Bundesarbeitsgericht vom 1. Juni 2022 – 5 AZR 28/22
Das BAG fällt das erste Urteil zum betrieblichen Hygienekonzept und schafft damit Rechtssicherheit für arbeitgeberseitige Anordnungen zum Schutz vor Corona-Risiken im Betrieb. Arbeitgeber dürfen auch solche Maßnahmen durchsetzen, die über die im jeweiligen Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Regelungen und Empfehlungen hinausgehen. Dabei billigt das BAG den Arbeitgebern einen erheblichen Beurteilungsspielraum zu: Die angeordneten Schutzmaßnahmen dürfen das verfolgte Ziel nur nicht konterkarieren.
Die Bayerische Staatsoper ordnete gegenüber allen Beschäftigten im August 2020 an, einen negativen PCR-Test zu Beginn der Spielzeit vorzulegen, nachdem sie zuvor weitere baulichen und organisatorischen Maßnahmen zum Schutz der Mitarbeiter vor COVID-19-Erkrankungen, wie Vergrößerung des Orchestergrabens, ergriffen hatte. Diese Vorlagepflicht folgte aus dem Hygienekonzept der Staatsoper, das sie nach einer wissenschaftlichen Beratung erstellt hatte. Ferner sah dieses Konzept verpflichtende Folgetestungen der Mitarbeiter vor, wobei die Testfrequenz von der Eingruppierung des konkreten Mitarbeiters (in die Gruppe 1 bis 4, je nach dem Ansteckungsrisiko im Betrieb) abhängig war. Die Mitarbeiter konnten dabei frei wählen, ob sie an den organisierten Testungen der Staatsoper teilnehmen oder sich andernorts testen lassen und nur das Testergebnis mitbringen wollten.
Als sich eine Arbeitnehmerin weigerte, ihren PCR-Test sowohl zu Beginn der Spielzeit als auch in der Folge vorzulegen, wurde sie nicht beschäftigt. Auch die Vergütungszahlungen stellte der Arbeitgeber ein. Die Musikerin erhob Klage auf die Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs sowie auf Beschäftigung, ohne zu irgendeiner Testung verpflichtet zu sein.
Das BAG wies die Klage – wie auch die Vorinstanzen – in allen Punkten ab. Weigern sich Arbeitnehmer, rechtmäßig angeordnete Corona-Tests vorzulegen, sind sie nicht „leistungswillig“. Ihnen stehen deshalb für die Zeiten der Nichtbeschäftigung keine Vergütungsansprüche zu. Arbeitgeber sind nach dem BAG nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, die Arbeitsbedingungen so zu regeln, dass die Arbeitnehmer vor Gefahren und Gefährdungen für Leben und Gesundheit geschützt sind. Hierzu können sie im Rahmen eines betrieblichen Hygienekonzeptes u.a. regelmäßige Testungen ihrer Arbeitnehmer anordnen, soweit alle möglichen, gleich geeigneten Schutzmaßnahmen – wie z.B. regelmäßiges Lüften, Maskentragung etc. – bereits ausgeschöpft sind. Deshalb war die Anweisung der Staatsoper im Streitfall auch rechtmäßig. Insbesondere hat die Staatsoper, so das BAG, die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums nicht überschritten. Dies gerade deswegen, weil der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Arbeitnehmer bei der Vornahme eines PCR-Tests minimal ist und die PCR-Tests das von der Staatsoper verfolgte Ziel – Schutz vor Corona-Ausbrüchen im Betrieb und Durchbrechung von Infektionsketten – fördern. Auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Datenschutz) steht der Rechtsmäßigkeit der Weisung nicht entgegen. Darf ein Arbeitgeber aufgrund seines Arbeitsschutzkonzeptes Tests anweisen, sind sie auch nach Datenschutzrecht zulässig.
Den Antrag auf Beschäftigung ohne Vorlage von Corona-Tests lehnte das BAG unter dem Gesichtspunkt eines sog. Globalantrags ab. Denn der Beschäftigungsantrag der Flötistin umfasste auch Fälle, in denen sie Corona-Tests – z.B. aufgrund Gesetzespflicht – vorlegen muss.
Mit diesem Grundsatzurteil schafft das BAG Klarheit und zeigt, welchem gerichtlichen Prüfungsmaßstab unternehmenseigene Arbeitsschutzkonzepte standhalten müssen. Dabei billigt das BAG Arbeitgebern einen erheblichen Ermessensspielraum zu. Insbesondere kann auch die Anordnung von Coronatests aller Mitarbeiter zulässig sein. Hierzu ist aber neben einem ausgewogenen Hygienekonzept das Ergreifen anderer Schutzmaßnahmen, z.B. Tragen einer Maske etc., erforderlich. Bieten diese Maßnahmen jedoch keinen ausreichenden Schutz, können die Mitarbeiter zu Coronatests verpflichtet werden. Der wesentliche Kern dieser Entscheidung ist der vom BAG angewandte Beurteilungsmaßstab: Das Gericht folgt der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und stellt fest, dass nur solche Schutzmaßnahmen des Arbeitgebers zur Erreichung des verfolgten Ziels ungeeignet und deshalb unzulässig sind, die dieses Ziel in keiner Weise fördern oder sich sogar gegenläufig auswirken können. Dies zeigt, dass das Gericht hier keinen strengen Maßstab anlegt, sondern Entscheidungen von Arbeitgebern schützt. Darüber hinaus bestätigt das BAG, dass Arbeitgeber auch solche Maßnahmen anordnen dürfen, die über die gesetzlichen Regelungen und Empfehlungen hinausgehen.
Arbeitsschutzkonzepte werden zwar nur eingeschränkt gerichtlich überprüft, dennoch sollten sie mit Sorgfalt erstellt und die Entscheidungs- und Abwägungsprozesse dokumentiert werden. Dies gilt insbesondere, wenn Coronatests angeordnet werden sollen. Diese können zwar auch ohne gesetzliche Vorgaben Teil von Hygienekonzepten sein. Sie brauchen aber einen Anlass. Es muss daher ein Ziel klar definiert werden, zu dessen Erreichung die Tests erforderlich, geeignet und angemessen im Sinne der vorbenannten Entscheidung sind. Dieses Ziel war im vorliegenden Fall die Erkennung und Unterbrechung von Infektionsketten. Weiter ist bei der Umsetzung von Testkonzepten ein ausreichender Schutz der Gesundheitsdaten zu gewährleisten.
Christina Kamppeter, Dr. Olga Morasch