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Mit der Arbeit auf die Wiesn (das Oktoberfest) und ohne Arbeitsverhältnis wieder heim

„O'zapft is!“. Seit dem 16. September 2032 herrscht in München aufgrund des 188. Oktoberfests Ausnahmezustand. In den gut zwei Wochen werden mehrere Millionen Maß Bier ausgeschenkt und getrunken. Viele Unternehmen nutzen die Wiesn für eine betriebliche Veranstaltung – mit der Arbeit auf die Wiesn. Bei einem halben Hendl und einer oder mehrerer Maß Bier ist die Stimmung ausgelassen. Die gute Stimmung soll sich – wie bei solchen Betriebsveranstaltungen üblich – positiv auf das kollegiale Miteinander und die Motivation auch bei der täglichen Arbeit übertragen. Wenn Arbeitnehmer bei dem Wiesnbesuch mit der Arbeit jedoch eine Maß zu viel erwischen, besteht das Risiko, ohne Arbeitsverhältnis wieder heimzugehen.

Liebe Leserin, lieber Leser,

im arbeitsrechtlichen Alltag und in der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte gibt es viele Fälle rund um das Thema Betriebsfeiern. Was ist (gerade noch) zulässig und was kann zur Abmahnung oder Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen? Ein Überblick:

Kater am nächsten Tag und Arbeitsunfähigkeit

Die Voraussetzungen für eine Vergütungsfortzahlung im Krankheitsfall sind, dass die Arbeitsunfähigkeit ausschließlich in Folge einer Krankheit erfolgt und dass die Arbeitsunfähigkeit unverschuldet eingetreten ist. Nach der Rechtsprechung ist ein „Kater“ bzw. der medizinisch korrekte Begriff „Veisalgia“ eine Krankheit. Wer am Abend zu viel Alkohol trinkt und sich am nächsten Morgen mit Übelkeit und Kopfschmerzen plagt, fühlt sich nicht nur krank, sondern ist auch medizinisch und juristisch (arbeitsunfähig) krank.

Der Entgeltfortzahlungsanspruch nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz besteht jedoch nur dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit unverschuldet eingetreten ist. Es ist dabei ein hohes Maß des „Verschuldens“ erforderlich. Eine solche unverschuldete Arbeitsunfähigkeit liegt bei einem „groben“ Verschulden gegen sich selbst“ vor, wenn ein Arbeitnehmer in grober Weise gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartenden Verhalten verstößt. Bei „normalen“ Krankheiten wird ein solches Verschulden regelmäßig nicht bestehen und die Entgeltfortzahlung des Arbeitgebers ist zu leisten. Typische Fälle einer selbstverschuldeten Arbeitsunfähigkeit, in denen eine Entgeltfortzahlung nicht geleistet wird, sind beispielsweise bei Teilnahme an einer Schlägerei, bei Verkehrsunfällen aufgrund alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit, beim Überfahren einer roten Ampel oder bei Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes.

Das BAG hat in der Entscheidung vom 18.03.2015 (10 AZR 99/14) nicht zum „Kater“, sondern zur Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Alkoholkrankheit/Alkoholabhängigkeit entschieden, dass kein Verschulden gegen sich selbst vorliegt und damit die Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber nach den Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes zu leisten sind. Ist die Krankheit „Kater“ damit ebenfalls nicht selbstverschuldet und besteht eine Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers? Jeder Mensch, der schon einmal das Münchner Oktoberfest besucht hat oder bei anderer Gelegenheit (mehr) Alkohol getrunken hat, weiß, dass ein „Kater“ am nächsten Tag droht. Die Rechtsprechung ist bei der Ablehnung der Entgeltfortzahlung eher zurückhaltend und die Hürde der selbstverschuldeten Arbeitsunfähigkeit ist hoch. Eine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Entgeltfortzahlungspflicht bei einem „Kater“ ist mir nicht bekannt. Nach meiner Einschätzung ist jedoch der „Kater“ als übliche alkoholbedingte Folge der „Bilderbuchfall“ einer selbstverschuldeten Krankheit und dürfte damit zum Wegfall des Entgeltfortzahlungsanspruchs des Arbeitnehmers führen.

