Das im Berliner Neutralitätsgesetz verankerte pauschale Kopftuchverbot für Lehrkräfte greift in die Religionsfreiheit nach Art. 4 Grundgesetz (GG) ein. Damit darf einer Lehrerin das Tragen eines Kopftuchs während des Unterrichts nicht ohne weiteres verboten werden.
Eine Muslima hatte sich beim Land Berlin für eine Beschäftigung als Lehrerin beworben. Im Rahmen des Bewerbungsverfahrens hatte sie auf Nachfrage erklärt, dass sie ihr Kopftuch auch im Unterricht nicht ablegen würde. Im weiteren Verlauf erhielt sie weder eine Ab- noch Zusage und nahm das Land Berlin auf Zahlung einer Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Anspruch. Sie hat die Auffassung vertreten, das Land Berlin habe sie entgegen den Vorgaben des AGG wegen ihrer Religion benachteiligt. Zur Rechtfertigung dieser Benachteiligung könne sich das Land Berlin nicht mit Erfolg auf § 2 Berliner Neutralitätsgesetz (NeutrG) berufen. Das darin geregelte pauschale Verbot, innerhalb des Dienstes ein muslimisches Kopftuch zu tragen, verstoße gegen die durch Art. 4 GG geschützte Glaubensfreiheit. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Muslima eine Entschädigung zugesprochen. Gegen diese Entscheidung hat das Land Berlin Revision eingelegt. Die Muslima hat Anschlussrevision eingelegt, mit der sie eine noch höhere Entschädigung fordert.
Sowohl die Revision als auch die Anschlussrevision hatten keinen Erfolg. Nach Auffassung des BAG hatte die Bewerbung der Klägerin aus religiösen Gründen keinen Erfolg. Aufgrund der Nichtberücksichtigung bei der Auswahlentscheidung sei eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne von § 3 abs. 1 AGG aufgrund der Religion erfolgt. Einen Rechtfertigungsgrund hierfür sah das BAG nicht. Das Land Berlin könne sich auch nicht auf § 2 NeutrG erufen. Die Norm sei verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass das dort genannte Verbot des Tragens religiöser Zeichen im Schulbetrieb nur bei einer konkreten Gefahr für den Schulbetrieb oder die staatliche Neutralität gelte. Ein pauschales Verbot des Tragens religiöser Symbole sei ein unverhältnismäßiger Eingriff in die nach Art. 4 GG geschützte Religionsfreiheit. Unter Abwägung aller Umstände erachtete das BAG, wie das LAG, eine Entschädigung in Höhe von anderthalb potenziellen Monatsgehältern für angemessen.
Die Entscheidung war zu erwarten, nachdem das Bundesverfassungsgericht 2015 entschieden hatte, dass ein pauschales Verbot religiöser Bekundungen von Lehrkräften in öffentlichen Schulen mit der Religionsfreiheit gem. Art 4 GG nicht vereinbar sei. Auch wenn die Entscheidung nicht für private Arbeitgeber gilt, so zeigt sie, wie schnell die Haftung nach § 15 Abs. 2 AGG eingreifen kann.
Auch mit dem vorliegenden Urteil ist die komplexe Thematik von Kopftuchverboten nicht abschließend geklärt. Es bleibt insbesondere für private Arbeitgeber schwierig, ein Kopftuchverbot im Betrieb im Wege des Direktionsrechts wirksam anzuordnen. Ein solches Verbot kann aber zulässig sein, wenn es auf einer unternehmensinternen Regel basiert, die das Tragen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Zeichen unterschiedslos verbietet und diese Regel auch konsequent umgesetzt wird. Über konkrete Fragen zu derartigen unternehmensinternen „Neutralitätsregeln“ wird der Europäische Gerichtshof erneut im Rahmen des Vorabentscheidungsersuchens des BAG vom 30. Januar 2019 zu befinden haben. Die Beantwortung der Vorlagefragen ist mit Spannung zu erwarten. Bis dahin sollten private Arbeitgeber sehr einzelfallbezogene und pragmatische Lösungen suchen, wenn es um das Tragen von Kopftüchern im Betrieb geht.