Der IX. Senat des BFH hat in einem kürzlich veröffentlichten Urteil (BFH, Urteil vom 3. Dezember 2024, IX R 32/22; Vorinstanz Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 13.7.2022, 8 K 1466/19) in der Anwendungsbeschränkung der Ausnahmeregelung bezüglich der Zurechnungsbesteuerung des § 15 Abs. 6 AStG auf in der EU/EWR ansässige Familienstiftungen eine unzulässige und nicht gerechtfertigte Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit erkannt. Die Entscheidung stützt sich auf die auch im Verhältnis zu Drittstaaten anwendbare Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 63 Abs. 1 AEUV und hat zur Folge, dass sich nunmehr auch die Destinatäre von in Drittstaaten ansässiges Familienstiftungen sowie Trusts auf die Ausnahmeregelung berufen können. Wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts sei im Rahmen einer geltungserhaltenden Reduktion das unionsrechtswidrige Tatbestandsmerkmal "Sitz in einem Mitgliedsstaat der EU oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens" nicht zu beachten.
In Deutschland lebende Begünstigte einer in der Schweiz belegenen Familienstiftung klagten gegen den Bescheid über die Zurechnung der Einkünfte der Stiftung, obwohl sie keine Ausschüttungen erhalten hatten.
Der BFH erkannte die Ausnahmeregelung des § 15 Abs. 6 AStG als europarechtswidrig, da ein Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit vorliegt. Zwar rechtfertige diese Ausnahme grundsätzlich den mit der Zurechnungsbesteuerung verbundenen Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit. Jedoch gehe die ausnahmslose Zurechnung des Einkommens bzw. der Einkünfte der ausländischen Stiftung insoweit über das Erforderliche hinaus, als § 15 Abs. 6 AStG dem Wortlaut nach nicht auf ausländische Stiftungen mit Geschäftsleitung oder Sitz in einem Drittstaat Anwendung findet.
Auch Stiftungen im Drittland müsse die Möglichkeit des Nachweises der Verselbständigung des Stiftungsvermögens zukommen. Denn die in Art. 63 Abs. 1 AEUV geregelte Kapitalverkehrsfreiheit gilt insbesondere auch zwischen den EU-Mitgliedstaaten und dritten Ländern. Es sei daher geboten, die Einschränkung in § 15 Abs. 6 AStG auf ausländische Stiftungen mit Geschäftsleitung oder Sitz in einem Mitgliedstaat der EU oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens unbeachtet zu lassen, so dass auch Familienstiftungen in Drittstaaten erfasst werden.
Die insoweit erfreuliche Entscheidung beseitigt eine langjährige Ungleichbehandlung für die Destinatäre nicht in EU/EWR-Staaten ansässiger Familienstiftungen. Neben Familienstiftungen gilt dies unter den gleichen Bedingungen aufgrund der Erweiterung durch § 15 Abs. 4 AStG etwa auch für ausländische Trusts. Die Problematik der inländischen Zwischenberechtigten bei Trusts wird damit aber nicht beseitigt.
Wichtig ist jedoch, dass das Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht der Destinatäre rechtlich und tatsächlich entzogen ist. Dieses Tatbestandsmerkmal legte der Senat in vorliegendem Urteil nach rein zivilrechtlichen Maßstäben aus. Auch eine mittelbare Beeinflussung durch die Destinatäre aufgrund deren Möglichkeit, den Stiftungsrat abzuberufen, änderte im entschiedenen Fall an der Verfügungsmacht nichts. Zudem muss mit dem Drittstaat ein Informationsaustausch bestehen, um die Besteuerung durchzuführen. Diesem genügte in vorliegendem Fall die in Art. 27 des DBA zwischen Deutschland und der Schweiz geregelte sog. große Auskunftsklausel.
Im Ergebnis wird also lediglich eine Gleichstellung von im Drittland ansässigen Familienstiftungen/Trusts mit den in anderen EU/EWR-Staaten ansässigen hergestellt. Eine vollständige Gleichstellung mit inländischen Familienstiftungen wird dadurch aber nicht erreicht; insoweit wird die grundsätzliche Ungleichbehandlung durch § 15 AStG durch die Entscheidung sogar gerechtfertigt.
Heiko Wunderlich
Fabian Buker