Im April 2021 entschied der BGH in einem weiteren Fall zum Komplex des LKW-Kartells. Dem Urteil sind insbesondere drei relevante Aspekte zu entnehmen:
Der BGH hat sich in einer weiteren Entscheidung mit den Auswirkungen und Folgen das LKW-Kartells auseinandergesetzt. Kläger war ein Speditionsunternehmen, das kartellbetroffene LKW sowohl unmittelbar als auch mittelbar von den Kartellanten erworben hat.
Die tatsächliche Vermutung, dass eine Koordinierung von Bruttolistenpreisen durch die Kartellanten im Durchschnitt zu überhöhten zu zahlenden Marktpreisen führt, gilt auch zugunsten des mittelbar Geschädigten. Eine Weitergabe erhöhter Einstandskosten ist wahrscheinlich, wenn eine äußerst hohe Marktabdeckung des Kartells dazu führt, dass Händler nahezu ausnahmslos Abnehmer der Kartellanten sind und die Marktgegenseite praktisch keine Ausweichmöglichkeiten hat. Die Urteilsfeststellungen betrafen Altansprüche die vor dem 26.12.2016 entstanden sind.
Für Neuansprüche gilt § 33c Abs. 2 GWB. Danach besteht nicht nur eine tatsächliche, sondern eine gesetzliche Vermutung, dass ein Preisaufschlag auf den mittelbaren Abnehmer abgewälzt wurde, wenn ein entsprechender Kartellverstoß vorliegt, der Verstoß einen Preisaufschlag für den unmittelbaren Abnehmer zur Folge hatte und der mittelbare Abnehmer kartellbetroffene Waren von diesem erworben hat. Allerdings gilt diese gesetzliche Vermutung nur zugunsten des mittelbar Geschädigten, jedoch nicht – im Rahmen der passing on defense – auch zugunsten des Kartellanten. Hier bleibt spannend, ob sich der Kartellant auf die tatsächliche Vermutung wird berufen können, dass sein unmittelbarer Abnehmer den kartellbedingten überhöhten Einkaufspreis an die nachgelagerte Marktstufe weitergegeben hat.
Wettbewerbsökonomische Gutachten werden durch das Urteil massiv aufgewertet. Der BGH hat die Entscheidung des OLG Schleswig allein deshalb aufgehoben, weil sich das Tatgericht mit einer von den Kartellanten vorgelegten Regressionsanalyse nicht auseinandergesetzt hat. Die „Segelanweisung“ des BGH ist deutlich: Der Tatrichter muss sich mit dem jeweilig verwendeten Datenmaterial, der Datengrundlage sowie den methodischen Ansätzen der einzelnen Analysen auseinandersetzen. Tatrichter sind indes regelmäßig keine Wettbewerbsökonomen. Die Zahl der Fälle wird steigen, in denen die Parteigutachten noch um das dritte Gutachten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen ergänzt werden. Dies wird Kartellschadensersatzverfahren teuer und langwieriger machen.
In seiner Entscheidung LKW-Kartell I hat der BGH festgestellt, dass der Zeitpunkt des Beginns der Verjährungshemmung auf den Beginn der Ermittlungstätigkeiten der Behörde fällt. In LKW-Kartell II hat er nunmehr entschieden, dass es für das Ende der Verjährungshemmung nicht auf den Erlass der Bußgeldentscheidung, sondern auf den Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtmittels ankommt. Die Hemmung der Verjährung verlängert sich dementsprechend bei deutschen Kartellverfahren um zwei Wochen bzw. einem Monat bei Erlass von kartellbehördlichen bzw. gerichtlichen Bußgeldentscheidungen; bei EU-Kartellbußgeldverfahren verlängert sie sich um zwei Monate.