Spätestens seit die Süddeutsche Zeitung im Februar 2025 gegenüber den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen schwere Vorwürfe im Zusammenhang mit der - nach Auffassung der Zeitung - fehlenden Aufklärung von NS-Raubkunst-Verdachtsfällen erhoben hat, steht das Thema der NS-Raubkunstrestitution wieder im Mittelpunkt der Öffentlichkeit. Zwar haben die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen die Vorwürfe als falsch zurückgewiesen. Mittlerweile hat der Bayerische Kunstminister Markus Blume jedoch Versäumnisse im Zusammenhang mit der Aufklärung von NS-Raubkunst-Verdachtsfällen eingeräumt und eine externe Kommission mit der Prüfung problematischer Provenienzen beauftragt.
Die Geschehnisse rund um die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen zeigen, dass das Thema der Restitution von NS-Raubkunst auch mehr als 26 Jahre nach Verabschiedung der Washingtoner Prinzipien keinesfalls abgeschlossen ist. Dies hat auch die neue Koalition erkannt. So findet sich zu den Plänen der neuen Bundesregierung für den Umgang mit NS-Raubkunst in dem am 9. April 2025 geschlossenen Koalitionsvertrag folgende bemerkenswerte Passage:
"Der Staat trägt besondere Verantwortung bei der Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut. Wir werden die Provenienzforschung intensivieren, die Schiedsgerichtsbarkeit einführen und ein wirksames Restitutionsgesetz schaffen."
Vor allem die Aussage der Koalitionspartner, ein neues Restitutionsgesetz schaffen zu wollen, ist überaus beachtlich. Ein solches Restitutionsgesetz wird schon lange von verschiedenen Seiten, insbesondere von jüdischen Verbänden und Betroffenenanwälten gefordert, fand jedoch bisher keine politische Mehrheit. Auch die alte Ampel-Regierung wollte kein eigenständiges Restitutionsgesetz schaffen, sondern lediglich mit dem harsch kritisierten und wenig praktikablen Entwurf eines Gesetzes zur erleichterten Durchsetzung der Rückgabe von NS-Raubkunst punktuell in bestehende Gesetze eingreifen. Einen originären Restitutionsanspruch sah der Entwurf nicht vor. Im Vergleich dazu wäre die Schaffung eines eigenständigen Restitutionsgesetzes deutlich zielführender.
Der folgende Beitrag gibt zunächst einen Überblick über die bestehende Rechtslage bei der Restitution von NS-Raubkunst (Ziff. 2). Anschließend wird auf die im Koalitionsvertrag erwähnte Schiedsgerichtsbarkeit für NS-Raubkunst eingegangen, deren Einrichtung bereits unter der alten Bundesregierung beschlossen wurde (Ziff. 3). Der Beitrag endet mit einem Ausblick auf das von der neuen Bundesregierung angekündigte Restitutionsgesetz (Ziff. 4).
2.1 Spezielles Rückerstattungsrecht
Der Restitution von NS-Raubkunst auf Grundlage von § 985 BGB stehen zahlreiche rechtliche Hürden entgegen. Sie kommt daher nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht:
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs konnten die Alteigentümer von NS-Raubkunst bzw. ihre Erben für eine kurze Zeit auf gesetzliche Anspruchsgrundlagen zurückgreifen und ihre Restitutionsansprüche vor Gericht geltend machen. So erließen die westalliierten Besatzungsmächte in ihren jeweiligen Besatzungszonen spezielle Rückerstattungsgesetze, welche die Restitution von NS-Raubkunst ermöglichten. Nach all diesen Gesetzen hatten die Anspruchsberechtigen für die Geltendmachung ihrer Ansprüche jedoch kurze Anmeldefristen zu beachten, wobei die letzte bereits Mitte des Jahres 1950 ablief. Insbesondere aufgrund dieser sehr kurz bemessenen Anmeldefristen konnte nur ein geringer Teil der tatsächlich entzogenen Kulturgüter auf Basis der alliierten Rückerstattungsgesetze restituiert werden. Auf Grundlage des nach Ende der Besatzungszeit in Kraft getretenen Bundesrückerstattungsgesetzes konnten die Anspruchsberechtigten lediglich Schadensersatzansprüche geltend machen, nicht jedoch die Herausgabe von NS-Raubkunst verlangen.