Pflicht zur Teilnahme des Arbeitnehmers am Wiesnbesuch

Regelmäßig findet der Besuch des Oktoberfestes außerhalb der Arbeitszeit statt. Damit besteht auch keine Teilnahmepflicht am betrieblichen Wiesnbesuch. Eine Pflicht kann weder vertraglich festgelegt werden, noch resultiert eine solche Teilnahmepflicht aus den arbeitsvertraglichen Nebenpflichten. Dies gilt selbst dann, wenn der Besuch des Oktoberfestes ganz oder teilweise während der betriebsüblichen Arbeitszeit stattfindet. Der Arbeitgeber kann dem nicht teilnehmenden Arbeitnehmer keine Arbeitspflichtverletzung vorwerfen. Der Arbeitnehmer, der der betrieblichen Veranstaltung nicht teilnimmt, ist jedoch verpflichtet, die geschuldete Arbeitsleistung - soweit der Wiesnbesuch (teilweise) während der Arbeitszeit stattfindet - zu erbringen.

(Fehl-)Verhalten auf der betrieblichen Wiesn

Beim betrieblichen Wiesnbesuch handelt es sich um eine betriebliche, aber dennoch freiwillige Veranstaltung. Arbeitnehmer, die teilnehmen, sind jedoch an die vertraglichen Nebenpflichten gebunden. Wer sich nicht daran hält, riskiert sein Arbeitsverhältnis, wie zahlreiche Beispielsfälle in der Praxis belegen.

Eine grobe Beleidigung des Vorgesetzten durch Schimpfwörter („arme Sau“, „Arschloch“, „Wichser“) und beleidigende Gesten (ausgestreckter Mittelfinger) rechtfertigt eine verhaltensbedingte (ordentliche und ggf. außerordentliche) Kündigung. Dies gilt auch dann, wenn die Beleidigungen außerhalb der Arbeitszeit und außerhalb des Betriebs im Bierzelt vor Arbeitskollegen erfolgen, selbst wenn der Arbeitnehmer unter Alkoholeinfluss stand (LAG Hamm, Urteil vom 30.06.2004 - 18 Sa 836/04).

Auch Tätlichkeiten unter Arbeitnehmern auf beim Wiesnbesuch können eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Das Arbeitsgericht Osnabrück hatte am 19.08.2009 (4 BV 13/08) über die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds auf einer Weihnachtsfeier zu entscheiden. Das Betriebsratsmitglied griff um 23.00 Uhr auf der Weihnachtsfeier mit ca. 200 Arbeitnehmern zum Mikrofon und sang Lieder. Arbeitskollegen riefen, dass er aufhören solle, da es furchtbar klang. Das Betriebsratsmitglied ging von der Bühne und schlug einem seiner Kollegen ins Gesicht. Später behauptete das Mitglied des Betriebsrats, dass es völlig betrunken war. Das ArbG Osnabrück stimmte der außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitglieds zu. Tätlichkeiten unter Arbeitnehmern können eine fristlose Kündigung rechtfertigen, auch ohne vorherige Abmahnung. Es konnte nicht aufgeklärt werden, ob das Betriebsratsmitglied volltrunken war, jedenfalls zeigte es keine Ausfallerscheinungen.

Auf der Wiesn und unter Alkoholeinfluss kommt oftmals auch das Flirten nicht zu kurz. Das Arbeitsrecht verbietet Flirten, Küssen etc. nicht, wenn alle Beteiligten einverstanden sind. Wenn die Grenzen überschritten werden, kann ein Fall der sexuellen Belästigung vorliegen und der belästigende Arbeitnehmer muss ebenfalls mit einer außerordentlichen Kündigung rechnen. Eine sexuelle Belästigung, das bedeutet ein unerwünschtes sexuell bestimmtes Verhalten kann Weihnachtsfeier beispielsweise vorliegen, wenn eine Arbeitnehmerin gefragt wird, ob sie für ein „außereheliches Abenteuer“ oder einen „flotten Dreier“ zu haben sei (OLG Frankfurt) oder bei einem Klaps auf den Po (LAG Köln vom 07.07.2005 – 7 Sa 508/04).

