht über Gatekepper, die in § 19a GWB geregelt ist, generieren.
Da der DMA nicht nur behördlich, sondern auch durch Private (mittels Unterlassungs- und Schadensersatzklagen) durchgesetzt werden soll (sog. Private Enforcement), sollen nach dem Referentenentwurf künftig die Erleichterungen, die bislang für kartellrechtliche Schadensersatzklagen gelten, auch für Ansprüche zur Durchsetzung der Rechte und Pflichten aus dem DMA gelten – fraglos ein Vorteil für den Gerichtsstandort Deutschland und eine neue Gefahr für Unternehmen, die Adressaten des DMA sind.
Von der Vorteilsabschöpfung machen Gerichte und Behörden bislang aufgrund der hohen Nachweisanforderungen bislang kaum Gebrauch. Um dies zu ändern, sieht der Referentenentwurf vor, dass künftig auf den Nachweis eines Verschuldens bei Begehung des Kartellverstoßes verzichtet und das Verschuldenserfordernis gänzlich gestrichen wird. Außerdem wird die Frist, in der die Vorteile abgeschöpft werden können, auf 10 Jahre nach Beendigung der Zuwiderhandlung ausgeweitet.
Besonders interessant ist die Einführung von (widerlegbaren) gesetzlichen Vermutungen, wonach vermutet wird, dass
Das BMWK möchte in erster Umsetzung seiner im Februar veröffentlichten wettbewerbspolitischen Agenda die Eingriffsbefugnisse des Bundeskartellamts stärken und die Voraussetzungen an diverse Instrumentarien und Ansprüche absenken. Gerade die Vorteilsabschöpfung dürfte in den kommenden Jahren vermehrt vom Bundeskartellamt genutzt werden und abschreckend auf Unternehmen wirken. Da einige wettbewerbsschädliche Phänomene des 21. Jahrhunderts - insbesondere auf digitalen Märkten, die aufgrund von starken Netzwerk- und Skaleneffekten besonders anfällig für Machkonzentrationen sind - mit der bisherigen kartellrechtlichen Toolbox nicht (mehr) kontrollierbar sind, bricht das BMWK bewusst mit der bisherigen kartellrechtlichen Dogmatik und überantwortet dem Bundeskartellamt quasi-regulatorische Befugnisse.
Es bleibt jedoch zu hoffen, dass im Rahmen des Gesetzgebungsverfahren an den entscheidenden Stellen die Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen dergestalt nachschärft werden, dass die aktuell absehbare Rechtsunsicherheit verringert wird. Hierzu können sowohl auf Tatbestandsseite Definitionen für einzelne Merkmale (z.B. für den Begriff der „erheblichen, andauernden oder wiederholenden Wettbewerbsstörung“) als auch auf Rechtsfolgenseite (z.B. wer von einer Maßnahme nach durchgeführter Sektoruntersuchung betroffen sein kann) konkretere Vorgaben eingeführt werden.