Bei NS-verfolgungsbedingten Eigentumsverlusten auf dem Gebiet der DDR und Ostberlin bestand nach der Wiedervereinigung die Möglichkeit auf Grundlage des Vermögensgesetzes Restitutionsansprüche geltend zu machen. Für die Anmeldung der Ansprüche galt eine Ausschlussfrist bis zum 30. Juni 1993, sodass eine Geltendmachung heute nicht mehr möglich ist.1
2.2 Herausgabeanspruch nach allgemeinem Zivilrecht
Der Restitution von NS-Raubkunst auf Grundlage von § 985 BGB stehen zahlreiche rechtliche Hürden entgegen. Sie kommt daher nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht:
Bereits die Anwendbarkeit des Herausgabeanspruchs nach § 985 BGB auf NS-Raubkunst ist problematisch. So ging der BGH in ständiger Rechtsprechung der Nachkriegszeit davon aus, dass das spezielle Rückerstattungsrecht der Alliierten (auch bei Versäumung der Anmeldefristen) § 985 BGB als lex specialis ausschließt. In seinem viel diskutierten Urteil aus dem Jahr 2012 zum Restitutionsfall der Plakatsammlung Sachs hat der BGH diese Sperrwirkung zumindest etwas aufgeweicht. So soll § 985 BGB immerhin dann greifen, wenn der verfolgungsbedingt entzogene Vermögensgegenstand nach dem Krieg verschollen war und der Berechtigte erst nach Ablauf der Anmeldefrist von seinem Verbleib Kenntnis erlangt hat.
Ein Herausgabeanspruch des Alteigentümers bzw. seiner Rechtsnachfolger nach § 985 BGB scheidet zudem dann aus, sofern ein Dritter gemäß § 932 BGB gutgläubig Eigentum erworben hat. Dies gilt zwar grundsätzlich nur dann, sofern die Entziehung des jeweiligen Werks nicht als ein Abhandenkommen im Sinne von § 935 Abs. 1 BGB einzustufen ist. Ein Eigentumserwerb an abhandengekommener NS-Raubkunst ist jedoch bei Veräußerungen im Wege der öffentlichen Versteigerung möglich (§ 935 Abs. 2 BGB). Zudem besteht im Falle des Abhandenkommens die Möglichkeit, dass ein gutgläubiger Besitzer nach 10 Jahren gemäß § 937 BGB durch Ersitzung Eigentum an einem entzogenen Werk erwirbt.
Selbst wenn all diese Hürden genommen wurden, kann der Kulturgutbesitzer immer noch die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB erheben, da die 30-jährige Verjährungsfrist für den Herausgabeanspruch aus Eigentum heute bereits abgelaufen ist. All das zeigt, dass das allgemeine Zivilrecht keine hinreichende Anspruchsgrundlage für die Restitution von NS-Raubkunst bietet.
2.3 Soft Law der Washingtoner Prinzipien
Bei den Washingtoner Prinzipen handelt es sich um "nicht bindende Grundsätze", auf die sich die Teilnehmer (u.a. 44 Staaten) der im Dezember 1998 durchgeführten "Washington Conference on Holocaust-Era Assets" als Abschlusserklärung geeinigt hatten. Mit Unterzeichnung dieser Prinzipien haben sich die Bundesrepublik und die anderen Teilnehmerstaaten zu ihrer historischen und moralischen Verantwortung zur Wiedergutmachung des NS-Unrechts bekannt. Sie bekunden ihre Bereitschaft zur Identifizierung von NS-Raubkunst (Ziff. 1) und zur Veröffentlichung der ermittelten Provenienzen in einem zentralen Register (Ziff. 6). Zudem soll gemäß Ziff. 4 der Prinzipien eine Beweiserleichterung zu Gunsten der Anspruchssteller greifen, da "aufgrund der verstrichenen Zeit und der besonderen Umstände des Holocausts Lücken und Unklarheiten in der Frage der Herkunft unvermeidlich sind." Sofern die Alteigentümer von NS-Raubkunst bzw. deren Erben ausfindig gemacht werden können, soll mit diesen rasch eine "gerechte und faire Lösung" gefunden werden (Ziff. 8).
In rechtlicher Hinsicht handelt es sich bei den Washingtoner Prinzipien um sog. "soft law", d.h. eine rechtlich unverbindliche und nicht justiziable "Selbstverpflichtung" der Teilnehmerstaaten. Diesen steht es offen, dieses "soft law" durch eine entsprechende gesetzliche Transformierung in das nationale Recht in rechtsverbindliches "hard law" umzuwandeln. Daneben können die Teilnehmerstaaten rechtlich unverbindliche Präzisierungs- und Ausführungsbestimmungen erlassen, die ihrerseits wiederum nationales "soft law" darstellen.
