Bei einer D&O-Versicherung handelt es sich um eine Fremdversicherung im Sinne der §§ 43 ff. VVG zugunsten der versicherten Organmitglieder sowie gegebenenfalls zugunsten weiterer mitversicherten Personen (z.B. leitende Angestellte, Compliance-Beauftrage etc.). Versicherungsnehmerin ist hingegen die Gesellschaft bzw. das Unternehmen. Bei einer D&O-Versicherung fallen Versicherungsnehmer und versicherte Personen also auseinander. In Rechtsprechung und Literatur wird daher intensiv über die Frage diskutiert, ob bei einer D&O-Versicherung nun die Versicherungsnehmer oder die versicherten Personen befugt sind, über Versicherungsansprüche zu verfügen. Diese Fragestellung ergibt sich beispielsweise, wenn der Versicherer die Gewährung von Versicherungsschutz ablehnt und der Versicherungsschutz im Wege eines Deckungsprozesses gegenüber dem Versicherer eingeklagt werden muss. Dort stellt sich – auch aus Sicht des Versicherer – stets die Frage, wer zur Geltendmachung der Ansprüche (prozessrechtlich) befugt ist (Stichwort: Aktivlegitimation). Aber auch bei Vergleichsabschlüssen mit dem Versicherer stellt sich häufig diese Frage, z.B. dann, wenn innerhalb des Vergleichs mittels deckungsrechtlicher Abgeltungsklauseln Versicherungsansprüche abgegolten werden sollen. In einer aktuellen Entscheidung hat der BGH nun klargestellt, dass es auf die Frage, wer verfügungsbefugt ist, keine pauschale Antwort gibt und es für die Klärung dieser Frage letztlich immer auf den Wortlaut der jeweils geltenden Versicherungsbedingungen bzw. deren Auslegung ankommt.
Ausgangspunkt der Diskussionen über die Verfügungsbefugnis ist § 44 VVG. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 VVG stehen bei einer Versicherung für fremde Rechnung – wie dies bei der D&O-Versicherung der Fall ist – die Rechte aus dem Versicherungsvertrag zwar grundsätzlich der versicherten Person zu. Allerdings kann die versicherte Person nach § 44 Abs. 2 VVG ohne Zustimmung des Versicherungsnehmers nur dann über ihre Rechte verfügen und diese Rechte gerichtlich geltend machen, wenn sie im Besitz des Versicherungsscheins ist. Das Gesetz geht also grundsätzlich davon aus, dass bei einer Fremdversicherung grundsätzlich der Versicherungsnehmer befugt ist, über die Versicherungsansprüche zu verfügen und diese ggf. gerichtlich geltend zu machen.
Hinsichtlich D&O-Versicherungen wird in Rechtsprechung und Literatur intensiv diskutiert, ob § 44 Abs. 2 VVG bei D&O-Versicherungen Anwendung findet. Dabei vertritt eine im Vordringen befindliche Ansicht in Rechtsprechung und Literatur die Auffassung, dass § 44 Abs. 2 VVG durch die §§ 100 ff. VVG als lex specialis verdrängt wird. Begründet wird diese Auffassung mit dem im Bereich der Haftpflichtversicherungen geltenden Trennungsprinzips, wonach zur Vermeidung von Manipulationen außerhalb der Pflichtversicherung strikt zwischen der Frage der Haftung durch den Drittschädiger einerseits und der Deckung durch den Versicherer zu unterscheiden ist. Ob und in welcher Höhe eine Haftung des Versicherungsnehmers gegenüber einem geschädigten Dritten besteht, ist in einem Haftpflichtprozess zwischen Schädiger und Geschädigtem zu entscheiden. Die Eintrittspflicht des Versicherers dagegen ist Gegenstand des nachfolgenden Deckungsprozesses. Soweit die Gesellschaft im Rahmen der Innenhaftung Ansprüche auf Schadenersatz nicht gegen einen Dritten, sondern gegen ein Organmitglied hat, würde entgegen § 100 VVG der Anspruch auf Zahlung gegen das Organmitglied und die formelle Berechtigung, den Versicherungsanspruch gegen den Versicherer geltend zu machen, in der Person der Gesellschaft zusammenfallen. Daher dürfe sich das Verfügungsrecht der Gesellschaft nicht auf die Geltendmachung des Versicherungsanspruches erstrecken. Vielmehr müsse die Geltendmachung des Versicherungsanspruches ausschließlich dem versicherten Organmitglied vorbehalten bleiben; ungeachtet von § 44 Abs. 2 VVG.
Andere Ansichten in der Literatur sind hingegen schlicht der Auffassung, dass für eine teleologische Reduktion von § 44 Abs. 2 VVG kein Raum bestehe. Die Gegenansicht argumentiert dabei im Wesentlichen damit, dass die Versicherungsnehmerin bzw. das Unternehmen eine D&O-Versicherung im eigenen Interesse abschließt, hierfür Prämien bezahlt und insoweit auch verfügungsbefugt sein muss.
Der BGH hat in einem Urteil vom 4. März 2020 (IV ZR 110/19) nun klargestellt, dass bei einer D&O-Versicherung § 44 Abs. 2 VVG grundsätzlich Anwendung findet und damit grundsätzlich der Versicherungsnehmer - im zu entscheidenden Fall die Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Versicherungsnehmerin - verfügungsbefugt ist.
Der BGH hat in seiner Entscheidung allerdings auch klargestellt, dass § 44 Abs. 2 VVG abbedungen werden kann und es somit immer auf die jeweils geltenden Versicherungsbedingungen bzw. deren Auslegung ankommt. Im zu entscheidenden Fall war in den zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen ausdrücklich vereinbart, dass Ansprüche aus dem Versicherungsschutz nur durch die versicherten Personen geltend gemacht werden können. Nach Ansicht des BGH ist eine derartige Regelung dahingehend auszulegen, dass durch sie die § 44 Abs. 2, § 45 Abs. 1 VVG abbedungen werden sollen.
Dies hat zur Folge, dass es für die Verfügungsbefugnis bei Vorliegen derartiger Versicherungsbedingungen allein auf die versicherten Personen und nicht den Versicherungsnehmer ankommt.
Bei der Geltendmachung von D&O-Ansprüchen ist stets zu prüfen, wer über dahingehende Ansprüche verfügen und diese in der Folge gegenüber dem D&O-Versicherer (gerichtlich) geltend machen kann. Dies gilt auch bei Vergleichen über D&O-Versicherungsansprüche, die häufig umfassende deckungsrechtliche Abgeltungen enthalten. Wie der BGH – wenig überraschend – bestätigt, kommt es für die Klärung dieser Frage maßgeblich auf die jeweiligen Versicherungsbedingungen an.