Besuch des Oktoberfestes und Unfallversicherung

Auch wenn der betriebliche Oktoberfestbesuch keine Pflichtveranstaltung ist, ist er dennoch eine betriebliche Veranstaltung und als solche besteht der übliche Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Umfasst sind alle Tätigkeiten, die während der Veranstaltung im Hinblick auf den Gemeinschaftszweck vereinbar sind (BSG vom 05.07.2016 – B 2 U 19/14 R).Unter den Schutzzweck fallen alle mit dem Wiesnbesuch im Zusammenhang stehende Tätigkeiten, z.B. Essen, Trinken, Tanzen, Vorbereitungen etc. Die Dauer der betrieblichen Veranstaltung und damit auch der Umfang des Versicherungsschutzes bestimmt der Arbeitgeber. Beendet er das Fest offiziell, so endet auch der Versicherungsschutz (SG Frankfurt am Main vom 24.01.2006 - S 10 U 2623/03). Ziehen einzelne Arbeitnehmer nach dem offiziellen Teil weiter, ist dies nicht mehr vom Versicherungsschutz umfasst. Vom Versicherungsschutz ist hingegen der Nach-Hause-Weg umfasst, auch nach Beendigung der betrieblichen Veranstaltung unter den Voraussetzungen, dass der Arbeitnehmer direkt nach Hause geht und keine Umwege macht und dass der Wegeunfall nicht auf sonstigen Gründen im Wesentlichen beruht (Drogen, absolute Fahruntüchtigkeit bei Verkehrsunfall mit dem KFZ).-

Trinkgelage nach der betrieblichen Feier

In einem Kündigungsschutzprozess beim LAG Düsseldorf wurde am 12.9.2023 (3 Sa 284/23) das Arbeitsverhältnis einvernehmlich beendet. Grund für die Kündigung war ein Trinkgelage nach einer Betriebsfeier. Der Arbeitnehmer war im Außendienst bei einer Winzergenossenschaft beschäftigt. Am 12.1.2023 fand beim Arbeitgeber eine Weihnachtsfeier in einem externen Restaurant statt. Nach dem Ende der Weihnachtsfeier gegen 23:00 Uhr fuhr der Bus die Beschäftigten zur firmeneigenen Kellerei. Eine Fortsetzung der Weihnachtsfeier im Betrieb war nicht vorgesehen. Der Arbeitnehmer trank im Aufenthaltsraum der Kellerei mit einem Kollegen vier Flaschen Wein. Die leeren Flaschen standen am nächsten Morgen auf dem Tisch. Im Mülleimer befanden sich zahlreiche Zigarettenstummel. Auf dem Fußboden lag eine zerquetschte Mandarine, die zuvor an die Wand geworfen worden war. Einer der beiden Mitarbeiter hatte sich neben der Eingangstür erbrochen. Das Hoftor stand offen. Das LAG hat erklärt, dass es eine Abmahnung im Hinblick auf die Schwere der Pflichtverletzung nicht für ausreichend erachtet. Es sei offensichtlich, dass man als Arbeitnehmer nicht nach beendeter Weihnachtsfeier mit der Chipkarte des Kollegen gegen Mitternacht die Räume des Arbeitgebers betreten dürfe, um dort unbefugt vier Flaschen Wein zu konsumieren. Es stelle sich allenfalls die Frage, ob das Verhalten bereits eine fristlose Kündigung rechtfertige oder die Interessenabwägung zu einer ordentlichen Kündigung führe. Auf Vorschlag des LAG haben die Parteien sich aus sozialen Gründen auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses geeinigt.

Eine friedliche Wiesn, keinen (großen) Kater und herzliche (arbeitsrechtliche) Grüße aus München
Ihr Dr. Erik Schmid

Dieser Blog ist bereits im arbeitsrechtlichen Blog von Erik Schmid im Rehm-Verlag (www.rehm-verlag.de) erschienen.

Zur besseren Lesbarkeit wird in dem vorliegenden Beitrag auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Es wird das generische Maskulin verwendet, wobei alle Geschlechter gleichermaßen gemeint sind.

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Betriebsfeier Oktoberfest Versicherungsschutz

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