2.4 Bisherige Umsetzung der Washingtoner Prinzipien in Deutschland
In Deutschland hatte man sich (bisher) dazu entschieden, die Washingtoner Prinzipien nicht in Gesetzesform zu gießen, sondern lediglich durch nationales "soft law" zu konkretisieren. So bekannten sich Bund, Länder und Kommunale Spitzenverbände im Dezember 1999 in der sog. "Gemeinsamen Erklärung" zu den Washingtoner Prinzipien und bekundeten ihre Bereitschaft, NS-Raubkunst den berechtigten Alteigentümern bzw. deren Nachfahren zurückzugeben. Im selben Jahr erschien die sog. "Handreichung" zur Umsetzung der Gemeinsamen Erklärung. Dabei handelt es sich um eine "rechtlich nicht verbindliche Orientierungshilfe", die öffentlichen Einrichtungen einen praktischen Leitfaden für den Umgang mit NS-Raubkunst an die Hand gibt. Deutsche Museen in öffentlicher Trägerschaft fühlen sich grundsätzlich an die Gemeinsame Erklärung und die Handreichung gebunden und werden daher in der Regel eine Restitution nicht unter Verweis auf formaljuristische Hindernisse (insb. die Einrede der Verjährung) verweigern. An private Kulturgutbesitzer wird lediglich appelliert, sich diesen Grundsätzen freiwillig anzuschließen.
Zentraler Bestandteil der Handreichung ist ein Schema zur Prüfung des NS-verfolgungsbedingten Entzugs. Danach ist zunächst zu prüfen, ob der Alteigentümer während der NS-Zeit verfolgt wurden. Bei jüdischen Geschädigten gilt dabei die Vermutung der Kollektivverfolgung. Anschließend ist zu prüfen, ob dem Alteigentümer das betroffene Kulturgut auch NS-verfolgungsbedingt entzogen wurde. Das ist bei Vermögensverlusten durch staatliche Zugriffe des NS-Regimes (z.B. Beschlagnahmen) in aller Regel der Fall. Bei rechtsgeschäftlichen Vermögensverlusten (z.B. bei Verkäufen zur Finanzierung der Flucht), wird vermutet, dass es sich bei Vermögensverlusten im Verfolgungszeitraum um ungerechtfertigte Entziehungen handelt. Der Anspruchsgegner kann diese Vermutung nur widerlegen, wenn er nachweisen kann, "dass der Veräußerer einen angemessenen Kaufpreis erhalten hat und dass er über ihn frei verfügen konnte". Bei Veräußerungen ab dem Inkrafttreten der "Nürnberger Gesetze" am 15. September 1935 wird diese Vermutung weiter verschärft. Der Anspruchsgegner muss zusätzlich nachweisen, dass die Veräußerung "auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus stattgefunden hätte oder die Wahrung der Vermögensinteressen des Verfolgten in besonderer Weise und mit wesentlichem Erfolg vorgenommen wurde".
2.5 Fehlende einseitige Anrufbarkeit der beratenden Kommission
In Umsetzung der Washingtoner Prinzipen wurde in Deutschland 2003 die sog. "Beratende Kommission" eingerichtet. Die Kommission gibt auf Grundlage der Washingtoner Prinzipien, der Gemeinsamen Erklärung und der Handreichung rechtlich nicht bindende Empfehlungen ab. Sie fungiert als Vermittlerin zwischen den Anspruchstellern und den öffentlichen Eigentümern der betroffenen Werke. Die Beratende Kommission kann jedoch nur dann tätig werden, wenn beide Seiten, also sowohl die Nachfahren der Verfolgten als auch die Museen oder andere kulturgutwahrenden Einrichtungen der Anrufung zustimmen. Dies führte dazu, dass die Kommission bisher lediglich 24 Empfehlungen abgegeben hat. So sperren sich die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen beispielsweise im Fall des ikonischen Picasso Werks "Madame Soler" seit mehr als zehn Jahren gegen eine Anrufung der Beratenden Kommission.
Insbesondere aufgrund des Makels der fehlenden Möglichkeit der einseitigen Anrufung der Beratenden Kommission war im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung zunächst die Reform der Kommission geplant. Dieser Reformplan wurde jedoch Anfang 2024 verworfen und es entstand die Idee die Beratende Kommission durch eine Schiedsgerichtsbarkeit für NS-Raubkunst zu ersetzen, die rechtsverbindliche Entscheidungen treffen soll. Trotz vielfacher Kritik und eines offenen Briefs an den damaligen Kanzler Olaf Scholz, in dem die Unterzeichner sich gegen die Schiedsgerichtsbarkeit aussprachen, stimmte das Bundeskabinett im Januar 2025 für deren Einrichtung. Am 26. März 2025 haben Bund, Länder und Kommunale Spitzenverbände ein Verwaltungsabkommen zur Einrichtung der Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubkunst abgeschlossen, deren Träger das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg sein wird.
