Bundesgerichtshof (BGH) vom 25. Juni 2019 – II ZB 21/18
Leiharbeitnehmer, die auch weniger als sechs Monate beim Entleiher beschäftigt werden, sind bei den Schwellenwerten in der Unternehmensmitbestimmung zu berücksichtigen. Die Bewertung erfolgt arbeitsplatz- und nicht arbeitnehmerbezogen.
In einem Logistikunternehmen (GmbH) besteht die Belegschaft ca. zu einem Drittel aus Leiharbeitnehmern. Die genaue Zahl der Arbeit- und Leiharbeitnehmer, die jedenfalls prognostiziert mehr als sechs Monate bei der GmbH eingesetzt werden sollen, betrug im Durchschnitt bzw. an einzelnen Stichtagen nicht mehr als 1.878. Damit wäre das MitbestG (in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer) nicht anwendbar. Wenn hingegen auch Leiharbeitnehmer mit einer Beschäftigungsdauer bei der GmbH von weniger als sechs Monaten berücksichtigt werden, wäre die Grenze von 2.000 Beschäftigten überschritten. Der Gesamtbetriebsrat beantragte festzustellen, dass ein Aufsichtsrat nach dem MitbestG hilfsweise nach dem DrittelbG zu bilden sei. Das Landgericht hat dem Hilfsantrag stattgegeben, das Oberlandesgericht hat hingegen festgestellt, dass ein Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz zu bilden sei.
Der BGH stellt fest, dass es bei den Leiharbeitnehmern darum gehe, wie viele Arbeitsplätze in einem Unternehmen regelmäßig über die Dauer von sechs Monaten hinaus mit Leiharbeitnehmern besetzt sind. Es komme nicht auf die Dauer des Einsatzes der einzelnen Leiharbeitnehmer an. § 14 Abs. 2 Satz 6 AÜG sei damit arbeitsplatz- und nicht arbeitnehmerbezogen zu verstehen. Damit sind bei der GmbH in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt und es ist ein Aufsichtsrat nach dem MitbestG zu bilden.
Nach dem Gesetzgeber und nach der Rechtsprechung sind Leiharbeitnehmer nicht pauschal bei arbeitsrechtlichen Schwellenwerten zu berücksichtigen. Es müsse jeweils hinsichtlich der einzelnen Schwellenwerte differenziert werden. Es wird tatsächlich aber keine Differenzierung vorgenommen. Außerdem werden im Ergebnis doch pauschal alle Leiharbeitnehmer berücksichtigt. Arbeitgeber können sich (zukünftig) bei arbeitsrechtlichen Schwellenwerten nicht darauf verlassen, dass Leiharbeitnehmer nicht zu berücksichtigen wären.
Die Entscheidung des BGH sowie die (pauschale) Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei der unternehmerischen Mitbestimmung hat keine Auswirkungen, wenn Unternehmen aus anderen Gründen nicht in den Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze (§ 1 MitbestG, § 1 DrittelbG) fallen. Dies kann rechtskonform aufgrund der unternehmerischen Freiheit erreicht werden, in dem eine ausländische Rechtsform (österreichische GmbH, PLC), eine Personengesellschaft oder eine supranationale Rechtsform (z.B. SE) gewählt wird, die nicht vom Geltungsbereich des MitbestG/DrittelbG erfasst ist. Dies kann auch durch Sitzverlegung des Unternehmens außerhalb von Deutschland (Territorialitätsprinzip) oder durch Verteilung der Arbeitnehmer auf mehrere Gesellschaften jeweils unterhalb der Schwellenwerte und Kappung der (Konzern-)Zurechnungen erreicht werden.
Fragen dazu beantwortet Ihnen Dr. Erik Schmid gerne.
Hinweis: Ein ausführlicherer Beitrag zu diesem Thema von Markus Künzel und Dr. Erik Schmid ist im Deutschen AnwaltSpiegel, Ausgabe 21/2019, Seite 11 ff. erschienen.