Die Schiedsgerichtsbarkeit soll auf Grundlage einer (formellen) Schiedsordnung und eines (materiellen) "Bewertungsrahmens" tätig werden, die beide von Bund, Ländern und Kommunalen Spitzenverbänden erarbeitet wurde. Damit die Schiedsgerichtsbarkeit auch einseitig von den Anspruchstellern angerufen werden kann, werden Bund und Länder sog. "stehende Angebote" zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung abgeben. Zudem sollen Länder und Kommunale Spitzenverbände darauf hinwirken, dass kommunale kulturgutbewahrende Einrichtungen entsprechende "stehende Angebote" abgeben. Das Verfahren soll sowohl natürlichen Personen als auch juristischen Personen des öffentlichen Rechts und des Privatrechts offenstehen. Es können daher auch private kulturgutbewahrende Einrichtungen und Privatpersonen auf freiwilliger Basis an der Schiedsgerichtsbarkeit teilnehmen.
Die Schiedsgerichte sollen jeweils aus fünf Mitgliedern bestehen: Drei Richterinnen oder Richtern oder Juristinnen oder Juristen sowie zwei Personen mit Expertise in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts oder zu Provenienzforschung zu NS-Raubkunst. Die Parteien müssen diese aus einem Schiedsrichterverzeichnis wählen. Der Zentralrat der Juden in Deutschland und die Jewish Claims Conference können Kandidaten für das Schiedsrichterverzeichnis vorschlagen.
Die materielle Grundlage für die Entscheidungen der Schiedsgerichte bildet der erwähnte Bewertungsrahmen, der neben den Washingtoner Prinzipien u.a. auch die "Best Practices for the Washington Conference Principles on Nazi-confiscated Art" berücksichtigt. Der rechtsverbindliche Bewertungsrahmen wird die unverbindliche Handreichung ablösen, so dass die Schiedsgerichte auf dieser Basis rechtsverbindliche Entscheidungen treffen können. Private Kulturguteigentümer werden lediglich ermuntert und aufgefordert, sich den Grundsätzen des Bewertungsrahmen anzuschließen.
Nach Ziff. 2 des Bewertungsrahmens gelten unter Berücksichtigung von Ziff. 4 der Washingtoner Prinzipien (vgl. oben Ziff. 2.3) im Vergleich zum Strengbeweisverfahren der ZPO bestimmte Beweiserleichterungen (u.a. Zulässigkeit von eidesstattlichen Versicherungen). Die materiellen Voraussetzungen für einen Rückerstattungsanspruch des Antragsstellers ähneln an vielen Stellen den Voraussetzungen der Handreichung für einen NS-verfolgungsbedingten Entzug. Der Bewertungsrahmen konkretisiert die Regelungen der Handreichung jedoch erheblich und enthält im Vergleich zu dieser auch etliche gänzlich neue Bestimmungen.
Genau wie nach der Handreichung ist zunächst die NS-Verfolgung des Alteigentümers zu prüfen, wobei für Juden weiterhin die Vermutung der Kollektivverfolgung gilt (vgl. Ziff. 7.2 des Bewertungsrahmen). Anschließend wird geprüft, ob der Alteigentümer einen Kulturgutverlust erlitten hat, der in einem hinreichend engen Zusammenhang mit seiner NS-Verfolgung steht. Bei einem Kulturgutverlust durch Zugriff staatlicher Stellen während der NS-Zeit liegt dieser Zusammenhang wie bei der Handreichung grundsätzlich vor (vgl. Ziff. 8a.1, 8a.2 des Bewertungsrahmens). Bei rechtsgeschäftlichen Kulturgutverlusten von kollektivverfolgten Juden wird dieser Zusammenhang (mit Ausnahme von Fluchtfällen) grundsätzlich vermutet (vgl. Ziff. 8.2 des Bewertungsrahmens). Die Voraussetzungen für die Widerlegung dieser Vermutung (vgl. Ziff. 8b.1 und 8c.1 des Bewertungsrahmens) sind mit denen der Handreichung nahezu inhaltsgleich, so dass zur Erläuterung auf Ziff. 2.4 verwiesen werden kann.
Die Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubkunst soll ihre Arbeit noch im Jahr 2025 aufnehmen. Bis dahin soll die Beratende Kommission ihre Arbeit fortsetzen. Der Bayerische Kunstminister Markus Blume hat bereits angekündigt, den Fall "Madame Soler" durch die Schiedsgerichtsbarkeit prüfen zu lassen, sobald hierzu die Möglichkeit besteht. Im Falle einer Anrufung der Schiedsgerichtsbarkeit durch die Anspruchssteller, könnte er eine solche Prüfung aber auch gar nicht mehr verhindern.
Dass die neue Bundesregierung, neben der bereits unter der alten Bundesregierung beschlossenen Einrichtung der Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubkunst auch ein Restitutionsgesetz schaffen will, lässt hoffen, dass nun endlich der politische Wille zur hinreichenden Wiedergutmachung des NS-Kunstraubs vorhanden ist. Da Privateigentümer nicht verpflichtet sind, sich der Schiedsgerichtsbarkeit anzuschließen und es zudem bisher wohl auch nicht absehbar ist, dass sich sämtliche kommunalen Kultureinrichtungen der Schiedsgerichtsbarkeit unterwerfen, ist die Schaffung eines umfassenden Restitutionsgesetzes sinnvoll. Neben den Schiedsgerichten könnten dann auch die ordentlichen Gerichte über Restitutionsansprüche entscheiden. Für ein Restitutionsgesetz spräche zudem, dass ein solches Gesetz in einem transparenten und demokratisch legitimierten parlamentarischen Prozess entstehen würde. Ein solches Gesetz dürfte daher auf eine breitere Akzeptanz stoßen als der ohne parlamentarischen Prozess sowie ohne öffentliche Anhörung und Diskussion durch Bund, Länder und Kommunale Spitzenverbände festgelegte Bewertungsrahmen.
Für das Erfordernis eines Restitutionsgesetzes spricht auch, dass das allgemeine Zivilrecht keine hinreichende Rechtsgrundlage für die Restitution von NS-Raubkunst liefert. Neben der Einrede der Verjährung muss berücksichtigt werden, dass die Anwendbarkeit des Herausgabeanspruchs in einer Vielzahl der Fälle aufgrund der Sperrwirkung des Alliierten Rückerstattungsrechts ausgeschlossen ist. Zudem ist der Eigentumsverlust durch gutgläubigen Erwerb sowie durch Ersitzung zu beachten (vgl. oben Ziff. 2.2).
Sofern auch die Durchsetzung von Restitutionsansprüchen gegen Privatpersonen ermöglicht werden soll, bedarf es daher eines Restitutionsgesetzes, dass einen originären Herausgabeanspruch begründet. Dabei muss jedoch natürlich das Eigentumsgrundrecht gemäß Art. 14 Abs. 1 GG der zur Herausgabe verpflichteten Privateigentümer gewahrt werden. Dies wird regelmäßig voraussetzen, dass der Herausgabepflichtige einen Entschädigungs- oder Ausgleichsanspruch zugestanden bekommt. Die finanziellen Aufwendungen für solche Ausgleichs- und Entschädigungsleistungen wären von der Öffentlichen Hand zu tragen, wobei die Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Entschädigungsfonds diskutiert wird.
Eine Restitution von NS-Raubkunst im Gegenzug für eine Entschädigung dürfte dabei regelmäßig durchaus auch im Interesse der herausgabepflichtigen Privateigentümer liegen. Diese werden häufig nicht nur ein moralisches Interesse an einer entschädigungspflichtigen Restitution haben, da Kulturgüter, die unter NS-Raubkunstverdacht stehen – und z.B. in der Lost Art-Datenbank eingetragen sind – faktisch unverkäuflich sind.
In materieller Hinsicht könnte sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Restitutionsanspruchs an dem Bewertungsrahmen für die Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubkunst oder auch an der Handreichung orientieren. Zudem könnten das Alliierte Rückerstattungsgesetz und das Vermögensgesetz als Vorbilder für ein Restitutionsgesetz dienen. Ein erster Gesetzesentwurf und die daran anschließenden – sicherlich hitzigen – parlamentarischen und medialen Debatten werden schon jetzt mit großer Spannung erwartet. Damit ist natürlich die Hoffnung verbunden, dass es der neuen Bundesregierung gelingt, einen zielführenderen Entwurf vorzulegen, als der zu Recht als "Etikettenschwindel" kritisierte Gesetzesentwurf der letzten Bundesregierung.
Dr. David Moll
Felix Wahler
[1] Eine Ausnahme gilt dann, wenn der jeweilige Anspruch von der sog. "Globalanmeldung" der Jewish Claims Conference erfasst ist.